Klassik

Pianistin Buniatishvili wird im BASF Feierabendhaus gefeiert

Dass sich Kathia Buniatishvili intensiv mit dem beschäftigt hat, was den Notentext an Stimmungen und weltanschaulichen Hintergründen überlagert, ist nur eine ihrer Konzerttugenden, befindet unser Kritiker Alfred Huber

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Alfred Huber
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Wenn alles vorbei ist, haben wir in Abgründe geblickt. Schuberts nachgelassene B-Dur-Sonate, mit der Kathia Buniatishvili ihren Klavierabend im Ludwigshafener Feierabendhaus der BASF beginnt, führt uns jedenfalls dorthin.

Pausen und Triller als einschneidende Zäsuren, Hell-Dunkel-Kontraste, unheimliche Tremoli in den Bass-Regionen. Schuberts Weltschmerz in Musik gegossen. Wo Beethoven im Zeitalter der Französischen Revolution vernunftbezogen seine Themen zielstrebig vorantreibt, beschreitet Schubert den Weg der Innerlichkeit. Aus den zuvor eindeutig fixierten gesellschaftlichen Zukunftsmodellen werden im Biedermeier subjektive gefühlsbetonte Selbstbespiegelungen.

Obwohl Kathia Buniatishvili anfangs solche Zeichen persönlicher Seelennot eher zurückhaltend profiliert, begreift man schnell, dass sie sich intensiv mit dem beschäftigt hat, was den Notentext an Stimmungen und weltanschaulichen Hintergründen überlagert.

Das Andante sostenuto spielt sie extrem langsam. Das wirkt zunächst verstörend, erweist sich jedoch mit Blick auf das einleitende Molto moderato als folgerichtig. Hier wie dort nutzt Kathia Buniatishvilli die zahlreichen Abstürze im musikalischen Fluss, um am Rande eines unheilvollen Verstummens beklemmende Vereinzelung auszudrücken.

Stete Transparenz

Vorsichtig herantastend, stets auf Transparenz bedacht, nähert sie sich Schuberts Zerrissenheit, seiner dynamischen Reichweite, die emotional von existenziellen Kältezonen und zwischenmenschlicher Entfremdung erzählt. So ausweglos und todtraurig ist dieser Satz höchst selten zu hören. Auch im Ges-Dur Impromptu greift Kathia Buniatishvili diesen resignierenden Gedanken wieder auf. Das Paradies scheint endgültig verloren. Geblieben ist eine Sphäre der Verlassenheit, die selbst Schuberts „Ständchen“ (bearbeitet von Franz Liszt) bisweilen ins Schattenreich der Melancholie verlagert.

Dem rationalen Zugang zur Welt fügt Kathia Buniatishvili an diesem Abend Franz Schuberts meditative Sichtweise hinzu. Ganz im Unterschied zu Franz Liszts zweiter „Ungarischer Rhapsodie“, mit der sie dann etwas überraschend ihr Programm beendet. Eine brillante – vom Publikum bejubelte – Wiedergabe, zugleich aber auch ein Werk, das sich ebenso wie Prokofjews siebte Klaviersonate als Zugabe, doch eher am klingenden Material als an romantisch versponnenen Visionen orientiert.

Freier Autor Geboren 1941, Studium Musikheorie/Musikwissenschaft, Philosophie, Germanistik, Kunstgeschichte in Mannheim und Heidelberg Volontariat Mannheimer Morgen, Redakteur, anschließend freier Journalist und Dozent in verschiedenen Bereichen der Erwachsenenbildung. Ab 1993 stellvertretender Ressortleiter Kultur, ab 2004 bis zur Pensionierung Kultur-Ressortleiter.

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