Walldorf. Müssen sich Katzen im Walldorfer Süden weiter mit dem Blick durchs Fenster ins Freie begnügen - oder wackelt die von der Unteren Naturschutzbehörde des Rhein-Neckar-Kreises verhängte Ausgangssperre für Freigänger? Ein vom Tierschutzverein Wiesloch-Walldorf in Auftrag gegebenes Gutachten kommt nun jedenfalls zu dem Ergebnis, dass die Mitte Mai zum Schutz der brütenden Haubenlerche - einer stark bedrohten Vogelart - erlassene Allgemeinverfügung rechtswidrig ist. Erstellt wurde das 19-seitige Papier durch den Deutschen Tierschutzbund, die Deutsche Juristische Gesellschaft für Tierschutz und den Landestierschutzverband Baden-Württemberg.
Beanstandet wird darin gar nicht unbedingt das Verbot für Freigänger an sich, sondern vielmehr „formelle und materielle Mängel“. So fehle in formeller Hinsicht eine wirksame öffentliche Bekanntmachung. Daneben sei die Verfügung wegen eines nicht klar abgrenzbaren Geltungs- und Gefahrenbereichs angreifbar. Auch die Aussage, dass sich durch den Freigang der Katzen eine signifikante Erhöhung des Tötungsrisikos der zu schützenden Haubenlerchen ergebe, beruhe auf unvollständigen und veralteten Erkenntnissen.
Die Allgemeinverfügung
- Zum Schutz brütender Haubenlerchen hat der Rhein-Neckar-Kreis eine Allgemeinverfügung erlassen, wonach Halter von Freigänger-Katzen in Walldorf ihre Tiere für fünf Monate im Jahr einsperren müssen.
- Die Verordnung gilt bis 2025 – immer ab dem 1. April bis zum 31. August. Bei Verstößen drohen Bußgelder bis zu 50 000 Euro.
- Ausnahmen sind möglich, wenn die Katzen im Freien mit maximal zwei Meter langen Leinen geführt werden oder mittels GPS-Tracking nachgewiesen werden kann, dass sich die Tiere nicht im Gefahrenbereich bewegen.
- Der Geltungsbereich liegt im Süden Walldorfs und umfasst rund ein Drittel des Ortsgebiets. Betroffen sind Hunderte Haushalte.
- Ziel ist der Schutz der bedrohten Haubenlerche, deren Population in den vergangenen Jahren stark geschrumpft ist. Drei Paare gibt es derzeit in Walldorf, von denen zwei brüten.
Widerspruch wird geprüft
Im Fazit des Gutachtens bemängeln die Autoren zudem, dass keine Daten dargelegt werden, die die Verhältnismäßigkeit der Ausgangssperre überprüfbar machen. „Mögliche Maßnahmen, die in anderen Gemeinden, welche auf das Verbot des Freigangs verzichten, nicht nur zum Erhalt, sondern zur Erhöhung der Population führen, bleiben unberücksichtigt“, heißt es darin. Das Einsperren der Freigänger werde von der Unteren Naturschutzbehörde als alternativlos dargestellt.
Silke Hartmann, Sprecherin des Landratsamts des Rhein-Neckar-Kreises, bestätigt den Eingang des Gutachtens auf Nachfrage dieser Redaktion. „Es wurde uns im Rahmen eines Widerspruchs gegen die Allgemeinverfügung als Begründung vorgelegt“, schreibt sie. „Wir werden das Gutachten eingehend prüfen und gegebenenfalls dann den Widerspruch mit dem Gutachten dem Regierungspräsidium Karlsruhe als zuständiger Behörde zur Entscheidung vorlegen.“ Ein solches Widerspruchsverfahren müsse zunächst durchlaufen werden, ehe eine Klage gegen die erlassene Verordnung möglich sei. Auf die konkret im Gutachten genannten Mängel geht Hartmann nicht ein.
Eine in dem Papier aufgeworfene Frage räumt sie jedoch aus. Nämlich die, ob denn im definierten Gefahrenbereich derzeit überhaupt zumindest ein Brutpaar der Haubenlerche brüte. „Es halten sich wieder drei Paare in dem besagten Gebiet auf, wobei bisher von zwei Paaren Brutgeschehen beobachtet wurde“, so die Sprecherin. Auf maximal drei Paare sei die Population in diesem Gebiet in den vergangenen Jahren zusammengeschrumpft - nach Ansicht der Unteren Naturschutzbehörde unter anderem wegen den gefräßigen Freigänger-Katzen.
Was die „Strafverfolgung“ bei Verstößen gegen die Ausgangssperre angeht - immerhin werden Bußgelder bis zu 50 000 Euro angedroht, sollte eine Haubenlerche durch einen Freigänger zu Schaden kommen - war bis zuletzt viel im Unklaren geblieben. Mit der Beobachtung der Haubenlerchen vor Ort ist das Wieslocher Büro Spang.Fischer.Natschka beauftragt. Informationen zum genauen Aufgabenfeld, zur Regelmäßigkeit der Kontrollen vor Ort und zur Zahl der bisherigen Verstöße waren dort auf Nachfrage dieser Redaktion jedoch nicht zu erlangen.
Stadt hält sich raus
Kreissprecherin Hartmann berichtet, dass bislang „einzelne Verstöße angezeigt“ worden seien. „Hier wird zunächst nochmals auf die Katzenhalter zugegangen“, erklärt sie. Bußgeldverfahren wegen ausgebüxter Katzen seien also bislang noch nicht eingeleitet worden. Unterdessen haben sich aber auch noch keine Katzenhalter oder -halterinnen aus Walldorf bei der Unteren Naturschutzbehörde gemeldet, um ein GPS-Tracking für das eigene Tier anzumelden. Denn vom Katzen-Lockdown ausgenommen werden diejenigen Tiere, deren Besitzer mittels GPS-Daten nachweisen können, dass sie sich während der Brutzeit nicht im Gefahrenbereich aufhalten.
Der Bereich Ordnung und Umwelt der Stadt Walldorf hat indes mit der Kontrolle der Verordnung nichts am Hut. „Wir werden einen Teufel tun, uns da einzumischen geschweige denn, jemanden abzustellen“, sagt eine Sprecherin auf Anfrage. „Wir distanzieren uns ganz klar von diesem gesamten Thema.“ Auch Bürgermeister Matthias Renschler hatte sich zuletzt schon kritisch über den Katzen-Lockdown geäußert.
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