Landwirtschaft - Direktvermarkter sehen Entwicklung des Schlachthofs Mannheim mit Sorge / Angst vor weiten Tiertransporten

Neckar-Bergstraße: Bauern sorgen sich um Schlachthof

Von 
Hans-Jürgen Emmerich
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Landwirte und Direktvermarkter aus der Region laufen gegen die mögliche Schließung des Schlachthofs in Mannheim Sturm. „Das würde uns ziemlich hart treffen“, betont Wolfgang Guckert, Schweinezüchter aus Mannheim-Sandhofen und Vorsitzender des Kreisbauernverbandes Rhein-Neckar. Gemeinsam mit Kollegen aus Heidelberg und Edingen-Neckarhausen erläutert er am Montag auf dem Hof von Holger Koch in Edingen bei einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz die praktischen Folgen einer solchen Schließung, die eine mögliche Konsequenz der Insolvenz in Eigenverwaltung ist.

Guckert und die übrigen Landwirte setzen auf regionale Produktion und eine Direktvermarktung ihrer Erzeugnisse. Wenn ihre Schweine nach etwa einem Jahr schlachtreif sind, gelangen sie heute in wenigen Minuten zum Schlachthof in Mannheim. „Der ist ziemlich auf dem neuesten Stand“, betont Guckert. Würde er bereits Ende des Monats schließen, müssten Guckert und seine Kollegen die Tiere stundenlang durch die Gegend fahren, bis nach Crailsheim oder sogar nach Ulm. „Bei zehn Landwirten wären das rund 300 000 Kilometer pro Jahr mehr“, hat Holger Koch ausgerechnet.

Dabei haben sich die Bauern einer nachhaltigen Landwirtschaft verschrieben. „Wir haben unsere Haltung umgestellt“, erklärt Helmut Koch vom „HelDenHof“. Seine Tiere leben auf Stroh und sind nicht in engen Boxen eingepfercht. Während sie sich hier also ein Jahr lang wohlfühlen, würden sie anschließend der Tortur von stundenlangen Transporten ausgesetzt.

Taxischein für Schweine

Bislang bringen die Bauern ihre Tiere selbst zum Schlachten, im eigenen Anhänger und in kleinen Gruppen. Wenn der Schlachthof aber weiter entfernt ist, brauchen sie dafür einen besonderen Sachkundenachweis, eine Art Taxischein für Schweine sozusagen. Oder aber sie müssen einen Spediteur beauftragen, der allerdings aus wirtschaftlichen Gründen 100 Tiere in seinen Lastwagen stecken will.

Eine schlachtwarme Verarbeitung, die ohne künstliches Phosphat auskommt, wäre dann ebenfalls nicht mehr möglich. „Wir Direktvermarkter brauchen frisches Fleisch und warmes Blut für die Blutwurst“, unterstreicht Guckert: „Ansonsten können wir unseren Qualitätsanspruch nicht mehr halten.“

Früher haben viele Landwirte selbst geschlachtet, heute unterhalten sie nur noch einen Raum „zum Verwursteln“, also zur Verarbeitung der zerlegten Teile aus dem Schlachthof. Der in Mannheim sei auf einem „ziemlich neuen Stand“, betont Guckert. Und er arbeitet mit ordentlich beschäftigtem Personal, wie Manfred Sommer aus Dielheim ergänzt, nicht mit zweifelhaften Werkverträgen wie der skandalbehaftete Konzern Tönnies in Rheda-Wiedenbrück.

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Zwei Zahlen machen deutlich, um welche Dimensionen es dabei geht. 30 000 Schweine schlachte Tonnies am Tag, erklärt Sommer, 3000 der Schlachthof in Mannheim – pro Woche. Die Metropolregion Rhein-Neckar mit rund zwei Millionen Einwohner brauche eine eigene Schlachtstelle, auch zur Sicherung der Versorgung mit Lebensmitteln, führt Bauernverbandsvorsitzender Guckert ein weiteres Argument ins Feld. „Mit der Schließung in Mannheim radiert man eine ganze Struktur aus“, ergänzt Manfred Sommer.

Die Stadt Mannheim verweist auf Nachfrage darauf, dass sie 2017 bewusst den Schlachthof aufgegeben und heute nur noch mittelbar damit zu tun habe, nämlich über den Großmarkt Mannheim, der das Gebäude an den privaten Betreiber vermiete. „Die Stadt darf sich nicht aus der Verantwortung stehlen“, fordert Guckert gleichwohl. Ein Knackpunkt seien auch die Kosten der Fleischbeschau, die auf fast 4,50 Euro steigen sollten. Anfragen wegen eines Gesprächs mit dem zuständigen Bürgermeister seien erst nach der Information an die Presse beantwortet worden, berichtet er.

Mobiler Freiluftstall

Die Landwirte hoffen nun, dass der Schlachthof wenigstens bis Ende 2023 in Betrieb bleiben kann. Bis dahin bliebe ihnen dann genug Zeit, nach Alternativen zu suchen. Denkbar wäre der Bau eines eigenen Schlachthauses, das rund 100 000 Euro kosten würde. Trotz aller Ungewissheit will Holger Koch in Kürze seinen ersten mobilen Schweinestall in Betrieb nehmen. Dann werden seine Tiere an der frischen Luft aufwachsen, mit Blick aufs Heidelberger Schloss.

Redaktion Aus Leidenschaft Lokalredakteur seit 1990, beim Mannheimer Morgen seit 2000.

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