Es ist ein schwerer Tag für Helena. Doch sie meistert ihn mit Bravour. Hinter der jungen Frau, die erst vor wenigen Wochen ihren 21. Geburtstag gefeiert hat, liegen sechs schwere Jahre. Sie hat sich ins Leben zurückgekämpft und kämpft noch immer. Helena ist die einzige Überlebende eines schweren Unfalls, der sich genau auf den Tag vor sechs Jahren am Walldorfer Kreuz ereignet hat. Und alles veränderte.
Ein Lkw-Fahrer donnerte zwei Kilometer vor dem Walldorfer Kreuz ungebremst ins Stauende. Die Wucht von 40 Tonnen schob zwei Autos auf einen davor stehenden Lkw. Helenas Eltern und ihre Schwester starben in den Trümmern, ebenso ein 60-jähriger Mann, der in dem anderen Auto am Stauende stand. Der Unfall löste auch beim damaligen Mannheimer Verkehrspolizeichef Dieter Schäfer eine Belastungsstörung aus, wie er unumwunden zugibt.
Initiative „Max Achtzig“ gegründet
Schäfer gründete die Initiative „Max Achtzig – hellwach mit 80 km/h“, die mittlerweile deutschlandweit gegen den Unfalltod am Stauende kämpft. Alle wichtigen Verbände und Organisationen rund um den Güterverkehr hat er in einem Verein versammelt und leistet unermüdlich Aufklärungsarbeit bei Speditionen und Fahrern. Jetzt hat er ein Buch geschrieben – über den Unfall und über die Gefahr geschrieben, die am Stauende lauern. Am Rosenmontag, dem sechsten Jahrestag des Unfalls, stellte Schäfer mit der Initiative „Max Achtzig“ und Helena das Buch vor. Es ist eines der wenigen Bücher zum Thema überhaupt.
An den Tag vor dem Unfall hat Helena nur schöne Erinnerungen. Die Familie hatte die Großeltern in Karlsruhe besucht und war Schlittenfahren. „Es war ein wunderschöner Tag. Wir hatten viel Spaß“, sagt sie im Gespräch mit Moderator Thomas Präkelt. Auf der Heimfahrt am Rosenmontag passierte der tragische Unfall. Sie sei im total zerstörten Auto aufgewacht, verwirrt und komplett orientierungslos gewesen. Sie habe aber gewusst, dass ein schwerer Unfall passiert war. Die Rettungssanitäter verabreichten ihr starke Schmerzmittel, bevor sie sie aus dem Wrack schnitten. Die fragte die Helfer: „Leben meine Eltern und meine Schwester noch?“ Sie habe zwar die Antwort gehört, dass ihre Familie tot sei. Aber realisieren konnte sie das noch nicht.
Ich möchte Menschen, die Ähnliches erlebt haben, die Hoffnung schenken, dass es besser wird und dass der Schmerz nachlässt
Der Weg zurück ins Leben war hart und dauert bis heute an: Sechs Wochen Krankenhaus, davon eine Woche Intensivstation, vier Wochen nahezu unbeweglich auf dem Rücken liegen müssen. Sobald es ging, besuchte sie sofort wieder die Schule – auch zur Ablenkung und um in einen Alltag zurückzufinden. Bis heute kämpft sie mit Depressionen, die vermutlich auch nicht mehr verschwinden werden, sagt sie. Sie habe zwei freiwillige soziale Jahre hinter sich, eines im Krankenhaus auf einer Brustkrebsstation, eines im Kindergarten, was ihr sehr viel Spaß gemacht habe. Und das wies ihr auch den Weg in die Zukunft. „Ich habe mein zweites Leben nicht ohne Grund geschenkt bekommen“, sagt sie heute, „ich möchte Menschen Mut und Kraft schenken, die Ähnliches erlebt haben. Ich möchte ihnen die Hoffnung schenken, dass es besser wird und dass der Schmerz nachlässt“, sagt sie. Sie habe ein Kämpferherz, „das hab ich von meinen Eltern“.
Verkehrspolizist Schäfer ringt immer noch mit Fassung
Der Verkehrspolizist Dieter Schäfer, der Hunderte Unfälle in seinem Berufsleben erlebt hat, muss selbst an diesem Tag immer wieder mit der Fassung ringen, wenn er an den Unfall denkt – auch wenn er persönlich gar nicht vor Ort war. Ein Notarzt habe ihm ein paar Wochen später das Szenario erzählt, von den Lebenszeichen, die plötzlich aus dem Autowrack drangen, von den 10 000 Litern Schweineblut, die sich aus dem leckgeschlagenen Tank eines beteiligten Lkw über die Unfallszene ergossen.
Als umtriebiger Netzwerker kämpft Schäfer mit zahlreichen Mitstreitern für die „Vision Zero“ – dafür, dass möglichst niemand mehr im Verkehr ums Leben kommt. Sekundenschlaf und Ablenkung seien die Ursachen dafür, dass Lkw-Fahrer ungebremst ins Stauende rasen. Diese Verhaltensweisen müssten aufgebrochen werden. Die Fahrer müssten die Verantwortung erkennen, die ihnen die 40 Tonnen im Rücken auferlegten. Aber dazu gehöre auch, dass Fahrer an den Be- und Entladestellen ordentlich behandelt würden und nicht auch noch selbst ihre Fracht entladen müssten. Mit Helena hat er für seinen Kampf eine starke Mitstreiterin gefunden. Sie wird für die zweite Auflage des Buchs ein Kapitel beisteuern. Der Titel steht schon fest: „Die stillen Opfer“.
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