Mannheim. Als im Jahr 1992 alles anfing, da nannte man sie - übrigens in leicht despektierlichem Ton - Ökos. Heute greifen 15 000 Menschen in der Metropolregion mehr oder weniger regelmäßig auf ein Auto zu, das nicht ihr eigenes ist. Und jedes Jahr steigt die Anzahl der Nutzer um zehn bis 15 Prozent, wie Dali Tadic, Marketing-Leiterin bei Stadtmobil Rhein-Neckar, dem größten Anbieter der Region, bestätigt. Alles Ökos?
„Sharing is caring“ heißt ein dazu passender englischer Ausspruch, der ins Deutsche übersetzt so viel bedeutet wie: „Wer teilt, der kümmert sich um alle“. Und genau das ist die Philosophie des Unternehmens, das mehr als 750 Autos in der gesamten Metropolregion Rhein-Neckar verteilt hat - die meisten davon in Mannheim und Heidelberg (Grafik). Jeder dieser Wagen - vom Mini über insgesamt drei Teslas bis zum Transporter - wird im Durchschnitt einmal pro Tag von der Community benutzt.
Nach Tadics Darstellung sind dies gewerbliche Kunden genauso wie Privatmenschen, die ihr eigenes Auto verkauft haben und häufig mit Fahrrad und Bahn unterwegs sind - aber ganz selten vielleicht doch mal ein Auto brauchen.
Druck auf private Autobesitzer hat zugenommen
Der Druck auf private Autobesitzer hat in den vergangenen Jahren zugenommen. Teurere Autos führen zu höheren Finanzierungsraten und kostspieligeren Leasingverträgen. Das kann sich nicht mehr jeder leisten. Vor der eigenen Haustür parken ist auch immer seltener: Gerade in den Städten führen Dutzende Baustellen zu weniger Parkraum. Und dieser ist dadurch teurer geworden - sowohl für die Anlieger mit Anwohnerparkausweisen als auch für Kurzzeitparker.
Die Politik der (größeren) Kommunen ist mehr oder minder sichtbar: Das Auto soll langfristig raus aus der Stadt - oder zumindest in unterirdische Tiefgaragen. Es geht dabei auch um Wohnraum. Fast vorbei also die Zeit, als man selbst die 500 Meter zum Supermarkt mit dem Auto fuhr. Hohe Kraftstoffpreise infolge des Kriegs in der Ukraine tun ihr Übriges. All das spielt Stadtmobil in die Hände.
Carsharing schont die Umwelt
Tadic verweist auf den Gemeinwohlbericht aus dem vergangenen Jahr und ein Zertifikat: „Seit unserer Gründung haben wir zum Ziel, den privaten Autobesitz zu verringern und Städte vom Autoverkehr zu entlasten“, heißt es in dem Papier. Positive Umwelteffekte von Carsharing seien wissenschaftlich belegt: Laut Studien ersetzt ein Carsharing-Auto demnach bis zu 20 private. Hochgerechnet erspart Stadtmobil den Städten und Gemeinden in der Metropolregion also den Platz, den 11 000 Autos einnahmen würden.
„Vermeiden Sie unnötige Fahrten“, ist ein Credo von Stadtmobil. Fast klingt das so, als wolle das Unternehmen gar nicht, dass man eines der 750 Fahrzeuge benutzt. Aber Tadic sagt: „Wir möchten schon, dass die Auslastung hoch ist, aber wir werben für einen bewussten Umgang mit dem Auto.“ Insofern lohnt sich Carsharing nicht für alle. Wer mehr als 10 000 Kilometer pro Jahr fährt, für den wird’s mit Privatauto günstiger.
Drei Tarife stehen zur Auswahl
Aus drei Tarifen können Kunden auswählen. Ein Mittelwert der Ausgaben pro Kunde liegt nach vorsichtiger Schätzung der Vertriebsleiterin womöglich bei 70 Euro im Monat - inklusive Benzin. Auf Komfort müsse dabei niemand verzichten. Weder um die Versicherung noch um Werkstattbesuche oder TÜV müsse man sich als Mitglied von Stadtmobil kümmern.
Was sind das für Leute, die zum Teilauto tendieren? Immer noch Ökos? Tadic skizziert einen „typischen“ Kunden: „Er ist zwischen 35 und 55, oft männlich und akademisch gebildet“, sagt sie. Meist ist er im ÖPNV oder mit dem Fahrrad unterwegs. In Ausnahmefällen steigt er ins Auto. Beim Einzelhändler in den Stadtteilen und Gemeinden ist der Carsharing-Kunde gerne gesehen, denn er oder sie kauft eher ortsnah ein und weniger auf der grünen Wiese. Man könnte insofern vermuten, dass der Teilauto-Freund auch vermehrt zum elektrischen Antrieb greifen möchte und nicht mehr in einem Verbrenner fahren sein will.
Das indessen ist nicht so leicht zu bewerkstelligen, denn nur 17 Prozent der Flotte sind bisher als Hybrid beziehungsweise als reines Elektroauto unterwegs. Ein Grund dafür ist laut Vertriebsleiterin Tadic die bisher nicht überall breit aufgestellte Ladeinfrastruktur.
Die Carsharing Hauptstadt Deutschlands
Um weiterhin organisch wachsen zu können, ist Stadtmobil (Jahresbilanz: 6,5 Millionen Euro) auf eine gute Zusammenarbeit mit den Städten angewiesen. Für die Stationen braucht es Sondernutzungsgenehmigungen. Miriam Caroli, seit mehr als zehn Jahren Vorsitzende bei Stadtmobil Rhein-Neckar, laufen diese Prozesse noch zu langsam ab. „Da gehen Jahre ins Land“ sagt sie, bis die jeweilige Stadt wisse, wie sie grundsätzlich mit Carsharing umgehen möchte. So werde ein Vorantreiben der Mobilitätswende dann schwierig. Vorbildhaft sei hingegen Mannheim, wo es wie in Heidelberg inzwischen das "Joe Car" gibt - Fahrzeuge, die nicht an Stationen gebunden sind, sondern wie Leihroller über eine Handy-App geortet und dann ausgeliehen werden können.
Wer den Blick weitet und feststellt, dass von 49 Millionen zugelassenen Fahrzeugen in Deutschland nur 34 000 Teilautos sind (0,07 Prozent), der ahnt, dass Carsharing auch 30 Jahre nach den ersten Versuchen lediglich eine Nischenbedeutung hat. Trotzdem wurden aus zwei Autos im Jahr 1992 in Mannheim und Heidelberg inzwischen 770. 36 Mitarbeiter sind bei Stadtmbil Rhein-Neckar beschäftigt.
Deutschlands Carsharing-Hauptstadt ist übrigens Karlsruhe mit weit über 1200 Fahrzeugen. „Sharing is caring“.
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