Blaulicht (mit Video)

Sankt Leon-Rot: Schülerin mit Messer getötet - 18-Jähriger festgenommen

Bei einer Gewalttat an einer Schule in St. Leon-Rot ist eine Schülerin getötet worden. Der mutmaßliche Täter, offenbar ebenfalls ein Schüler, war auf der Flucht. Mittlerweile wurde er festgenommen

Von 
Daniel Kraft , Till Börner , Sophia Gehr und Anna Suckow
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In St. Leon-Rot ist am Donnerstag eine Schülerin in einem Gymnasium getötet worden. Die Polizei geht ersten Erkenntnissen zufolge von einer Beziehungstat aus. © René Priebe

Sankt Leon-Rot. Bei einer Gewalttat an einer Schule in St. Leon-Rot ist am Donnerstag eine 18-jährige Schülerin getötet worden. Wie die Polizei mitteilte, wurde der mutmaßliche Täter, ein ebenfalls 18-jähriger Schüler, schließlich in Seesen in Niedersachsen vorläufig festgenommen. Der Festnahme war laut Polizeiangaben gegen 13:15 Uhr ein Verkehrsunfall des Tatverdächtigen vorausgegangen, als er mit seinem Auto in den Gegenverkehr geriet. Bei dem Zusammenstoß wurde er verletzt.

Ersten Angaben zufolge ging er ebenfalls auf das Gymnasium. Die Beamten gehen nach ihrem bisherigen Ermittlungsstand von einer Beziehungstat aus. Wie Polizei und Staatsanwaltschaft am Nachmittag mitteilten, soll der 18-jährige Tatverdächtige die Schülerin mit einem Messer angegriffen und tödlich verletzt haben. Danach soll er mit einem Fahrzeug die Flucht ergriffen haben. Schwer bewaffnete Polizisten hatten nach der Tat die Schule durchsucht. 

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Bereits vergangenen November hatte die junge Frau laut Polizei Strafanzeige gegen den Tatverdächtigen wegen körperlicher Gewalt erstattet. Abgesehen davon sei er strafrechtlich bislang nicht in Erscheinung getreten.

Die Staatsanwaltschaft Heidelberg beabsichtigt, im Laufe des Freitags beim zuständigen Amtsgericht Heidelberg einen Haftbefehl gegen den Beschuldigten zu erwirken. Die Ermittlungen dauern an.

Nach Gewalttat an Schule in St. Leon-Rot: Täter zunächst auf der Flucht

Zunächst befand sich der mutmaßliche Täter am Donnerstagmittag auf der Flucht. Für die Schülerinnen und Schüler bestehe keine Gefahr, hieß es zu diesem Zeitpunkt. Die Polizei war auch nicht davon ausgegangen, dass Gefahr für die Öffentlichkeit bestand. Aber: «Ich kann nicht in den Kopf der Person reinschauen, vieles ist möglich», hatte ein Sprecher zunächst gesagt.

Im Einsatz war auch ein Rettungshubschrauber. © Priebe

Die Gewalttat hatte sich gegen 10.20 Uhr zugetragen. Es sei noch versucht worden, die Schülerin in der Schule zu reanimieren - erfolglos.

Schule evakuiert - Notfallseelsorger vor Ort

Die Polizei evakuierte die Schule in der Straße "Im Schiff". Rund 600 Schülerinnen und Schüler wurden in einer Veranstaltungshalle gegenüber der Schule untergebracht und danach sukzessive von den Eltern abgeholt.

Neben den Rettungskräften war auch ein Hubschrauber im Einsatz. Auch Notfallseelsorger und zwischen 15 und 20 Polizeifahrzeuge, die Kriminalpolizei und die Feuerwehr wurden nach dem Alarm an den Ort der Schule gezogen. Auch am frühen Nachmittag waren die Zufahrtsstraßen noch abgesperrt. Vor der Schule befand sich ein kleiner, weißer Pavillon des DRK. Vor Ort waren noch viele Einsatzfahrzeuge, auch Zivilfahrzeuge mit Blaulicht. Auch die Schule selbst war noch abgesperrt, in dem Gebäude war die Kriminaltechnik bei der Arbeit.

Zwischenzeitlich wurde das Schulgebäude in St. Leon-Rot gesichert, so die Polizei. © Priebe

Das betroffene Gymnasium wurde 1998 als Privatgymnasium Leimen mit einer Elterninitiative gegründet. Derzeit werden nach Angaben der Schule dort 685 Schüler von 85 Lehrkräften unterrichtet. Die Bildungseinrichtung befindet sich am Rande eines Wohngebietes gegenüber des Rathauses in St. Leon-Rot. 

Innenminister Thomas Strobl: "Leid muss unermesslich sein"

„Diese furchtbare Tat hinterlässt unvorstellbaren Schmerz und tiefe Trauer. Unsere Gedanken sind bei den Angehörigen und der Schulgemeinschaft des Löwenrot-Gymnasiums. Wir tun unser Möglichstes, um den Schülerinnen und Schülern sowie den Lehrkräften zu helfen“, sagt Kultusministerin Theresa Schopper am Donnerstag.

Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl bekundete den Angehörigen der getöteten 18-jährigen Schülerin sein Beileid. "Unsere Gedanken sind bei den Angehörigen und Freunden der verstorbenen Schülerin. Ihr Leid muss unermesslich sein", sagte der CDU-Politiker am Donnerstag der Deutschen Presse-Agentur. "Mit seiner Tat hat ein Heranwachsender einen anderen Menschen mitten aus dem Leben gerissen. Dank intensiver Fahndungsmaßnahmen konnte die Polizei den flüchtigen Täter sehr schnell auffinden und festnehmen." Strobl dankte den Polizei- und Rettungskräften. "Der gesamten Schulgemeinschaft wünschen wir, dass sie dieses schlimme Ereignis bestmöglich verarbeiten können."

