Freizeit

Seilbahn sorgte für Boom: Warum 1954 Fußball-Weltmeister nach Edenkoben kamen

Mehr als zehn Millionen Menschen sind mit ihr schon Richtung Ruine geschwebt: Die Rietburgbahn ist auch 70 Jahre nach ihrem Bau ein Anziehungspunkt. Rhetorisch ist die Frage nach dem Ort, an dem die Idee entstand

Von 
Stephan Alfter
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An Tagen mit klarer Sicht geht der Blick bis zu den Bürotürmen in Frankfurt, zum Königstuhl in Heidelberg oder zum Mehliskopf im Nordschwarzwald: die Rietburgbahn oberhalb von Edenkoben. © Tina Mermer

Edenkoben. Seilbahnen sind in der Region spätestens seit den immer öfter zu Tage tretenden Schäden an Rheinbrücken in aller Munde. Die Gondelbahn auf der Bundesgartenschau in Mannheim war ein wahrer Publikumsmagnet. In den Metropolen der Welt sollen die schwebenden Kabinen die Zukunft zeigen und den Verkehr von der Straße in die Luft bringen. Das war allerdings nicht der Gedanke, den Hermann Alles und Ludwig Urschbach hatten, als sie 1953 am Stammtisch saßen und in ihren Köpfen die Sesselbahn hinauf zur Rietburg entstehen ließen. Tina Mermer, die 46-jährige Enkelin von Hermann Alles, kennt den Hintergedanken, den ihr Großvater hatte. „Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs haben Ausflugsziele gefehlt“, sagt sie. Der Pfalz-Tourismus, der in den Kinderschuhen steckte, habe etwas „Lustiges“ gebraucht, so Mermer.

Erst im Frühjahr 1954, als sich die späteren Fußballweltmeister um ihren pfälzischen Kapitän Fritz Walther und ihren Mannheimer Trainer Sepp Herberger gerade auf die Weltmeisterschaft in der Schweiz vorbereiteten, begannen Planung und Bau der Bahn. Und spätestens ab 31. Juli war einiges geboten. Denn vier Monate nach der Planung war die Sesselbahn von der damals renommierten Kölner Baufirma Pohlig bereits fertiggestellt worden - aus heutiger Sicht unvorstellbar, wie auch Tina Mermer findet.

Trafen sich nach dem Gewinn der Fußball-Weltmeisterschaft 1954 einige Wochen danach in Edenkoben: die Helden von Bern um Fritz Walter. © Sesselbahn GmBH

Sie ist heute Geschäftsführerin der 1. Pfälzischen Sesselbahn GmbH. Alleine der Planungsprozess hätte heuer wohl Jahre in Anspruch genommen, wie man an den Dürkheimer Ereignissen des Jahres 2017 unschwer ablesen kann. Die Wiederbelebung der dortigen Kabinenbahn, die einst vom Dürkheimer Wurstmarktplatz Richtung Teufelsstein schwebte, scheiterte seinerzeit jäh, weil juristische Belange und Naturschutzaspekte so schwer wogen, dass damals gewillte Investoren um den Mannheimer Immobilienökonom Matthias Hensel die Waffen streckten und das Vorhaben endgültig begruben.

Villa Ludwigshöhe mit größter Slevogt-Sammlung ganz nah

So ist der Sessellift zur 550 Meter hoch gelegenen, bewirtschafteten Ruine Rietburg heute die einzige Einrichtung dieser Art am Rand des Pfälzerwaldes. Wer rund um Mannheim zu Hause ist, plant am besten einen Tagesausflug zu den Bau- und Naturdenkmälern rund um das schmucke Weinörtchen Edenkoben. Mit der Bahn ist man schnell dort. Vom Mannheimer Hauptbahnhof geht es mit der S1 oder S2 Richtung Neustadt, wo man in die RB 51 oder RB 53 Richtung Landau umsteigt. Die Fahrt dauert, je nach Zug, 49 oder 60 Minuten. Vom Bahnhof Edenkoben aus geht es westwärts Richtung Pfälzerwald. In den Blick rückt dann bald die Wittelsbacher-Sommerresidenz „Villa Ludwigshöhe“, die sich Bayernkönig Ludwig I. zwischen 1846 und 1852 bauen ließ.

Unter normalen Umständen befindet sich dort die weltweit größte Sammlung des Impressionisten Max Slevogt. Seit vier Jahren wird hier aber saniert, und die für 2024 geplante Wiedereröffnung ist noch nicht terminiert. Wer die Villa Ludwigshöhe erreicht hat, befindet sich schon in unmittelbarer Nähe der Talstation der Seilbahn, die auch mit dem eigenen Auto erreichbar ist.

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Tina Mermer weiß von Zeiten, in denen der Individualtourismus weniger ausgeprägt war als heute. Damals seien die Menschen zu Hunderten in Bussen aus dem gesamten Bundesgebiet angefahren gekommen. 1165 Busse und 60 Sonderzüge zählte man beispielsweise im Jahr 1988. Heute seien es im Herbst vor allem Urlauber, die des Weines wegen in die Pfalz kommen. Rund 100 000 Nutzer zählt die Geschäftsführerin, die rund 20 Kräfte beschäftigt, pro Jahr. Seit einigen Tagen steigen die Besucherzahlen mit den Temperaturen. Fahrgäste kämen besonders oft aus dem Umkreis von 40 bis 50 Kilometern, so Mermer.

In 70 Jahren gab es bei der Riebtburgbahn keinen Unfall

Auf ihren heutigen Namen getauft wurde die Rietburgbahn am 11. August 1954. Die Genehmigung zur Inbetriebnahme hatte - der Legende nach - ein Sonderkurier am 31. Juli überbracht. Wohl mehr als zehn Millionen Menschen sind bis heute mit der Sesselbahn „gefahren“ - darunter alsbald nach dem WM-Gewinn auch die Helden von Bern.

„70 Jahre unfallfrei“, betont Tina Mermer stolz. Und auch wenn sie nach außen eine gewisse Nostalgie fördern soll, steckt in der Seilbahn modernste Technik, die der TÜV Jahr für Jahr überprüft. Seit 2019 seien einige 100 000 Euro investiert worden - in den Motor, die Steuerungseinheit, die Hydraulik und die Signalgebung, so Mermer. Im Geburtstagsjahr, das will sie betonen, fahren alle Geburtstagskinder einmal umsonst. 1954 geborene Fahrgäste erwarte sogar ein Geschenk. Jetzt fehlt nur die die aktuelle Nationalelf - nach einem EM-Titel 2024.

Redaktion Reporter in der Metropolregion Rhein-Neckar

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