Ukraine-Krieg - Rheinland-pfälzische Integrationsministerin Katharina Binz besucht Speyerer Erstaufnahme-Einrichtung

Themohallen: So richtet sich Speyer auf neue Geflüchtete ein

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Stephan Alfter
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Hochbetten durch Sichtschutzgitter vor zu vielen Blicken geschützt: Integrationsministerin Katharina Binz in einer schnell errichteten Thermohalle in Speyer. © S. Alfter

Speyer. Natalija Kruavchak ist noch völlig außer Atem, als sie die neue Halle betritt, die innerhalb von wenigen Tagen errichtet wurde, um in der Erstaufnahme-Einrichtung in Speyer 150 weitere Betten bereitzustellen für Geflüchtete aus dem Ukraine-Krieg. Die 45-jährige, eigentlich Buchhalterin von Beruf, ist wie inzwischen 18 000 weitere Menschen in Rheinland-Pfalz vor Bomben und Raketen geflohen. Sie hatte so ein Gefühl und verließ ihre Heimatstadt in der Nähe von Lwiw, dem früheren Lemberg, einen Tag vor dem ersten Angriff der Russen. Dass der Konflikt eskalierte, erfuhr sie per SMS, als sie schon an einem sicheren Ort war. „In Deiner Heimat herrscht jetzt Krieg“, stand auf dem Mobiltelefon.

Ihre neue Heimat soll jetzt Deutschland werden - genauer gesagt Limburgerhof. „Ich habe hier eine zweite Familie mit einem Herzen aus Gold gefunden“, sagt sie pathetisch über die Menschen, die sie aufgenommen haben. Sie ist jetzt nicht mehr außer Puste. Dass sie so schnell herangeeilt ist, hat mit Steffen Renner zu tun. Seit April 2016 leitet er im Auftrag des Landes die Einrichtung in der früheren Kaserne im Speyerer Norden mit den nunmehr fast 1750 Betten, zählt man die Kapazitätserweiterungen in den eigens errichteten Thermohallen hinzu. Zwar stammt die Mehrzahl der Menschen, die derzeit in der Erstaufnahme-Einrichtung für Asylbegehrende (AfA) am Rande der Domstadt leben, nicht aus der Ukraine, aber die Lage ist einigermaßen dynamisch. „An einem Tag kamen zuletzt 175 Menschen auf einmal“, sagt Renner, der in Natalija Kruavchak eine Unterstützerin gefunden hat, die ein wenig Deutsch spricht und somit übersetzen kann.

Kapazitäten verdoppelt

An Speyer sei besonders, dass es in der Stadt und drumherum schon eine recht große Community an Spätaussiedlern gebe und deshalb schon verschiedene Beziehungen zu Ukrainern bestünden, die jetzt hierher kämen, so Renner. Für die Verteilung der Ankommenden auf die Gemeinden sei das ein Vorteil und funktioniere innerhalb weniger Tage - wenn nicht gerade Corona-Erkrankungen dazwischenkommen. Auch das sei nach wie vor ein Thema. Trotz der großen Solidarität und Hilfsbereitschaft hat man nun die neuen Hallen errichtet, um gewappnet zu sein für einen weiteren Zustrom in den kommenden Tagen. die rheinland-pfälzische Integrationsministerin Katharina Binz (Bündnis 90/Die Grünen) machte sich am Donnerstagnachmittag ein Bild vor Ort.

Sie sprach davon, die Kapazitäten im Bundesland in kurzer Zeit mehr als verdoppelt zu haben: „Bei Ausbruch des Krieges in der Ukraine hatten die Aufnahmeeinrichtungen des Landes eine belegbare Kapazität von rund 3 300 Plätzen. Heute stehen rund 6 550 belegbare Plätze zur Verfügung.“ In wenigen Tagen könnten die Hallen auf dem Gelände der AfA Speyer bezogen werden. Insgesamt befinden sich nach Statistiken des Landes derzeit etwa 18 000 Ukrainer in Rheinland-Pfalz.

Die Einrichtung der Hallen, davon konnten sich Journalisten am Donnerstag ein Bild machen - ist lediglich für den Notfall gemacht. In kleinen Einheiten wurden meist zwei bis drei Hochbetten für bis zu sechs Leute eingezäunt, um für etwas familiäre Intimsphäre zu sorgen. Um auf eine Toilette oder zu einer Waschgelegenheit zu gelangen, muss man die Halle in Richtung eines unweit platzierten Containers verlassen. Eine ärztliche Versorgung sei sichergestellt, so Steffen Renner. Binz sagte, eine große Herausforderung sei die psychosoziale Betreuung. Da bestehe auch ohne die Geflüchteten seit Jahren Handlungsbedarf. „Die meisten Geflüchteten wollten erstmal zur Ruhe kommen“, hat Renner gelernt. Der wichtigste Begleiter sei oft das Handy, um den Kontakt in die Heimat zu halten.

Unterricht auf der Flucht

Auch Überraschendes haben Renner, aber ebenso Integrationsministerin Katharina Binz beobachtet. Zum einen gebe es Ukrainer, die schnell wieder in ihr Land zurückkehren, weil sie hören, dass sich die Russen aus ihrer Region und ihre Städten zurückziehen. Zum anderen hat Binz gesehen, dass manch ein ukrainisches Kind weiterhin dem Online-Unterricht in der Heimat folgt. Kinder aus ganz Europa seien dort zugeschaltet, so Binz. Lehrer, die ebenfalls auf der Flucht seien, würden weiter unterrichten.

Redaktion Reporter in der Metropolregion Rhein-Neckar

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