Auch am frühen Nachmittag waren noch Einsatzfahrzeuge vor Ort. © Börner

Vergangenen November: Gewalttat an Schule in Offenburg

Die Tat erinnert an eine andere Gewalttat im vergangenen November in Offenburg. Damals hatte ein 15 Jahre alter Schüler einen Gleichaltrigen in einer sonderpädagogischen Schule erschossen. Der Angriff des Deutschen hatte sich nach Polizeiangaben in der 9. Klasse des Tatverdächtigen abgespielt. Der 15-jährige Schüler war demnach in sein Klassenzimmer gekommen und hatte seinem Mitschüler mit einer Handfeuerwaffe in den Hinterkopf geschossen.

Solche Fälle sind in Deutschland selten

Dennoch sind solche Ereignisse selten. "Natürlich ist jeder Fall einer zu viel", sagte Klaus Seifried vom Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP). "Aber wenn man Deutschland mit den USA vergleicht, ist Deutschland absolut friedlich." Und wenn man die Vorfälle in Offenburg und St. Leon-Rot ins Verhältnis zu Millionen von Schülerinnen und Schülern setze, sei Schule ebenso friedlich. Jugendliche und junge Erwachsene, die solche Taten begehen, seien oft einsam und hätten Probleme.

Die Hemmschwelle, eine Waffe einzusetzen und jemanden zu töten, ist aus seiner Sicht infolge von Computerspielen wie sogenannten Ego-Shootern gesunken. Dabei lerne man, Gegner mit Schusswaffen zu töten. "Solche Spiele sind entwickelt worden, um die Sensibilität von Soldaten im Kriegseinsatz zu senken", erklärte Seifried. "Das passiert auch bei Schülern." Auch breite Medienberichterstattung könne Menschen animieren, "so einen Irrsinnsweg zu gehen".

Eltern sollten sich nach Seifrieds Worten Zeit nehmen und fragen, wie es ihren Kindern geht. "Auch für 15-, 16-, 17-Jährige." Viele wüssten nicht, was ihre Kinder am Computer treiben, welche Sorgen sie haben.

Schulleben ist wichtiger Faktor bei Prävention

Gewalt unter Kindern und Jugendlichen hat nach Einschätzung von Prof. Sibylle Winter nicht zuletzt infolge der Corona-Pandemie zugenommen. Das zeige sich sehr selten in schwerster Gewalt wie den beiden Tötungsdelikten in Baden-Württemberg, sagte die stellvertretende Klinikdirektorin und leitende Oberärztin der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters an der Berliner Charité. "Aber es gibt mehr emotionale Gewalt. Es wird mehr geschrien, mehr beleidigt." Mobbing beispielsweise nehme zu.

Als Grund nannte die Expertin unter anderem die Lockdowns mit geschlossenen Schulen und dem sogenannten Homeschooling. "Corona hat die Menschen drei Jahre lang ausgeknockt", sagte Winter. Vor allem in der Schule, im Miteinander erwerbe man aber soziale Kompetenzen. "Das lernt man nicht, wenn man allein vorm Computer sitzt." Daher sei es wichtig, in der Schule zusammen zu sein.

Gerade 15-Jährige wie der mutmaßliche Täter in Offenburg und 18-Jährige wie der Verdächtige in St. Leon-Rot seien in einer Altersspanne, in der man wichtige Schritte mache - vom pubertierenden, bisweilen rebellierenden Teenager zum Erwachsenen. "Das dürfen wir nicht unterschätzen." Auch das Umfeld wie Eltern und Schule als mögliche Ansprechpartner spielten hier eine Rolle.

Schule könne ein stabilisierender Faktor sein, gerade wenn es die Verhältnisse im Elternhaus womöglich nicht sind, sagte Seifried, der auch 2. Vorsitzender der Sektion Schulpsychologie im BDP ist. "Schule ist nicht nur ein Ort der Wissensvermittlung, sondern vor allem ein Ort des sozialen Miteinanders." An Schulen, die Wert auf gutes Klassen- und Schulklima legen, gebe es weniger Gewalt als an solchen, an denen Anonymität, Konkurrenz und Leistungsdruck herrschen. Auch die Leistungen würden besser, wenn ein gutes Schulklima, Beziehungsaufbau und Partizipation gefördert würden.

"Trotzdem können wir solche Taten nicht verhindern"

Ein wichtiges Frühwarnsystem seien Mitschüler, sagte der Psychologe. Sie bekämen mit, wenn jemand abdrifte, es jemandem nicht gut gehe. Das sei mit viel Verantwortung verbunden. Manche Schulen bildeten Streitschlichter oder Konfliktlotsen aus, die dann hinreichende Sensibilität und Kompetenz hätten. Sollte die Polizei eingeschaltet werden müssen, sollten dies aber Erwachsene machen.

Wichtig findet Winter, dass Schulen Schutzkonzepte etablierten. Dazu gehöre ein Verhaltenskodex, der Verhaltensregeln festlegt wie gegenseitiger Respekt und Verzicht auf Gewalt.

"Trotzdem können wir solche Taten nicht verhindern", sagte Seifried. "Wenn jemand dort aufwächst, wo Gewalt als Methode der Konfliktlösung vorgelebt wird, kann Schule nur in begrenztem Maße kompensatorisch dagegen vorgehen." Auch aus therapeutischer Sicht macht es laut Winter einen Unterschied, ob ein Täter etwa aus Frustration aggressiv wird oder mit Gewalt groß wurde. "Wer gelernt hat, mit Aggressionen Probleme zu lösen, ist therapeutisch schwerer erreichbar." (mit dpa)

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