Speyer. Neue Perspektiven gewinnen, Grenzen erweitern, Konventionen überwinden: Das Konzept der neuen Speyerer Kammermusikreihe „Resonanzen“ verfolgt einen ambitionierten Anspruch, den die bisherigen Konzerte durchaus eingelöst haben. Auch der Auftritt des Phaeton Piano Trios ließ sich auf hohem musikalischen Niveau verorten und bot revolutionäre Ansätze, die die Grenzen des Genres ausreizten.
Hierfür eignet sich Beethovens Klaviertrio Nr. 5 D-Dur, das sogenannte Geistertrio, natürlich bestens. Das Etikett „Wiener Klassik“ passt auf dieses sardonisch-heitere Stück Musik ebensowenig wie jenes der Romantik, obwohl Beethoven – wie von Pianist Florian Uhlig eingangs angemerkt – gar einen Blick in die spätromantische und impressionistische Epoche riskiert. Von Geiger Friedemann Eichhorn, der in Speyer aufgewachsen ist, angetrieben, markiert das Phaeton Trio im Historischen Ratssaal einen energischen Auftakt, spürt die DNA dieser Musik auf, freilich ohne kraftstrotzende Attitüde.
Stattdessen wirken die fahlen Eintrübungen zu Beginn des Mittelsatzes wie gespenstische Gazeschleier, die sich über die Szenerie legen. Und wie Violinist Eichhorn die Lyrismen erst mit verzagtem Ausdruck, in der dynamischen Steigerung dann mit fröhlicher Entschlossenheit intoniert, verrät ein ausgeprägtes Sensorium für die Empfindsamkeiten und Zartheiten dieser Musik, gerade angesichts des drohenden Zugriffs durch das Grollen in den Bassregistern des Flügels und der harmonisch immer wieder ins Zwielichtige kippenden Stimmung.
Feine Differenzierungen
Der temperamentvolle Finalsatz wirkt da wie eine Befreiung aus düsterer Fantasie, und die Klanggestaltung erhält, auch durch das konzise und sensible Spiel von Cellist Peter Hörr, eine hohe Plastizität und Biegsamkeit. Die feinen dynamischen Differenzierungen und das fließende Rollenspiel im Trio verleihen dieser Musik etwas ungemein vitales und präsentes. Keine Frage: Dieser Beethoven ist ein Grenzgänger. Er ist in keine Epoche oder Stilistik einzuordnen. Zuweilen fragt man sich, ob das, was man da hört, überhaupt noch Musik ist.
Fazil Say – ein Grenzgänger ist auch er. Der türkischstämmige Pianist ist als umtriebiger Komponist bekannt. Von ihm ist an diesem Abend das 2013 erstmals aufgeführte dreisätzige Stück „Space Jump“ op. 46 zu hören. Damit stößt das Phaeton Trio eine neue Klangwelt auf, in der brachiale rhythmische Muster, prägnante Themen und Motive, atmosphärisch-assoziative Passagen und leicht skurrile Einfärbungen dominieren. Der „Sprung ins All“ mag auch eine ästhetische Zielrichtung beschreiben: hinaus in die Moderne.
Tatsächlich ist Says Komposition stilistisch kaum einzuordnen. In den Händen des Phaeton Trios wirkt sie dennoch kein bisschen eklektisch, stattdessen bleibt das Ohr konzentriert bei der Sache und vernimmt starke untergründige Spannungen, konfrontative Harmonien und bildhafte Klangkonstellationen, die von Friedemann Eichhorn und seinen beiden Begleitern mit großer Ausdrucksintensität und geradezu bekenntnishaft in Szene gesetzt werden.
Wunderbare Stimmungswechsel
Dvoráks Klaviertrio Nr. 4 e-Moll („Dumky“) mag freilich als Höhepunkt dieses Konzerts gelten. Wunderschön, wie das Trio die Farben schimmern lässt, die Stimmungswechsel mit hoher Sensitivität nachzeichnet und die Tür zum polkahaften Treiben in einem imaginären Festsaal aufstößt. Auch schöpfen die Musiker die Melancholie dieser Musik aus tiefen Brunnen, um hernach die Fantasien dieses sechsteiligen Werkes in ihren unterschiedlichen Lichtwirkungen erblühen zu lassen.
Volkstümliche Idiome und rustikale Wendungen springen das Ohr in der trockenen Akustik des Saals mit harter Direktheit an. Doch dank der hohen musikalischen Erzählkunst und einer klugen dramaturgischen Regie offenbart das Trio das schier unerschöpfliche romantische Potenzial dieser Musik, ohne sie anzubiedern. Beethovens zweiten Satz aus dem Trio opus 11 in B-Dur, dem sogenannten Gassenhauer-Trio, zelebriert das Ensemble in der Zugabe wie einen zarten Gesang.
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