Landau. Dominique Stites weint. Ihr Schluchzen hallt am Dienstag durch den größten Sitzungssaal des Landauer Landgerichts, während die Vorsitzende Richterin Claudia Kurtze die schweren Verletzungen vorträgt, an denen Dominique Stites’ Sohn Damon am 20. Juli 2019 starb. Um 21.13 Uhr stellten Ärzte im Mannheimer Universitätsklinikum den Tod des 19-Jährigen fest. Zehn Minuten später starb sein 18 Jahre alter Kumpel in der Ludwigshafener BG Unfallklinik. Dessen Bruder kämpfte zur gleichen Zeit in einem Heidelberger Krankenhaus weiter um sein Leben. Er überlebte, doch seine Verletzungen am Kopf und an der Wirbelsäule waren so schwer, dass er sich wahrscheinlich nie vollständig von ihnen erholen wird.
Die drei jungen Männer saßen im hinteren Teil eines hochmotorisierten BMW, der am 20. Juli 2019 auf der B44 zwischen Lampertheim und Mannheim-Sandhofen auf regennasser Fahrbahn ins Schlingern geriet. Mit 144 km/h – in der 90er-Zone – touchierte der linke Hinterreifen des Wagens den Randstein, enorme Kräfte wirkten auf den BMW, der mit 95 Kilometern pro Stunde – so die Berechnungen eines Sachverständigen – gegen einen Baum geschleudert wurde. Der Aufprall war so stark, dass der Baum vollständig entwurzelt wurde. Das Fahrzeug wurde zurückgeschleudert und kam auf einer Böschung zum Stehen.
Richterin zu Prozessbeginn: „Dieses Verfahren hat einen langen Weg hinter sich“
Am Dienstag hat ein neuer Prozess gegen den Unfallfahrer Arif A. begonnen, über sechs Jahre nach dem Unfall ist die juristische Aufarbeitung des Falls immer noch nicht abgeschlossen. „Dieses Verfahren hat einen langen Weg hinter sich“, sagt Richterin Kurtze und holt dann weit aus, um die Dimension des Verfahrens und das Ziel des neuen Prozesses zu verdeutlichen.
Nach dem Unfall wurde der Unfallfahrer Arif A. 2020 zunächst von einem Richter am Amtsgericht in Frankenthal per Strafbefehl – in einem verkürzten Verfahren ohne Hauptverhandlung – zu einer sechsmonatigen Haftstrafe auf Bewährung verurteilt. Der Amtsrichter folgte damit einem Antrag der Frankenthaler Staatsanwaltschaft. Außerdem musste der Unfallfahrer 2.000 Euro für soziale Zwecke zahlen und seinen Führerschein für ein Jahr abgegeben.
Aber: Kein Heranwachsender – und dazu zählte Arif A., weil er zum Unfallzeitpunkt 19 Jahre alt war – darf über einen Strafbefehl zu einer Freiheitsstrafe verurteilt werden. Doch das Urteil wurde rechtskräftig, vergeblich versuchte Rechtsanwalt Frank K. Peter, der Dominique Stites anwaltlich vertritt, das Verfahren noch zu stoppen. Stattdessen erfuhr er: Das Urteil ist bereits rechtskräftig. Und damit hatten Stites und ihr Anwalt kaum mehr eine Möglichkeit, um gegen die Entscheidung vorzugehen.
Doch Dominique Stites konnte das nicht hinnehmen. Sie trug Videos zusammen, die dokumentierten, dass der Unfallfahrer Arif A. bereits in den Monaten vor dem Unfall durch Raserfahrten aufgefallen war – und erwirkte gemeinsam mit ihrem Anwalt schließlich eine Wiederaufnahme des Verfahrens.
Bundesgerichtshof in Karlsruhe hat entschieden: Fall muss neu verhandelt werden
Kurz vor Weihnachten 2023 verurteilte die Jugendkammer des Landauer Landgerichts den damals 23-jährigen Arif A. zu einer vierjährigen Jugendstrafe – wegen eines verbotenen Kraftfahrzeugrennens mit Todesfolge, Körperverletzung mit Todesfolge und schwerer Körperverletzung. Außerdem entzog die Kammer dem 23-Jährigen die Fahrerlaubnis, zog den Führerschein ein und untersagte der Führerscheinbehörde für die Dauer von fünf Jahren, eine neue Fahrerlaubnis auszustellen.
Im Dezember 2024 gab es dann die nächste Wendung in dem Fall: Nachdem der Angeklagte Revision gegen das Urteil eingelegt hatte, entschied der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe: Der Fall muss neu verhandelt werden. Deshalb befasst sich nun zum dritten Mal ein Gericht mit dem Unfall vom 20. Juli 2019. Der Grund dafür liegt in Passagen der Urteilsbegründung zur sogenannten „inneren Tatseite“ – also zum Vorsatz des Angeklagten -, die laut BGH mehrfach nicht den rechtlichen Anforderungen genügen. Vereinfacht gesagt bedeutet das: Was im Kopf des Angeklagten vorgegangen ist, warum er davon ausgehen musste, dass sein Verhalten fatale Folgen haben wird, hat das Gericht in Landau – so die Karlsruher Richter – nicht ausreichend begründet.
Angeklagter äußert sich nicht vor Gericht
„Die Tatsachen stehen weitgehend fest, unser Prüfungsauftrag ist es, uns mit der subjektiven Tatseite zu beschäftigten“, sagt die Vorsitzende Richterin, nachdem sie den elfseitigen BGH-Beschluss verlesen hat.
Arif A. schweigt am ersten Prozesstag des neuen Verfahrens zu den Vorwürfen. „Unser Mandant hat sich dazu entschieden, sich schweigend zu verteidigen“, sagt Rechtsanwalt Rüdiger Weidhaas aus Bad Dürkheim, einer der beiden Verteidiger des Mannes.
Arif A. hat sich in den vergangenen beiden Jahren äußerlich verändert, er ist älter geworden, muskulöser, trägt nun einen Bart, der 19-jährige Unfallfahrer ist inzwischen 25 Jahre alt. Am Dienstag hält er den Blick die meiste Zeit über gesenkt – auch als Dominique Stites als erste Zeugin vor die Richterbank gerufen wird. Ihr und ihrer Familie gehe es weiterhin schlecht, sagt die 47-Jährige. Wie es Eltern, die ein Kind verloren haben, eben gehe. Und auch ihr jüngerer Sohn leide extrem unter dem Verlust seines Bruders, er habe große Verlustängste, Panik davor, noch ein Familienmitglied zu verlieren.
Insbesondere die vergangenen Monate seien schwer gewesen, sagt Stites. Der neue Prozess spüle vieles wieder hoch. „Wir können seit sechs Jahren keinen Abschluss finden“, sagt sie.
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