Interview

100 Tage Wenz – was Bürstadts neuer Bürgermeister anders macht

Bürstadts Bürgermeister Boris Wenz spricht über seine ersten Monate im Amt, über Herausforderungen wie Industrie- und Nibelungenstraße – und seine Modelleisenbahn.

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Corinna Busalt
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Bürstadts neuer Bürgermeister Boris Wenz. © Berno Nix

Bürstadt. Das Büro des neuen Bürgermeisters ist ein bisschen kleiner als zuvor, die Wände sind nicht mehr in hellem Grün, sondern weiß und grau gestrichen. „Eine Wand wurde versetzt, jetzt können nebenan zwei Mitarbeiterinnen arbeiten“, erklärt Boris Wenz zur Begrüßung. Platz habe er trotzdem genug, er wolle schließlich nicht tanzen an seinem Arbeitsplatz, fügt er grinsend hinzu.

Herr Wenz, 100 Tage sind Sie jetzt im Amt. Haben Sie sich schon an den Kopf gefasst und gedacht, oh Gott, was tue ich mir hier an?

Boris Wenz: Gott sei Dank noch nicht. Aber die Arbeit nimmt mich echt voll in Beschlag. Mittlerweile mache ich schon Termine mit meiner Frau, damit wir mal essen gehen können.

Und am Wochenende besuchen Sie Feste in der Stadt.

Wenz: Tatsächlich schaue ich, dass meine Frau mitgeht oder die Familie eingebunden wird. Einmal hatte ich jetzt das Glück, dass ein Termin ausgefallen ist und ein anderer verschoben wurde, so konnte ich mit meiner Enkelin ins Kinderturnen. Das war für mich als Opa natürlich ganz toll, und sie hat sich gefreut.

Hätten Sie gedacht, mal im Rathaus zu arbeiten?

Wenz: Schon mein Vater war Beamter. Meine Frau ist Lehrerin in Lampertheim, mein Sohn ist auch verbeamtet und meine Tochter macht gerade ihr Referendariat als Lehrerin. Ich habe immer gesagt, ich bin der einzige Normale in der Familie (lacht). Das ist vorbei.

Wenn Sie jetzt so wenig Zeit haben, bauen Sie im Advent nicht mehr Ihre Modelleisenbahn in der Garage auf, oder?

Wenz: Doch, das habe ich fest vor. Das hatte ich schon so lange geplant - und war überhaupt nicht für den Wahlkampf gedacht. Ich genieße es, wenn die Leute vorbeikommen und sich freuen.

In diesem Advent werden die Bürstädter das sicher nutzen, um ihre Beschwerden vorzutragen.

Wenz: Das passiert jetzt schon. Unbekannt bin ich nicht mehr in der Stadt (lacht).

Michael Heidrich lag bei der Bürgermeisterwahl rund 6 Prozent hinter Boris Wenz und gratuliert ihm zum Sieg. © Berno Nix

Wie ist das für Sie, wenn in den politischen Gremien jetzt über die Schlamperei bei den Finanzen oder die Mängelliste beim Campus geschimpft wird. Das lag ja in der Verantwortung Ihrer Vorgängerin Bärbel Schader.

Wenz: Da geht’s nicht darum, dass sie irgendwas vernachlässigt oder verschuldet hätte, um Gottes Willen. Das betrifft die Revision, und das ist kein Bürstädter Problem, sondern in anderen Kommunen ganz ähnlich. Das habe ich gerade bei der letzten Bürgermeisterdienstfahrt erfahren. Auch anderswo wird die Inventur nicht so regelmäßig gemacht wie vorgeschrieben. Beim Campus müssen wir jetzt sehen, dass manches repariert wird. Hier geht es nicht ums Nachtreten.

Also keine Kritik an Bärbel Schader?

Wenz: Nein, und ich muss da auch aufpassen, wie wir was kommunizieren. Denn bei aller Offenheit und Transparenz lösen solche Nachrichten Wellen und Emotionen aus. Ich muss selbst lernen, damit vorsichtiger umzugehen.

