Balu ist ein freundliches Tier. Im Stadtteil Kleingemünd gibt es zwischen Waldrand und Neckarufer wohl kaum einen Hundebesitzer oder Spaziergänger, der das Jungtier mit den lustigen Schlappohren und den melancholischen Brombeeraugen nicht kennt. Um so größer ist die Anteilnahme, als vor einigen Tagen überall das Foto des zweieinhalbjährigen Beagles zu sehen ist. Ob beim Discounter, an Laternenpfosten oder an Baumstämmen: „Beagle entlaufen. Bei Sichtung bitte melden“ ist unter dem Bild zu lesen.
Die besorgten Besitzer lassen nichts unversucht, um auf das Verschwinden der jungen Hündin aufmerksam zu machen. Nach vier Tagen, als die Hoffnung, Balu noch jemals wiederzusehen, fast erloschen ist, wird sie gefunden. „Verletzt, aber lebt“ postet die Besitzerfamilie. Ende gut. alles gut? Keineswegs, denn was dem kleinen Temperamentsbündel zugestoßen ist und ob es seine vier Pfoten jemals wieder tragen können, ist noch völlig ungewiss.
Was oder wer trägt Schuld daran, dass die Hinterläufe und der Schwanz derart gequetscht wurden?
Und so sehr sich die vierköpfige Familie über die Rückkehr des wuseligen Kerlchens freut, so quälen sie doch immer noch jede Menge Fragen um die rätselhaften Umstände seines plötzlichen Verschwindens. Was oder wer trägt Schuld daran, dass die Hinterläufe und der Schwanz des braun-weißen Mädchens derart gequetscht wurden? War es ein Unfall mit einem Pkw? Ist Balu vielleicht doch ins Bahngleisnetz geraten oder von einem Rasenmäher erwischt worden? Oder ist sie in eine illegal aufgestellte Tierfalle getreten? Wie konnte sie so schwer verletzt in freier Wildbahn vier Tage lang überleben, um schließlich dort wiedergefunden zu werden, wo sie entlaufen ist?
„Es war ein Morgen wie jeder andere“, erinnert sich die Halterin an jene Stunden, bevor Balu verschwand. Wie jeden Tag holt die Mutter einer Dreizehnjährigen und eines Zehnjährigen den Border Collie einer Nachbarin ab: „Die ist Balus Freundin.“ Sie bringt die Hündinnen auf eine Wiese am Neckar: „Dort toben die beiden immer gerne.“ Da die Tiere in dem begrenzten Areal immer vollauf mit sich beschäftigt sind, „ist noch nie eines der Mädels abgehauen“, versichert die Halterin von Balu, die auch andere Hundebesitzer als stets sehr umsichtig und verantwortungsvoll beschreiben. „Im Wald lasse ich sie grundsätzlich nie von der Leine. Aber ich dachte, dort seien sie sicher. Deshalb hatte ich auch keine Ortungstracker dabei.“ Die Hündinnen spielen wie immer im Gras. „Und ich war einen Moment von einem vorbeifahrenden Neckarschiff abgelenkt. Nur ein paar Sekunden, aber plötzlich konnte ich die Zwei nicht mehr sehen.“ Alles Rufen nützt nichts. Die Tiere zeigen sich nicht. Dann bellt der Border Collie, ein Fahrzeug bremst. „Es gab einen Knall und ich bin sofort in Panik zur Straße gerannt, aber da war nichts.“ Kein verletzter Vierbeiner, kein Auto: „Noch nicht einmal eine Bremsspur.“
Nach einer Stunde taucht der Border Collie wieder auf. Er ist unverletzt. Von Balu gibt es keine Spur. Nachbarn und andere Tierbesitzer aus dem Ortsteil bieten ihre Hilfe an, posten die Bitte um Mithilfe und eine Handynummer der Familie.
Ein Anrufer will wissen, wie er helfen kann und ob Balu gechippt ist. „Ja, aber es ist ganz schlimm“, sagt Balus Halterin unter Tränen. Zusammen mit den Kindern durchkämmt die Familie unermüdlich das Gelände: „Wir haben jeden Fleck abgegrast.“ Nachts rücken sie sogar mit Halogenlampen aus, in der Hoffnung, dass Balus Augen leuchten. Auch die Suche einer privaten Spürhundestaffel, spezialisiert auf vermisste Tiere, bleibt ergebnislos.
Es sind wieder viele Wilderer unterwegs und jede Menge Bekloppte und kranke Menschen.
Nach vier bangen Tagen und schlaflosen Nächten erreicht die Halterin ein Anruf: „Ich habe Balu gefunden, sie ist sehr schwach und schwer verletzt“, berichtet eine Nachbarin. Die Mediziner in der Tierklinik in Sinsheim begutachten die Patientin. „Sie haben gesagt, dass die Hinterläufe so stark zertrümmert sind, dass sie vielleicht sogar amputieren müssen. Die Entscheidung fällt, wenn Balu stabil genug für eine OP ist.“ Am nächsten Tag operiert das Team aus dem Kraichgau die junge Hündin fünf Stunden lang. Der linke Hinterlauf wird mehrfach genagelt und geschraubt, zwei Zehen der rechten Pfote können nicht mehr gerettet werden. Laut Arzt könnten die Wunden auf eine Tierfalle hinweisen.
Ist Balu in eine illegal aufgestellte und schlecht abgesicherte Falle geraten?
Dass der Beagle von einem Fahrzeug erfasst wurde, hält Heidelbergs Kreisjägermeister Ralph Steffen für sehr unwahrscheinlich: „Bei einem Auto wären die Verletzungen großflächiger, bei einem Zug wäre leider nicht mehr viel übrig.“ Bei einer Schnappfalle zieht das Tier an einem Köder und gerät normalerweise mit den Vorderpfoten zwischen zwei Fangeisen. Doch trotz eines sogenannten Fangbunkers, einer Holzbox, die die Installation umgeben muss, sei es nicht auszuschließen, dass auch Haustiere hineingeraten.
„Deshalb ist sie auch seit Jahrzehnten verboten“, so der Waidmann: „Aber es sind wieder viele Wilderer unterwegs und jede Menge Bekloppte und kranke Menschen.“ Es sei nicht auszuschließen, dass Balu doch in eine illegal aufgestellte und schlecht abgesicherte Falle geraten sei. „Aber das Wichtigste“, will der Fachmann wissen, der selbst ein großer Hundefreund ist, „wie geht es dem kleinen Kerlchen?“ Das muss noch täglich zur Behandlung in die Klinik. Und obwohl die vier Neckargemünder immer noch auf Zeugenhinweise hoffen, die erklären können, was Balu zugestoßen ist, sind sie froh, dass sich die Patientin sichtlich erholt: „Sie frisst und freut sich, wenn sie bei uns ist. Das ist die Hauptsache“, berichtet die Halterin: „Wissen Sie, Balu ist eben für uns wie ein Familienmitglied.“
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