Hintergrund

Was Corona mit dem Sinsheimer HNO-Arzt Bodo S. machte

Zu Beginn der Pandemie wurde der 54-Jährige zur Führungsfigur der Pandemie-Leugner. Inzwischen präsentiert er sich als Kämpfer, der alles verloren hat. Der Versuch eines Psychogramms.

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Stephan Alfter
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Der Arzt Bodo Schiffmann spricht bei einer Kundgebung von Gegnern der Coronaschutzmaßnahmen in Hamburg. © dpa

Sinsheim. In einer Zeit, in der man „Corona“ nur als Bier mexikanischer Provenienz kannte, da gab es in Sinsheim einen Mann, der als politischer Aktivist nur wenig ambitioniert war und der seinen Lebensunterhalt als HNO-Arzt in einer recht gut frequentierten Praxis verdiente. Gemeinsam mit seiner Frau Mechthild war er nicht schlecht darin - so erzählen es zumindest frühere Patienten -, die Ursachen von Schwindel zu lokalisieren und zu bekämpfen. „Schwindel-Ambulanz“ hieß das Geschäft folgerichtig - ein Begriff, der seit dem Frühjahr 2020 zum geflügelten Wort geworden ist.

Es war die Zeit, als Bodo Schiffmann damit begann, die Corona-Politik der Bundesregierung zu hinterfragen und zu kritisieren - anfangs zaghafter und wenigstens teilweise noch um Quellenstudium bemüht, später hysterisch und mit sichtbar blank liegenden Nerven vor eilig eingerichteten Videoscreens. Erst auf Youtube, dann auf anderen Kanälen triggerte er sich selbst und Tausende seiner fast gläubigen Anhänger mit teilweise skurrilen Botschaften und immer kruder klingenden Verschwörungstheorien. Sein Erscheinungsbild veränderte sich damals: Er sah zunehmend abgespannt aus und immer weniger wie ein vermeintlich aufgeräumter HNO-Arzt. Zuschauer konnten sich fragen, ob der Mann psychisch auf der Höhe ist. Innerhalb weniger Tage potenzierte sich die Zahl seiner „Fans“. Im Mai 2020 hatte er 133 000 Abonnenten auf seinem Youtube-Kanal der Sinsheimer Schwindel-ambulanz. Er positionierte sich - obwohl er kein Virologe ist - als Gegenexperte beispielsweise zu Christian Drosten und forderte Widerstand gegen die Bundesregierung. Er wollte alle, die an dem „Genozid“ beteiligt sind, „zur Rechenschaft ziehen.“ Corona sei eine normale Grippe, ließ er seine Zuschauer wissen. Die Quarantäne-Maßnahmen verglich er mit den Konzentrationslagern der Nazi-Zeit.

Alle zur Rechenschaft ziehen, die sich das ausgedacht haben
Bodo Schiffmann zu den Coronamassnahmen

Etwas mehr als zwei Jahre später ist von Schiffmanns Sinsheimer Praxis nichts mehr übrig. Ein Video, das wohl im Mai 2022 in Tansania aufgenommen wurde und das dann auf Twitter die Runde machte, zeigt den Mediziner, wie er erzählt, dass er früher 10 000 Euro pro Tag verdiente, dass er 1,2 Millionen Euro Umsatz machte und dass er ein Haus und drei Autos besessen habe. Er habe seine Karriere, seine Freiheit und sein Leben geopfert, sagt er.

Gegen den 1968 in Bonn geborenen Mediziner, der sein Abitur in Worms machte, wird schon länger an seinem einstigen Studienort Heidelberg ermittelt. Bodo S. heißt der Corona-Leugner in den Veröffentlichungen des Landgerichts. Die Anklageschrift, die im Januar nicht Schiffmann selbst, sondern seinem in Schleswig-Holstein ansässigen Generalbevollmächtigten Ivan Künnemann zugestellt wurde, lautet auf „Verdachts des Ausstellens unrichtiger Gesundheitszeugnisse“. Es geht um Atteste, in denen Schiffmann dokumentierte, dass seine Patienten keine Masken tragen könnten, obwohl er sie gar nicht untersucht haben soll. Außerdem geht es um besagte Verharmlosung des Holocausts. Schiffmann selbst hält sich mit seiner Familie seit dem Jahr 2021 in Afrika auf und kommt derzeit nur sporadisch nach Deutschland. Künnemann erklärt diesen Umstand mit Morddrohungen, die es nicht nur gegen Schiffmann, sondern auch gegen seine Tochter gegeben habe. Es gehe ihm nicht darum, sich der Rechtssprechung zu entziehen.

