ARD-Film - Positive Reaktionen auf Missbrauchsrecherche des „Mannheimer Morgen“ zu Vorwürfen rund um ein Speyerer Kinderheim

„Reportage bestätigt meinen Austritt aus der Kirche“

Von 
Stephan Alfter
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Der gewaltige Speyerer Kaiserdom: Welche Dramen haben sich um die Kathedrale herum abgespielt? Davon handelt ein Recherchefilm in der ARD. © Patrick Dosanjh

Speyer. Der gewaltige Dom steht noch. Fast 1000 Jahre sind seit der Grundsteinlegung vergangen. Und obwohl oft an den Grundfesten der Kathedrale gerüttelt wurde, begrenzt sie auch am Dienstag majestätisch das östliche Ende der Maximilianstraße. Im Minutentakt war der Dom zu sehen am Montagabend in einem ARD-Film (der „Mannheimer Morgen“ hat daran mitgewirkt) über mögliche Missbrauchsstrukturen rund um das Bauwerk und das unweit gelegene Kinderheim Engelsgasse. Etwa eine Million Zuschauer verzeichnete der Sender, als es um 23.05 Uhr nach den Tagesthemen hieß „Rabiat: In Gottes Namen“. Ratlos, sprachlos, zornig – so schildern einige ihre Gemütslage, die wir gestern zu ihren Eindrücken befragt haben, nachdem Missbrauchsopfer dort ihre Geschichte erzählt haben.

I. Glaser (37) hat am heutigen Mittwoch einen Termin zum Kirchenaustritt. „Die Reportage hat mich in meinem Vorhaben nur noch mal bestätigt. Der Umgang mit dem Missbrauch in der Katholischen Kirche, mit dem Schutz der Täter und der Vernachlässigung der Opfer, macht mich wütend und traurig.“ Der Speyererin fehlt der Wille der Kirche, die Fälle rigoros aufzuklären. Das Bistum Speyerer mag diesen Willen vielleicht haben, aber das reicht nicht.

TV-Reportage "In Gottes Namen" - Personalien

  • Andreas Sturm ist Generalvikar im Bistum Speyer und vertritt den amtierenden Bischof Karl-Heinz Wiesemann während dessen Krankheit in der Bistumsleitung.
  • In der Aufarbeitung der Missbrauchsvorwürfe in Speyer vertritt Sturm die Position, dass die Kirche transparenter sein müsse und die Kinder und Jugendlichen präventiv besser schützen müsse.
  • Als Andreas Sturm sich vor einigen Wochen für die Segnung homosexueller Paare aussprach, bekam er viel Applaus.

  • Schwester Barabara Geißinger ist Oberin der Niederbronner Schwestern mit Sitz in Nürnberg. Ihr Orden steht derzeit wegen diverser Missbrauchsvorwürfe massiv unter Druck.
  • In der ARD-Doku „In Gottes Namen“ spielt sie wie Andreas Sturm eine Hauptrolle. Sie hat es geschafft, einige Schwestern, die einst im Speyerer Kinderheim Engelsgasse gearbeitet haben, an einen Tisch zu holen.
  • In der Aufarbeitung der Vorwürfe lässt sie sich von zwei Anwaltskanzleien beraten.

  • Dennis Leiffels hat die Regie im Film „In Gottes Namen“ geführt. Der 35-Jährige leitet das Reportageformat Y-Kollektiv und ist Mitbegründer der Produktionsfirma „Sendefähig GmbH“ mit Sitz in Bremen.
  • Als Autor vor und hinter der Kamera berichtete er über Zeitgeschehen, Rechtsradikalismus und Salafismus und wurde mehrfach für Preise nominiert und ausgezeichnet.
  • Für den aktuellen Film kooperierte das Y-Kollektiv mit dem „Mannheimer Morgen“.

  • Stephan Alfter (45) ist Redakteur beim „Mannheimer Morgen“ und dort als Reporter in der Metropolregion unterwegs.
  • Als Speyerer lebt Alfter in dem Bistum, das seit Monaten wegen der Missbrauchsvorwürfe unter Strom steht. Das Kinderheim Engelsgasse kennt er durch mehrere Begegnungen mit Bewohnern seit Mitte der 80er Jahre.
  • Vier Monate lang arbeitet er gemeinsam mit Leiffels an der nun vorliegenden Doku. Seine Hoffnung: Die Aufarbeitung muss gelingen.

