Walldorf. Sandra Meier ist wütend. Und fassungslos. Meier, die eigentlich anders heißt und ihren echten Namen nicht in den Medien lesen will, kann nicht glauben, was derzeit in ihrer Walldorfer Heimatgemeinde passiert. Von jetzt an bis Ende August dürfen Katzen im Walldorfer Süden nicht mehr im Freien umherstreifen. Dieses Jahr nicht, und auch in den kommenden Jahren bis 2025 nicht. Katzenhalter sind angewiesen, dafür zu sorgen, dass sich ihre Tiere ausschließlich in ihren Wohnungen und Häusern aufhalten. Der Grund: Die vom Aussterben bedrohte Haubenlerche soll während ihrer Brutzeit geschützt werden. Anfang der Woche hat die Untere Naturschutzbehörde des Rhein-Neckar-Kreises eine entsprechende naturschutzrechtliche Allgemeinverfügung erlassen.
Rechtliche Schritte
„Zwei Jahre lang haben wir unsere Kinder eingesperrt, jetzt ist die Katze dran“, sagt Meier. Aber wie solle man einem Tier erklären, dass es von einem auf den anderen Tag nicht mehr ins Freie dürfe, nicht einmal mehr in den hauseigenen Garten? „Wir haben die Katze vor vier Jahren zu uns geholt, weil wir ihr ein gutes Leben bieten wollten.“ Meier seufzt.
Im Rathaus klingelt seit Anfang der Woche immer wieder das Telefon. Bürgermeister Matthias Renschler bekommt Briefe und Mails. Dabei ist er - wie alle Walldorfer - nur informiert worden, sagt der Bürgermeister. „Ich halte die Verfügung für unverhältnismäßig und realitätsfern“, sagt Renschler. Die Stadt habe keine Handhabe, dagegen vorzugehen. Gespräche mit den Verantwortlichen der Unteren Naturschutzbehörde seien bislang ergebnislos geblieben.
Nicht nur die Forderung, sein Tier über Monate einzusperren, sondern auch die Alternativvorschläge, die der Rhein-Neckar-Kreis veröffentlicht hat, findet der Bürgermeister problematisch. „Die Verordnung schlägt vor, die Katze für den Zeitraum bei Freunden oder im Tierheim unterzubringen - da fehlt mir einfach der Zugang“, sagt Renschler. Der Jurist zeigt großes Verständnis für alle Walldorfer, die aktuell rechtliche Schritte prüfen. „Interessant ist, dass es hierzu noch keine Rechtssprechung gibt, das ist ein Präzedenzfall, den es so zumindest in Baden-Württemberg noch nicht gegeben hat.“ Zu denen, die rechtliche Schritte anpeilen, gehört der Tierschutzverein Wiesloch-Walldorf.
„Der Tierschutzverein klärt im Augenblick mit Juristen ab, inwieweit die Allgemeinverfügung verhältnismäßig ist und ob die Maßnahme zur Erreichung des Ziels geeignet, erforderlich und angemessen ist oder ob es mildere Mittel zum Erreichen gibt“, heißt es in einer Stellungnahme des ersten Vorsitzenden, Volker Stutz. Mehr möchte Stutz im Moment nicht sagen.
Werden freilaufende Katzen im Areal gesichtet, dass die Behörde für die Vierbeiner zum Sperrgebiet erklärt hat, drohen Haltern Bußgelder bis zu 500 Euro. Sollte einer der Vögel verletzt oder getötet werden, stehen Beträge von bis zu 50 000 Euro im Raum.
Ausnahmen von der Regelung sind nur dann möglich, wenn die Katzenhalter per GPS-Daten nachweisen können, dass das eigene Tier nicht auf dem Haubenlerchen-Gebiet unterwegs ist. Die Dokumentation hätten sie allerdings vor der Brutzeit vornehmen müssen, um ihre Tiere aktuell von der Regel befreien zu lassen.
Alternativ erlaubt die Verfügung auch, die Katze an der Leine zu führen. Diese darf aber nicht länger als zwei Meter sein. „Das ist gelinde gesagt ein Witz“, sagt Katzenpsychologin Carmen Schell, bekannt aus den VOX-Sendungen „Hundkatzemaus“ und „Wenn keiner guckt - das geheimnisvolle Leben unserer Katzen“. Sie empfiehlt bei einem Leinentraining eine mindestens fünf bis zehn Meter lange Schleppleine. Auch den Vorschlag des GPS-Trackings sieht sie kritisch, weil die Katze dazu ein Halsband tragen muss: „Hier besteht das Restrisiko einer Strangulation“, so die Expertin.
Ohnehin bedeute die Verfügung großen Stress für die Tiere. „Katzen haben einen großen Freiheitsdrang“, sagt Schell. Dürften die Tiere von einem Tag auf den anderen nicht mehr ins Freie, sinke die Laune und die Tiere werden aggressiv. Auch gesundheitliche Folgen sind laut Schell möglich: „Es gibt Tiere, die ihr Geschäft nur im Freien verrichten.“ Sei dies nicht machbar, halte das Tier mehr und mehr ein. Wird die Blase zu selten entleert, könne das zu Blaseninfektionen führen, so Schell.
Aktuell werden die Brutplätze durch einen meterhohen Zaun geschützt. „Dieser ist schon einmal ein Hindernis für Katzen und Füchse“, sagt Wolfgang Högerich, der Vorsitzende der NABU-Ortsgruppe Walldorf-Sandhausen. Dennoch begrüßt er die Allgemeinverfügung. „Sie lenkt die Aufmerksamkeit auf dieses wichtige Thema“, sagt Högerich, der allerdings seine Zweifel an der Umsetzbarkeit hat. „Wie soll man den Tierhaltern denn auf die Spur kommen?“, fragt er. Einige Tiere sind zwar tätowiert oder haben einen Chip im Ohr, den der Tierarzt auslesen kann. Doch in den meisten Fällen dürfte es schwierig werden, die Tiere einem Halter zuzuordnen.
Der drastische Schritt sei nötig, weil vorangegangenen Maßnahmen - Zäune oder vorübergehende Baustopps - die Haubenlerche während ihrer Brutzeit nicht ausreichend geschützt hätten, erklärt ein Sprecher des Rhein-Neckar-Kreises. Für den Schutz der Haubenlerche haben viele Katzenbesitzer Verständnis. Und doch fragen sie sich, wie es nun für sie weitergehen soll. „Da ist guter Rat wirklich teuer“, sagt Expertin Schell. „Eine solche Verordnung ist für Freigänger-Katzen eine Zumutung.“
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