Die Arbeit der Verwaltung war ein großes Thema im Wahlkampf, nicht nur wegen der langen Wartezeiten am Bürgerbüro. Sie hatten selbst moniert, dass Vorlagen nicht richtig ausgearbeitet waren.

Wenz: Ich möchte gar nicht zurückblicken, sondern nach vorne. Jetzt geht es darum, den einzelnen Abteilungen Verantwortung zu übertragen - und ihnen zu sagen, dass das ihr Job ist, wofür sie gerade stehen. Hier arbeiten Fachleute. Ich bin kein Hoch- oder Tiefbauer und kein Gärtner, aber ich muss die Vorlagen verstehen können.

Bei der offiziellen Amtseinführung erhält Boris Wenz von seiner Vorgängerin Bärbel Schader die Amtskette. Stadtverordnetenvorsteher Alexander Bauer (l.) applaudiert. © Berno Nix

Beim Wahlforum des „Südhessen Morgen“ Ende Februar haben Sie gesagt: „Die Begriffe Vertrauen und Verwaltung passen nicht in einen Satz, das muss sich ändern.“ Was machen Sie besser?

Wenz: Es geht um Transparenz und darum, Fehler einzugestehen. Fragen müssen klar beantwortet werden. Früher hatte ich manchmal das Gefühl, da werden Wege eingeschlagen, die kann man nicht richtig nachvollziehen. Aber jeder im Stadtparlament, also 31 Personen, trägt Verantwortung, wenn er abstimmt. Am Ende darf es nicht heißen: Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich anders entschieden.

Das bedeutet im Umkehrschluss, dass die Vorlagen früher tendenziös waren, also dass die Politiker eine bestimmte Richtung eingeschlagen haben, weil sie nicht alles wussten.

Wenz: Mir geht es darum, nach vorne zu gucken und nicht schlecht über andere zu reden, auch um die Emotionen herauszuhalten.

Wo liegen Ihre Prioritäten? Was ist jetzt im Moment für Sie am dringendsten?

Wenz: Der Haushalt, den wir gerade aufstellen. Und das Personal kennenzulernen. Ich habe jetzt alle Abteilungen besucht, auch die Kindergärten.

Kennen Sie schon alle Namen?

Wenz: Nein, das ist auch leider nicht mein Steckenpferd. Aber die Leute sollen mich kennenlernen und Vertrauen aufbauen. Meine Bürotür steht offen, sie können reinkommen.

Erster SPD-Bürgermeister

Boris Wenz kommt am 23. August 1972 zur Welt und wächst in Griesheim bei Darmstadt auf. Seit 1997 lebt er mit seiner Familie in Bürstadt. Er hat zwei Kinder und ein Enkelkind.

Wenz absolviert eine kaufmännische Ausbildung bei der Firma Schlecker und arbeitet als Bezirksleiter, danach bei Media Markt und Netto. Nach einer Weiterbildung wechselt er in die Finanzbranche , ab 2012 ist er in der Immobilienfinanzierung bei der ING DiBa tätig.

Im Sommer 2004 tritt Wenz in die SPD ein und ist seit 2008 Stadtverordneter in Bürstadt. Von 2014 bis 2021 führt er als Vorsitzender den Stadtverband an. Zudem ist er Schöffe am Landgericht Darmstadt und sitzt im Aufsichtsrat der Baugenossenschaft Bürstadt.

Bei der Bürgermeisterwahl am 9. März gewinnt der SPD-Kandidat mit 50,06 Prozent knapp, aber auf Anhieb. Am 1. Juli übernimmt er als erster sozialdemokratischer Verwaltungschef die Leitung im Bürstädter Rathaus. cos

Im Wahlkampf stand die Industriestraße ganz oben auf Ihrer Agenda - weil sie in schlimmem Zustand ist und die Lkw durchfahren, um abzukürzen. Sie wollten Verbotsschilder anbringen lassen. Hängen schon welche?

Wenz: Noch nicht. Wir sind aber im Gespräch mit Hessen Mobil. Wir wollen die Zeit der Sperrung nutzen, wenn die Nibelungenstraße Ost neu gemacht wird.

Wann wird das sein?

