Vor zwei Jahrzehnten wollte der damalige US-Präsident George W. Bush Afghanistan mit Gewalt in eine Demokratie verwandeln. Selten seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs hat ein Rachefeldzug so viel Chaos und Verderben angerichtet wie der Krieg gegen die Al Kaida und die Taliban, den es ja ohne die Terroranschläge vom 11. September 2001 niemals gegeben hätte.
In wenigen Wochen werden die neuen und alten Herrscher den 20. Jahrestag gebührend feiern und ihren Erzfeind USA verhöhnen. Deren Präsident Joe Biden hat den Taliban die Macht in Afghanistan praktisch auf dem Tablett übergeben. Er hinterlässt eine Regierung in Kabul, die weiß, was die Stunde geschlagen hat. Präsident Aschraf Ghani hat Afghanistan schon verlassen. Feigheit kann man ihm kaum vorwerfen, denn seine Verbündeten fliehen ja selbst Hals über Kopf. Dabei meinte der frühere SPD-Politiker Peter Struck doch einst, dass unsere Sicherheit auch am fernen Hindukusch verteidigt werden müsse.
Wie die USA ist Deutschland dem Größenwahnsinn erlegen, man könne Afghanistan mit Gewalt in die Moderne katapultieren. Das Ergebnis ist der größte Evakuierungseinsatz in der Geschichte der Bundeswehr. Wenigstens hat Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer dafür gesorgt, dass es in den Militärtransportern auch Platz für afghanische Ortskräfte gibt, die sonst um ihr Leben fürchten müssten.
Doch zurück bleiben unzählige Frauen und Mädchen, die jetzt damit rechnen müssen, dass sie wieder eingesperrt werden. Und was passiert mit jenen Frauen, aus denen in den vergangenen 20 Jahren Richterinnen, Journalistinnen, Menschenrechtlerinnen oder Frauenrechtlerinnen geworden sind? Schon jetzt wurden viele von ihnen getötet. Der Westen hat sie zur Emanzipation ermuntert, manche haben nun eine Kugel im Kopf.
Dass der Einsatz ein Fehler war, lässt sich zwar nicht mehr ändern. Aber ganz können wir uns nicht aus der Verantwortung stehlen. Die Frage lautet: Werden wenigstens jene Flüchtlinge aufgenommen, die an der Tür der Freiheit klopfen? Die Erfahrungen der Vergangenheit geben da wenig Anlass zur Zuversicht. Österreich will zum Beispiel weiter abschieben.
„Nichts ist gut in Afghanistan“ – mit diesem Ausspruch fällte die damalige EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann schon im Januar 2010 ihr Urteil über die Lage am Hindukusch. Sie solle still sein, denn sie verstehe nichts vom Krieg, meinten die großen Strategen. Oft sind Frauen klüger.
Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Flucht Hals über Kopf
Walter Serif zur Kapitulation vor den Taliban