Tötungsdelikt

Wie gewaltvoll war die Beziehung vor dem Tod einer 18-Jährigen in St. Leon-Rot?

Am Tag nach dem Femizid an einer Schülerin kommt der gleichaltrige Beschuldigte ins Gefängnis. Schon im Dezember hatte ihn die Polizei im Blick und richtete Gefährderansprachen an ihn. An der Schule legte man extra Kurse um

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Stephan Alfter
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Jugendliche stehen am Löwenrot-Gymnasium vor einem kleinen Feld von Blumen und trauern um eine 18-jährige Schülerin, die am Donnerstag erstochen wurde. © R. Priebe

St. Leon-Rot. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft hat das Heidelberger Amtsgericht am Freitagmittag Haftbefehl wegen Mordes gegen den 18-jährigen Deutschen erlassen, der beschuldigt wird, am Donnerstagmorgen gegen 10.20 Uhr, im Löwenrot-Gymnasium in St. Leon-Rot eine gleichaltrige Schülerin mit einem Messer angegriffen und tödlich verletzt zu haben. Die beiden waren nach Behördenangaben zeitweise ein Paar. Der Tatverdächtige befindet sich nach Angaben der Ermittler inzwischen in einer Haftanstalt.

Was hat sich in den Minuten vor der schrecklichen Tat am privaten Löwenrot-Gymnasium abgespielt? Und was ist in den zwei Monaten geschehen, seit der nun des Mordes Beschuldigte die Mitschülerin, mit der er im vergangenen Jahr eine Zeit lang zusammen war, erstmals angegriffen hat? Damals, im November, hatte sie ihn wegen vorsätzlicher Körperverletzung angezeigt, wie die Heidelberger Staatsanwaltschaft am Freitag bestätigte. In Chats, die sich Schülerinnen und Schüler untereinander zugeschickt haben, ist davon die Rede, dass er das Mädchen damals krankenhausreif geschlagen habe. Das bleiben aber unbestätigte Gerüchte. Gab es weitere, bisher unbekannte Übergriffe?

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Noch ist wenig aktenkundig. Ein Ermittlungsverfahren zu den Vorgängen im November war jedenfalls kaum vorangekommen. „Wir haben uns die Akten am Donnerstag von der Polizei kommen lassen“, wie Staatsanwalt Jonathan Waldschmidt sagte. Er bestätigte mehr oder weniger, dass der Beschuldigte die Vorwürfe der Körperverletzung gegen ihn irgendwie einräume. Aber: Der 18-Jährige schildere den Hergang anders als sein Opfer. Ein juristisch verhängtes Kontaktverbot habe entgegen anders lautender Berichte nicht existiert, sagte Erster Staatsanwalt Johannes Dasch. Zumindest ein Annäherungsverbot hätte gerichtlich von der Betroffenen erwirkt werden müssen. Diesen Vorgang gebe es nicht, so der Erste Staatsanwalt.

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Es sind viele Fragen, denen sich einmal mehr auch unterschiedliche Behörden am Tag danach stellen müssen. Dass es sich bei der Bluttat um einen Femizid an dem Mädchen handelt, darf kaum bezweifelt werden. Schon wenige Stunden nach dem Tod des Mädchens infolge von Messerstichen sprechen Ermittler von einer Beziehungstat. Eine Gruppe bei Instagram, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, Femizide in Deutschland zu zählen, listet in diesem Jahr schon neun auf. An jedem dritten Tag werde hierzulande eine Frau von Ex-Mann, Ex-Freund oder von ihrem Lebensgefährten getötet, heißt es dort.

Schule beschränkte den Kontakt zwischen Opfer und mutmaßlichem Täter

Die Frage, ob die Tat hätte verhindert werden können, steht nach solch furchtbaren Ereignissen immer im Raum. Die Staatsanwaltschaft teilte am Freitagnachmittag mit, dass es gegenüber dem 18-Jährigen Mitte Dezember mehrere Gefährderansprachen, also Ermahnungen, gegeben habe. War sich die Polizei des Risikos, das von dem Mann ausging, also bewusst? Zum Jugendamt hätten die Beamten zu diesem Zeitpunkt überdies Kontakt aufgenommen. Über die soziale Herkunft des jungen Mannes ist bisher öffentlich nichts bekannt geworden. Auch die Schulleitung wurde von der Polizei informiert. Dort seien von den Verantwortlichen Maßnahmen der Kontaktbeschränkung verhängt worden. Die beiden sollten sich also in der Schule nicht direkt begegnen. Kurse, die die beiden zusammen hatten, seien deshalb umstrukturiert worden, informierte Schulleiter Dirk Lutschewitz am Freitagnachmittag.

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Weil es sich beim Löwenrot-Gymnasium um eine Privatschule handelt, sind weder das Regierungspräsidium Karlsruhe noch das Kultusministerium in der Verantwortung. Eine Sprecherin des Regierungspräsidiums sagte, dass Privatschulen nicht der Dienstaufsicht staatlicher Behörden unterliegen. An der Schule selbst fand am Freitag offenbar eine Gesamtlehrer-Konferenz statt. Deshalb war schon früher klar, dass an diesem trauerreichen Freitag kein Unterricht stattfinden würde.

Da die Polizei Hintergründe zur Tat noch intensiv ermitteln muss, geben bisher nur mitunter missverständliche Gesprächsfetzen aus Whatsapp-Chat-Verläufen von Schülern Auskunft darüber, was sich am Donnerstagmorgen in der Schule abgespielt haben könnte. Zum Beispiel, dass es zunächst einen Feueralarm gegeben habe. Nur der Beschuldigte und das Opfer seien beim Durchzählen nicht da gewesen, schreibt eine Schülerin an eine Freundin in einer Textnachricht, die der Redaktion vorliegt. „Spiegel Online“ berichtet von der Aussage eines Mitschülers, dass sich der Beschuldigte während des Unterrichts entschuldigt habe. Er habe gesagt, dass es ihm nicht gut gehe und daraufhin das Klassenzimmer verlassen - offenbar um die 18-Jährige aufzusuchen.

Gemeinde St. Leon-Rot und Schule tief in Trauer

Am Freitagnachmittag schließlich doch noch eine Pressekonferenz im Rathaus der rund 14 000 Einwohner zählenden Gemeinde: Die stellvertretende Bürgermeisterin Anneliese Runde spricht davon, dass die Ereignisse ein riesiger Schock für die gesamte Gemeinde seien und dass man tiefes Mitgefühl mit der Familie habe. Es falle schwer, das Geschehene in Worte zu fassen. Gemeinde und Schulgemeinschaft müssten nun zusammenstehen.

Schulleiter Dirk Lutschewitz zeigte sich erschüttert. Die Ereignisse machten ihn tief betroffen. Alle Gedanken seien bei den Angehörigen. Nichts mehr sei wie vorher, und an Normalität sei nicht zu denken. Und doch müsse man schrittweise zurück in einen Alltag finden. Viel Gelegenheit zum Sprechen soll es geben, man plane eine Trauerfeier.

Redaktion Reporter in der Metropolregion Rhein-Neckar

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