Wenz: Ende 2026, Anfang 2027. Dafür müssen wir auch mit Akteuren im Industriegebiet reden wie Rossmann, Furniture oder GS. Die Laster kommen auch über die Bundesstraße hin, und sie tun das, wenn sauber ausgeschildert ist. Ich bin überzeugt, dass den Fahrern zwei Kilometer zusätzlich nichts ausmachen, wenn sie schon hunderte Kilometer hinter sich haben.

In der Industriestraße liegt auch die Brachfläche, wo früher die Raiffeisenhallen standen. Hätten Sie dort gerne Wohnungen?

Wenz: Prinzipiell ist es so, dass wir für den Abriss Fördergelder bekommen haben - dafür dass wir das Gelände revitalisieren.

Also Wohnungen?

Wenz: Wohnraum ist hier Mangelware. Kleine Einheiten für Studenten oder Monteure bieten sich an. Ich würde mir sogar ein kleines Motel wünschen, wo man nach Veranstaltungen und Fortbildungen auf dem Campus oder im KamÜ in der Nähe übernachten kann. Spruchreif ist noch nichts. Wir brauchen erst einen Investor, der dafür Geld in die Hand nimmt. Da wir noch kein konkretes Vorhaben haben, stellen wir einen Angebotsbebauungsplan auf, um klar zu machen, was vor Ort möglich ist und Interessenten die Rahmenbedingungen kennen.

Macht Wiesbaden Druck wegen des Zuschusses?

Wenz: Es gab schon Nachfragen.

Um welchen Betrag geht‘s dabei?

Wenz: 490.000 Euro. Wenn wir nur Parkplätze machen, müssen wir das zurückzahlen und zusätzlich Geld für das Anlegen der Parkplätze ausgeben, das wären die teuersten, die wir in Bürstadt haben könnten.

Sinn für Humor: Boris Wenz wagt sich bei der Riedroder Kerwe aufs Steckenpferd. © Berno Nix

Die Nachbarn werden nicht begeistert sein von Wohnbebauung. Parken ist schon jetzt schwierig dort.

Wenz: Dieser Schlauch ist kein Filetstück. Das muss man ehrlich zugeben - und für jeden dankbar sein, der sich mit dem Gedanken beschäftigt, dort was zu realisieren. Lassen wir uns überraschen.

Dürfen die Bürger mitreden? Mehr Transparenz, mehr Bürgernähe haben Sie immer gefordert. Wie sieht diese konkret aus?

Wenz: Ja, zum einen wollen wir bestimmte Informationen auf der Homepage veröffentlichen. Mit dem Stadtverordnetenversteher Alexander Bauer ist zudem am 22. Oktober eine Bürgerversammlung geplant. Dann gehen wir in die Diskussion - etwa was die Industriestraße betrifft oder auch die Sanierung der Nibelungenstraße Ost.

Dort gab es ja schon eine Demo, weil zu viele Bäume gefällt werden sollten.

Wenz: Die Proteste waren auch gerechtfertigt, das war allen Beteiligten eine Lehre. Die neue Planung sieht anders aus. 95 Prozent der Bäume bleiben erhalten, und es werden noch mehr gepflanzt, nicht in Kübel, sondern wirklich in die Erde. (Er grinst).

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Tja, die Kübel. Stehen alle noch wie vor 100 Tagen? Oder haben Sie welche umstellen lassen?

Wenz: Noch nicht, langsam scheinen sich die Leute dran gewöhnt zu haben. Sollte wirklich einer im Weg sein, muss man auf uns zukommen. Das war übrigens eine der ersten Anfragen an mich - ob die nicht verbuddelt werden können. Das geht nicht so einfach und wäre teuer. Unter den Kübeln liegen Leitungen, die vor den Wurzeln geschützt werden müssen.

Noch mal zur Nibelungenstraße – Sie haben mal versprochen, die schwächeren Verkehrsteilnehmer zu schützen. Wie?

