Rhein-Neckar. Zwischen alten Reben zu laufen, während einem ein leichter Wind durch die Haare streicht. Aus der Höhe des Hambacher Schlosses bei Neustadt bei 22 Grad Celsius auf eine Region zu blicken, die man zu Hause nennen darf – das ist ein Privileg an sich. Beinahe eine Woche lang bin ich bei viel Sonnenschein und wenig Regen durch meine Heimat zwischen Pfälzerwald und Odenwald gelaufen - 130 Kilometer weit. Selten habe ich so intensiv gefühlt und nachgedacht. Und: Noch nie habe ich so genau hingesehen.
Ich habe Menschen beobachtet, mit Bewohnern gesprochen, Experten getroffen und neue Netzwerke geschlossen. Nun ist mein Kopf voll. Viele Blickachsen sind frisch, einige Sichtweisen verfestigt. Synapsen haben sich neu geknüpft und es ist eine Erkenntnis gereift, die vor mir schon der deutsche Dichter Johann Wolfgang von Goethe formuliert hat: „Nur wo du zu Fuß warst, bist du auch wirklich gewesen.“
Genug salbadert: Wir leben in einer wirtschaftlich starken Region mit rund 2,5 Millionen Menschen, die aber gerade ein paar ordentliche Kratzer abbekommt und sich an mancher Stelle sichtbar im Umbruch befindet. Das zeigen nicht zuletzt Gastro-Pleiten, Leerstände beziehungsweise Ramschläden in Innenstädten sowie die Entwicklung beim Chemie-Weltkonzern BASF oder im regionalen Weinbau.
Dass die Pooldichte im Speckgürtel rund um Mannheim, Ludwigshafen und Heidelberg in den vergangenen Jahren zugenommen hat, wird dennoch niemand ernsthaft bestreiten können. Das wird schon dadurch belegt, dass Poolbauer während der Corona-Zeit gnadenlos ausgebucht waren. Von Existenzdruck und sinkendem Gehaltsniveau kann hier wohl weniger die Rede sein.
Beobachtung während der Wanderung durch die Metropolregion Rhein-Neckar: Mehr Swimmingpools und mehr Pfandsammler
Wie viele Wohnmobile darüber hinaus vor Häusern und in Einfahrten in Orten rechts und links des Rheins geparkt sind, ist eindrucksvoll zu beobachten. Wer schon Geld hatte, um sich in der Pfalz oder an der Bergstraße ein Häuschen hinzustellen, der scheint zuletzt nicht deutlich ärmer, sondern eher reicher geworden zu sein. In Weinheim ist mir das beispielsweise aufgefallen. Oder in den höheren Lagen von Weisenheim am Berg.
Nicht zu verkennen ist aber auch: Gerade in den genannten Städten und auch in Neustadt, Speyer und Bad Dürkheim hat die Anzahl der Menschen deutlich zugenommen, die auf der Straße betteln oder mit bloßen Händen den Müll vor den Straßencafés nach Pfandflaschen durchforsten. Sie sind oft älteren Semesters. Von eigener Wohnung oder gar Haus kann hier keine Rede sein. Es ist kein Geheimnis mehr, dass selbst Doppelverdiener den Traum vom Eigenheim in den attraktiven Städten der Kurpfalz heute sehr oft begraben müssen.
In Ludwigshafen laufe ich vergangenen Dienstag etwa 20 Minuten lang aus Richtung Bahnhof in die Innenstadt, ohne von den Passanten einen einzigen deutschen Satz zu hören. Mitten in der Fußgängerzone begegnet mir ein aufgemotzter Golf mit Münchner Kennzeichen. „Ich liebe Deutschland“, rappt ein Sänger ironisch – mit orientalischer Musik im Hintergrund. Durch meinen Hinweis, dass dies eine Fußgängerzone sei, lässt sich der Junge, der eine türkische Fahne am Innenspiegel hängen hat, nicht beirren.
1,2 Kilometer weiter findet gleichzeitig das andere Ludwigshafen auf der Parkinsel seinen Zuspruch. Beim Festival des deutschen Films treffen sich die Menschen, die sich Kultur noch leisten können und wollen. Sie kommen oft aus dem Umland und haben mit Ludwigshafen selbst meist wenig zu tun. Selbst wenn hier theoretisch eine Begegnung unterschiedlicher Milieus möglich wäre – es kommt eher nicht dazu.
Anwohner beschweren sich immer öfter über Lärm – und gewinnen vor Gericht
Wo begegnen wir uns eigentlich noch? Und wie gehen wir miteinander um? Also die Zuwanderer und die Alteingesessenen. Wo finden Gespräche, Wertevermittlung und Debatten statt? Was spaltet uns so? Diese Fragen stelle ich mir oft während meiner Wandertour. In den kleinen Örtchen gibt es manchmal nur noch ein Geschäft und keinen Dorftresen mehr.
In Weinheim freue ich mich, als ich an der Tram-Halstestelle Stahlbad noch einen Metzger und einen Bäcker direkt nebeneinander finde. Richtige Kneipen, in denen pulsierendes Leben zu beobachten wäre, finde ich eigentlich nur in der Studentenstadt Heidelberg. In der Altstadt kommt man zusammen. Hier wird gefeiert, hier ist es laut. Und: Hier kommt schnell die Polizei, weil einzelne Anwohner seit Jahren gegen die Kneipen vorgehen.
Das Recht des Einzelnen, so haben es Gerichte oft entschieden, gilt mehr als die Interessen einer Mehrheit. Das hat sich beim Dürkheimer Wurstmarkt bewiesen, der seither früher schließen muss. Das zeigt sich beim Filmfestival in LU und beim Brezelfest in Speyer. Eine kleine Einsicht kommt mir während der Tour, als ich mit dem Hockenheimer Gastronomen Harald Schlumpp ins Gespräch komme. Der Betreiber des „Johanneshof“ hat festgestellt, dass die Menschen sich in der Corona-Zeit eben doch verändert haben.
Es gebe einen Rückzug ins Private, vermutet Schlumpp. Nach dem Motto „Eigener Herd ist Goldes wert“. Da hat man weniger Kosten, seine Ruhe und keine ansteckenden Krankheiten. Hat Corona unsere Gesellschaft also ängstlicher gemacht? Oder hat Corona einen ohnehin stattfindenden Prozess nur beschleunigt? Der Speyerer Bischof Karl-Heinz Wiesemann hat zum Ende meiner Wanderung gesagt, dass die Gesellschaft unter einem Vertrauensverlust leide. Der macht offenbar auch vor der liebenswerten Metropolregion an Rhein und Neckar nicht halt.
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