Walldorf. Katzen, die aus Lagerkoller Vorhänge zerfleddern, Möbel zerkratzen und Polster ruinieren – in Walldorf-Süd droht handfeste Katzenrandale. Denn ab sofort dürfen die Tiere in einem großzügig abgesteckten Bereich im Süden der 15 000-Einwohner-Stadt, ganz in der Nähe der SAP-Zentrale, von ihren Haltern nicht mehr aus dem Haus gelassen werden, um brütende Haubenlerchen zu schützen (wir berichteten). Nun hat auch die Tierrechtsorganisation Peta Stellung dazu bezogen, während die Landesregierung keine Kenntnis von dem Vorgang hatte.
So wurde das Umweltministerium genauso überrascht wie die Betroffenen. „Wir wissen von nichts“, heißt es hier. Peta hat sich dagegen bereits mit dem Fall befasst: „Es ist viel zu kurz gedacht, Katzen zum ,Buhmann‘ für eine verfehlte Landwirtschafts- und Tierschutzpolitik zu erklären. Verantwortlich für die Gefährdung der Haubenlerche und vielen weiteren Tierarten ist nachweislich die Intensiv-Landwirtschaft mit all ihren negativen Auswirkungen wie das Insektensterben und die Zerstörung von Lebensräumen“, heißt es in einer Stellungnahme.
Auch die Landestierschutzbeauftragte Julia Stubenbord sieht die Verordnung kritisch: „Es ist sehr kritisch, Katzen länger einzusperren. Das bedeutet erheblichen Stress und Leid, wenn man den Freigang völlig beschneidet“, sagte sie.
Der Katzen-Lockdown, der bis Ende August und danach auch in den Folgejahren bis 2025 gelten soll, ist das Werk der Unteren Naturschutzbehörde im Landratsamt des Rhein-Neckar-Kreises. Dieser geht es um den Schutz der Haubenlerche, eines selten gewordenen Singvogels. Um dessen Aussterben zu verhindern, droht der Kreis mit drakonischen Strafen. Sollte eine Katze im Schutzgebiet umherstreifen, werde gegen den Halter ein Zwangsgeld von 500 Euro verhängt. Sollte eine Katze auf frischer Tat – beispielsweise mit Vogel im Maul – ertappt werden, wird es erst richtig teuer. Dann ist sogar eine Geldbuße von bis zu 50 000 Euro möglich.
Drei Brutpaare in Walldorf
Die Haubenlerche steht in Deutschland auf der Roten Liste. Die wenigen Brutgebiete, die es in Baden-Württemberg gibt, konzentrieren sich auf die nördliche Oberrheintiefebene. Seit Jahren wird der schwindende Bestand von einem Fachbüro überwacht. Trotz vieler Bemühungen sei es aber nicht gelungen, das Vorkommen zu stabilisieren. So habe sich die Zahl der Brutpaare im Raum Walldorf zuletzt von sechs auf drei halbiert. Auch Elstern, Rabenkrähen, Füchse und Marder setzten dem Bestand zu, räumen die Experten ein. Die Freigänger-Katzen seien nur einer von mehreren Faktoren, in Walldorf wegen der Nähe zu einem Neubaugebiet aber nicht zu unterschätzen. Immer wieder seien vor allem Jungvögel Hauskatzen zum Opfer gefallen.
Katzenfreunde laufen Sturm
„Wir werden überschwemmt von Beschwerden aufgebrachter Bürger“, sagt Bürgermeister Matthias Renschler. Er ist nicht begeistert und sieht es ähnlich wie Ursula Gruss-Uhrig. „Freigänger-Katzen in einer Wohnung festzusetzen, das ist fast Tierquälerei“, sagt die Leiterin des Tierschutzvereins Arche Noah im nahen Schwetzingen. Wer die Freiheit gewohnt sei, lasse sich nicht zum Stubentiger degradieren. „Die Tiere gehen Ihnen die Wände hoch.“ Sie rate den Haltern, mit ihren unterforderten Katzen viel zu spielen, sagt Gruss-Uhrig. „Aber Berufstätigen ist das ja kaum möglich.“ Mit den Ausnahmeregelungen durch GPS-Tracking oder maximal zwei Meter lange Leinen kann die Expertin nichts anfangen.
Man solle doch lieber Baumstämme präparieren, damit die Katzen nicht hinaufkämen, sagt Gruss-Uhrig. Doch das würde nicht helfen. Die Haubenlerche ist Bodenbrüter, ihr flugunfähiger Nachwuchs den Katzen hilflos ausgeliefert. Auch sonst macht es die Haubenlerche ihren Beschützern nicht leicht. Bei der Ausweisung des Walldorfer Neubaugebiets war extra ein Gelände als neues Habitat ausgewiesen worden – mit idealen Bedingungen, wie die Naturschützer dachten. Doch die Haubenlerche brütet weiterhin lieber im Neubaugebiet. Sogar Baustopps mussten deshalb verhängt werden.
Im Landkreis Karlsruhe, wo die Haubenlerche bei Rheinstetten brütet, ist bisher kein Hausarrest für Katzen im Gespräch. Das Problem Hauskatze sei im Zusammenhang mit dem Schutz des Vogels bisher nicht bekanntgeworden, sagt ein Sprecher. Die ersten Anwohner drohen derweil mit Klagen. In der Unteren Naturschutzbehörde ist man sich jedoch sicher. Man habe die widerstreitenden Rechtsgüter abgewogen. „Die Maßnahme ist geeignet, erforderlich und angemessen.“
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