Wenz: Wir legen einen Radweg an - da, wo Platz ist. Wir müssen an alle Verkehrsteilnehmer denken, auch an die Landwirtschaft. Auf einer Seite verlaufen Schienen. Also geht das mit dem 1,50 Meter breiten Radweg nicht überall. Darüber wollen wir bei der Bürgerversammlung und auch mit der Politik diskutieren. Jeder muss wissen, dass es auf einen Kompromiss hinausläuft.

Vor zwei Jahren haben sich Bürstädter gegen das Fällen der Bäume beim Umbau der Nibelungenstraße gewehrt - daraufhin ist die Planung geändert worden. © Berno Nix

Was passiert mit der Kreuzung zur Wasserwerkstraße? Die Anwohner vom Sonneneck kommen zu Stoßzeiten kaum raus auf die Nibelungenstraße. Wird dort ein Kreisel gebaut?

Wenz: Dieser Bauabschnitt von der Aral-Tankstelle bis zur Forsthausstraße wird noch nicht gemacht. Ein Kreisel würde zu teuer, weil dafür die unterirdischen Tanks verlegt werden müssten - dabei sprechen wir von einem siebenstelligen Betrag. Gerade gibt es Absprachen mit der Bahn, die den Bahnübergang übersichtlicher gestalten will. Um weiterzuplanen, müssen wir genau wissen, was dort passiert. An der Wasserwerkstraße wird es wohl auf eine Ampel hinauslaufen.

Wie finanziert Bürstadt das? Sie haben schon gesagt, dass wieder Straßenbeiträge erhoben werden müssen.

Wenz: Ja, ich wäre dafür, aber das muss politisch entschieden werden.

Im März ist Kommunalwahl.

Wenz: Ja, vorher passiert da nichts.

Wohnungsnot war noch ein großes Thema bei Ihnen.

Wenz: Ich habe schon mit der Baugenossenschaft gesprochen. Dieses Thema wurde über Jahrzehnte vernachlässigt. Jetzt geht‘s darum, was wir als Stadt machen können.

Sie sprechen jetzt nur von Sozialwohnungen.

Wenz: Ja, aber auch für den normalen Wohnungsbau brauchen wir Akteure.

Teure Wohnungen sind einige entstanden in den vergangenen Jahren.

Wenz: Richtig. Die Leute bezahlen das auch, weil sie keine Alternative haben. Aber das Thema wurde zu lange schleifengelassen von Land und Bund. Zehn bis 20 Jahre wird das dauern, bis wir spüren, dass sich hier was tut. Natürlich müssen auch wir was tun - und wir hoffen, dabei unterstützt zu werden. Immerhin zählen wir zur Zuwachsgemeinde im Bereich Frankfurt. Wir sollen wachsen, dafür brauchen wir aber auch Geld.

Das Freizeitkickergelände ist groß und nicht mehr tabu. Dort stehen auch die Container für den Kindergarten.

Wenz: Die Stadtverordneten haben entschieden, dass dort gebaut werden darf, aber dafür müssen wir zuerst eine andere Freizeitfläche anlegen. Die Kita bleibt drei Jahre, möglicherweise folgt danach noch eine, wenn der nächste Kindergarten saniert wird. Eine Bebauung wäre vorne oder an der Seite möglich. Aber bis dort die ersten Bagger anrollen, steht schon die nächste Kommunal- und Bürgermeisterwahl an - glaube ich.

Gibt es etwas, was Sie völlig überrascht hat an Ihrem neuen Amt?

Wenz: Ich wundere mich, mit wie vielen Akteuren ich zu tun habe. Das bekommt man als Stadtverordneter nicht so mit. Es ist echt verrückt, wie viele Personen und Institutionen oder Bauträger sich schon bei mir vorgestellt haben. Auch aus dem Kreis, das ist schon spannend.

Gibt es etwas, das Sie gar nicht mögen am neuen Job?

Wenz: Also, es hat alles was für sich und ist abwechslungsreich, wobei ich gar keine Zeit habe, darüber nachzudenken, was mich nerven könnte. Naja, was ich nicht mag, ist, zu wenig Zeit zu haben. Mein Tag könnte echt länger sein.

Redaktion Redakteurin des Südhessen Morgen und zuständig für die Ausgabe Bürstadt/Biblis

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