Interview

Seilbahn-Experte: "Trasse vom Mannheimer Hauptbahnhof zur Rhein-Galerie prüfen"

Jürgen Follmann und Thomas Marx von der Hochschule Darmstadt gehören zu den Vordenkern eines ÖPNV, der neue Techniken einsetzt. Im Interview erklären sie, welche Trassen interessant sind und warum ein Blick nach Toulouse lohnt

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Stephan Alfter
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Mannheim/Ludwigshafen. Herr Follmann, warum üben Seilbahnen eine solche Faszination auf Menschen aus?

Jürgen Follmann: Es sind wahrscheinlich die Emotionen, die dabei entstehen. Es ist der Blick aus einer anderen Perspektive auf eine Region. Das Schweben in einer Seilbahn ist unglaublich entschleunigend.

Wie kommt es dann, dass wir erst langsam damit beginnen, Seilbahnen auch in städtischen Verkehrssystemen mitzudenken?

Follmann: Wenn man in den vergangenen Jahren mit Verkehrsunternehmen, öffentlichen Verwaltungen oder Verbänden gesprochen hat, dann hieß es meist: Das ist doch ein Bruch im Verkehrssystem. Ich habe dann immer erläutert, dass wir den sowieso schon haben. Ob das jetzt in Ludwigshafen an der Hemshofstraße ist, wo ich irgendwie von unten nach oben kommen muss. Oder im Hauptbahnhof in Mannheim, wo ich Ebenen wechseln muss, um zur Straßenbahn zu kommen. Daher lasse ich das Argument nicht gelten. Ein zweites Argument war, dass Verkehrsbetreiber gesagt haben, dass ihnen die Fördergelder für die anderen Verkehrsmittel fehlen würden, wenn sie jetzt an Seilbahnen rangehen. Erst jetzt, wo alle merken, dass der ÖPNV überall völlig auf Kante genäht ist, ändert sich was. Überall gibt es Verspätungen und Ausfälle.

Wir benötigen eine Beispiel-Seilbahn im täglichen Verkehr, um zu sehen, wie sie angenommen wird - auch für die Menschen, die behaupten, dass das alles nicht geht.
Jürgen Follmann Verkehrswissenschaftler

Warum ist das so?

Follmann: Das Netz kommt an seine Belastungsgrenze. Die Zeit ist abgelaufen und die Instandhaltung wurde vielerorts vernachlässigt. Das fängt beim Signal an und hört bei der Weiche auf. Hinzu kommen die enormen Herausforderungen für den ÖPNV als klimafreundlichere Alternative. Wir brauchen auf starken Strecken Ergänzungen und schnell realisierbare Lückenschlüsse. Das können Seilbahnen sein.

Thomas Marx: Die Regularien haben es in Deutschland bisher auch nicht hergegeben, dass Seilbahnen schnell entstehen. Das hat sich jetzt geändert. Das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) hat 2020 die Mittel und Fördermöglichkeiten des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes (GVFG) deutlich erweitert. Seilbahnen wurden explizit als förderfähig aufgenommen. Ein zweiter Punkt ist, dass man mit der Seilbahn kürzere Planungszeiten erreichen kann. Bei der Realisierung neuer Straßen- oder Schieneninfrastruktur bewegen wir uns im Bereich von mindestens zehn bis 15 Jahren, wenn es schnell geht. Dann reden wir also von 2035 bis 2040. Erst dann würden wir einen Effekt spüren. Genau hier dient der Vergleich mit der Buga-Seilbahn: April 2021: Planfeststellungsverfahren, Januar 2022: Planfeststellungsbeschluss. Juni 2022: Baubeginn. April 2023: Betriebsbeginn. Sie fährt erfolgreich, bewegt 2 800 Personen pro Stunde von A nach B und ist genauso schnell wieder zurückbaubar. Man kann sie sich also auch als Übergangslösung vorstellen.