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In rund 35 Minuten zeichnete Künnemann am Dienstag gegenüber dieser Redaktion das Bild eines Mannes, der für kurze Zeit relativ hoch geflogen - und dann auch tief gefallen ist. Künnemann und Schiffmann trafen sich demnach zu Beginn der Corona-Zeit bei verschiedenen Anlässen, und es habe sich ein Vertrauensverhältnis entwickelt. In einigen Fragen war man ähnlicher Ansicht. Künnemann lässt durchblicken, dass auch er als Jurist in vielerlei Hinsicht Zweifel an den Maßnahmen der Regierung gehabt habe - etwa hinsichtlich des Versammlungsrechts. Auch Gerichte äußerten sich dahingehend heute anders als in der Hochphase der noch immer nicht ausgestandenen Pandemie, so Künnemann. Aber: Er vertrete Schiffmann nicht anwaltlich, sondern kümmere sich darum, dass während dessen Abwesenheit, „kein Kind in den Brunnen fällt“.

Ich denke nicht, dass da etwas herauskommen wird
Ivan Künnemann Bodo Schiffmanns Bevollmächtigter

Trotzdem klingt aus Künnemanns Worten Verständnis und Sympathie für Schiffmann. Dieser habe sich in seinen Videos anfangs um extreme Sachlichkeit bemüht, später aber „Angriffspositionen geliefert und Missinterpretationen zugelassen“. In dieser Zeit habe sich Schiffmann, von Sternzeichen Steinbock, auch in seinem Wesen verändert. Der Druck der Öffentlichkeit habe zugenommen. Darauf habe Schiffmann nach außen mit Zynismus reagiert. Künnemann, der auf seinem Facebook-Profil Sympathien für die Partei „Die Basis“ zur Schau trägt, sagt nicht, dass Schiffmanns Statements zunehmend extreme Auswüchse hatten. Das ist insofern nicht sehr verwunderlich, als dass „Die Basis“ in Deutschland seit Sommer 2020 als der politische Arm der Querdenker-Bewegung gilt.

Die Videos, um die es in einer bisher nicht terminierten Hauptverhandlung gehen soll, will der Generalbevollmächtigte des Sinsheimers bisher nicht gesehen haben. Bei der juristischen Bewertung vor Gericht gehe es darum, zu sehen, ob Schiffmanns Holocaust-Vergleiche von der Meinungsfreiheit gedeckt seien. „Ich denke nicht, dass dabei etwas herauskommen wird“, sagt Künnemann und geht insofern davon aus, dass Schiffmann straffrei bleiben wird.

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Dass es noch nicht zur Eröffnung des Hauptverfahrens gekommen ist, ist nach Aussage von Ina Untersteller, Richterin am Landgericht Heidelberg, darauf zurückzuführen, dass die Frist zur Stellungnahme für Verteidiger weiträumig verlängert wurde. Schiffmann kann sich insofern aufhalten, wo er möchte. Für eine Untersuchungshaft sind Tatvorwurf und zu erwartende Strafe aus Sicht des Gerichts nicht drastisch genug. Die Obergrenze für die Schiffmann vorgeworfene Variante der Volksverhetzung beträgt demnach fünf Jahre Freiheitsstrafe.

Ob der Mediziner mit seiner Familie zurückkehrt, ist unbekannt. Der Versuch, ihn am Dienstag auf seinem Mobiltelefon zu erreichen, scheiterte. Nach Aussage Künnemanns will er ein kleines Hotel in Tansania betreiben. Anders klang das in der entsprechenden Telegram-Gruppe Schiffmanns. „Für alle, die sich retten wollen“, hieß es dort im vergangenen Jahr.

Redaktion Reporter in der Metropolregion Rhein-Neckar

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