 


 

23 Jahre hat Stefanie Dengler (45) in Speyer gelebt, ist hier aufgewachsen und zur Schule gegangen. Heute ist sie nicht mehr oft in der Stadt zu Gast. Sie ist erschüttert. „Man hat ja nie was mitbekommen, ich hoffe, dass mit der Zeit alles aufgedeckt wird“, sagt sie angesichts der Vorwürfe, die mehrere Opfer in der Doku gegenüber Ordensschwestern und Geistlichen erheben.

„Kirche mehr unter Druck setzen“

Sehr aufgewühlt und berührt ist Andreas Laux (47). Der Beitrag habe alle Seiten sehr kritisch hinterfragt und sei an keiner Stelle reißerisch gewesen. Trotzdem blieben viele Fragen offen. Was sagen etwa die Ziehsöhne, die beim beschuldigten Generalvikar gewohnt haben sollen? Wie geht es weiter mit der Aufklärung?

Marcel Cerba (35) hofft, dass durch diesen Film mehr Betroffene und Zeugen Mut finden, sich mitzuteilen. Dass die beiden Journalisten in dem Film nicht locker gelassen haben, hat ihm imponiert. Vor allem hofft er, dass sich die Katholische Kirche noch mehr unter Druck gesetzt fühlt, um in der Aufarbeitung und Wiedergutmachung glaubwürdiger und ehrlicher zu werden. „Dennoch hab ich mir am Ende als Zuschauer gewünscht, zu einem ,eindeutigen Ergebnis’ zu kommen, sagt Cerba. Da hab ich mich vielleicht auch selbst dabei erwischt, dass ich mir insgeheim erhofft habe, dass da jemand bestraft wird.

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Leider kommt der Beitrag der Wahrheit nicht nahe, sagte Elisabeth Rossato (69). Das liegt vor allem am Mangel an Beweisen für die Geschichte, die Herr O. in der Doku schildert. „Er mag zwar als Opfer vom Gericht anerkannt worden sein, aber die volle Beteiligung der Schwestern als ,Bordellbetreiberinnen’ war nicht belegbar“, sagt die Speyererin, die der Kirche schon vor 40 Jahren ade gesagt hat. Konsequenzen aus dem gut recherchierten Beitrag blieben abzuwarten. „Oder ist die Konsequenz lediglich ein kranker Bischof?“ Der Mensch brauche Spiritualität und suche sich Alternativen.

Sturm: „Noch ein weiter Weg“

Geäußert hat sich auch der Speyerer Generalvikar, der eine Hauptrolle in der Dokumentation einnimmt – Andreas Sturm (46). Nachdem er nun den gesamten Film nun gesehen hat, schreibt er auf dem sozialen Netzwerk „Facebook“: „Manchmal braucht es die totale Katastrophe und den tiefen Schock über untragbare Zustände. Wir haben als Kirche lernen müssen, dass in der Vergangenheit in unseren Reihen furchtbare Verbrechen an Kindern begangen wurden.“ (...) In den vergangenen Jahren sei schon ein Weg der Erkenntnis, des Änderns und der Aufarbeitung gegangen worden. Trotzdem liege vor der Kirche noch ein weiter Weg. „Nur wenn wir die Fehler und Verbrechen der Vergangenheit so gut als möglich aufarbeiten, können wir auch die großen Themen der Zukunft angehen“, schreibt Sturm. Zum ARD-Beitrag selbst sagt er: „Dieser Film ist bedrückend und auch belastend, und doch finde ich die Arbeit der beiden Journalisten, Dennis Leiffels und Stephan Alfter, sehr ehrlich und aufrichtig.“ Es gehe darum, Licht in diese Abgründe zu bringen.

Unzufrieden mit dem Film hat sich in einem Telefonat mit der Redaktion der Mann gezeigt, der in dem Beitrag die Vorwürfe gegen Geistliche und Nonnen formuliert hat – Herr O. (63). Er fühle sich zu Unrecht verdächtigt, dass er ein Beweisdokument gefälscht habe. Das Stück sei ihm im vergangenen Jahr in den Briefkasten geworfen worden. Er habe es lediglich weitergegeben, aber nie behauptet, dass es echt sei. Er leide psychisch sehr darunter.

Redaktion Reporter in der Metropolregion Rhein-Neckar

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