Die Interviewten



  • Jürgen Follmann (64) lehrt an der Hochschule Darmstadt. Der Verkehrswissenschaftler ist Dekan im Fachbereich der Bauingenieure und forscht über die Zukunft der Mobilität.
  • Thomas Marx (32) ist in Darmstadt Lehrbeauftragter und Experte im Bereich urbane Seilbahnen

Wo hätten Sie denn im regionalen ÖPNV eine Weiterverwendung der Buga-Seilbahn als gut erachtet?

Follmann: Wir haben ja mit den Studierenden einige Strecken in der Region untersucht. Unser Problem ist: Wir können Potenziale nur schwer abschätzen. Wir wissen nicht, wie viele Autofahrende sich tatsächlich in eine Seilbahn setzen. In Toulouse hat niemand damit gerechnet, dass so viele Menschen mit der neuen Seilbahn fahren. 5 000 waren geschätzt, ich glaube es sind heute bis zu 20 000 pro Tag. Bei einem neuen Verkehrssystem sind Prognosen sehr schwierig und ein solches Mehr an Fahrgästen würde uns als Zahl noch niemand abnehmen. Wir benötigen eine Beispiel-Seilbahn im täglichen Verkehr, um zu sehen, wie sie angenommen wird - auch für die Menschen, die behaupten, dass das alles nicht geht. Weil es nicht barrierefrei ist, weil man in die Häuser schauen kann et cetera.

Welche Strecken haben Sie hier untersucht?

Follmann: Wir haben den Studierenden gesagt, sie sollen Trassen heraussuchen, die möglichst nicht über Wohngebiete verlaufen, vielleicht auch nicht unbedingt über Kleingärten. Wir haben zum Beispiel eine Trasse untersucht von Mannheim Hauptbahnhof zur Ludwigshafener Rhein Galerie. Von dort zur BASF Süd/Hemshofstraße und sind von dort aus nochmal zur Mannheimer Pop-Akademie auf die andere Rheinseite. Total spannend. Aber: Wir haben auch mal vom Luisenpark über das RNV-Depot zum Hauptbahnhof verlängert. Das war 2020. Aber ich glaube, die Idee war verfrüht. Erst jetzt durch die Buga-Seilbahn spürt man, wie klasse das ist.

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Wir reden jetzt die ganze Zeit von eventuellen Versuchen. Ist es nicht eher so, dass wir ganz konkret auf eine schnell entstehende Seilbahn angewiesen wären, wenn die Konrad-Adenauer-Brücke kaputt ginge - was vorhersehbar ist?

Follmann: Ich habe am Seilbahntag in Mannheim gesagt: Jetzt ist die Gelegenheit, um das anzupacken und diese Zwischenlösung zu probieren. Wir können den Menschen das jetzt erklären. Alle wissen, dass die Brücken kaputt sind. Zwischen Mannheim Hauptbahnhof und Rhein Galerie oder zwischen Mannheim-Niederfeld und Ludwigshafen-Mundenheim wären solche Strecken, die wir für die Öffentlichkeit vertiefen müssten. Jetzt ist der Zeitpunkt dafür eigentlich gekommen, die Arbeiten der Studierenden aus der Corona-Zeit nochmals zu präsentieren.

Die Seilbahn ist ein Highlight der Bundesgartenschau. Experten sagen, dass wir sie auch im ÖPNV brauchen. © Michael Ruffler

Sie gelten als Verkehrsexperte. Ist das Auto, das hier so lange als Wirtschaftsfaktor und Statussymbol galt, ein Auslaufmodell?

Follmann: Ich glaube nicht, dass das Auto ein Auslaufmodell ist. Wenn ich die Entfernungen in der Pfalz sehe und das im Vergleich zur Stadt geringe Angebot im Nahverkehr, dann bleibt das Auto ein Thema. Wir müssen auch sehen, wie wir uns als Gesellschaft entwickelt haben - mit Einkaufszentren auf der grünen Wiese. Das können wir alles nicht von Heute auf Morgen umdrehen. Aber: Wenn wir wissen, dass etwa 50 Prozent unserer Fahrten mit dem Auto weniger als fünf Kilometer weit sind, dann geht es darum, die Menschen zum Nachdenken anzuregen, was das richtige Verkehrsmittel für den kurzen Weg ist. Und zwar ohne das Auto zu verteufeln. Wenn der sichere und komfortable Radweg nicht da ist, dann brauchen wir uns über einen Wechsel zum Fahrrad nicht zu unterhalten. Dann werden Menschen ihre Gewohnheiten nicht ändern. An den Stadträndern existieren oft keine guten Verbindungen zum Nahverkehr. Die Frage ist, wie man Menschen, die von weiter her kommen, zum Umstieg bringt. Da können Seilbahnen, die an einem Parkplatz ansetzen, hilfreich sein.

Mit einer Seilbahn können wir 6000 Menschen pro Stunde und Richtung transportieren. Das ist ein Angebot für uns alle.
Jürgen Follmann Verkehrswissenschaftler

Das oft zitierte Problem ist doch auch das „Überfliegen“ von Wohngebieten mit Kabinen der Seilbahn.

Thomas Marx: Es gibt ja eigentlich kein Verbot. Man muss da auf das „Wording“ achten. Rein juristisch ist das nicht verboten, aber man wird es mit Widerstand zu tun bekommen. Die Frage ist also, wie man das von vorneherein kommuniziert, Ängste nimmt und die Bürgerschaft einbindet? Die Buga-Seilbahn führt ja auch über die Kleingartenanlage und man konnte sich einigen.

Herr Follmann, angenommen, Sie grillen mit ihrem Enkel im Garten und über Ihnen schweben Kabinen, in denen Menschen sitzen? Wie gehen Sie damit um?

Follmann: Die Ängste sind berechtigt. Aber: Was sieht man überhaupt aus einer Seilbahn, wenn ich in 60 Meter Höhe schwebe? Das zweite ist eine technische Geschichte. Wir können Kabinen so gestalten, dass man gar nicht runterschauen kann. Deshalb müssen wir den Menschen die Ängste nehmen, indem wir Beispiele schaffen.

Latente Motzköpfe machen Stimmung in Sozialen Netzwerken. Der Tenor: Wenn Sturm und Gewitter ist, dann fahren die Dinger nicht. Wie oft muss eine solche Seilbahn angehalten werden?

Follmann: Im Verhältnis zu S-Bahnen und Straßenbahnen ist der Stillstand marginal. Diese Technik ist in den Bergen entwickelt worden, wo verschärfte Witterungsbedingungen herrschen. Seilbahnen sind beispielsweise windstabil bis 100 Stundenkilometer.

Wenn wir nun einen Verkehrsexperten hier haben und ein wenig spinnen: Welche Bedeutung werden Flugtaxis in Zukunft haben?

Follmann: Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen, dass das für Menschen sein wird, die sich das leisten können, aber es ist nicht das Verkehrsmittel für die Gesellschaft. Mit einer Seilbahn können wir 6000 Menschen pro Stunde und Richtung transportieren. Das ist ein Angebot für uns alle. Den neuen Techniken können wir uns nicht verschließen. Dabei ist die Seilbahn als leistungsstarkes und komfortables Transportmittel für uns quasi ein Muss.

Haben Sie einen Idealtypus Seilbahn, der ihnen „vorschwebt“?

Follmann: Toulouse ist das Highlight derzeit. Koblenz ist auch eine coole Seilbahn, aber muss noch in den ÖPNV integriert werden. Ich hoffe sehr, dass im Rhein-Main-Neckar-Gebiet eine Stadt mal sagt: Wir probieren das. Diese Stadt wird in aller Munde sein.

Redaktion Reporter in der Metropolregion Rhein-Neckar

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