Neustadt. Ein Schatten in Weiß hat sich über das erste Demokratiefest in Neustadt und auf dem Hambacher Schloss am Wochenende gelegt. Der Sturm von rund 3000 Menschen auf die Veranstaltungen in der Innenstadt von Neustadt und aufs Hambacher Schloss hat nachhaltigen Eindruck hinterlassen. Sie pöbelten und störten die 5000 anderen Besucher durch die teilweise massive Beleidigungen und Beschimpfungen. Die Ereignisse werden nun aufgearbeitet.
Für die Polizei kam die Überrennungstaktik der Protestierenden genauso überraschend wie für die Stadt Neustadt und die Stiftung Hambacher Schloss. Deshalb führten die Beteiligten am Montag mehrere Krisengespräche hinter verschlossenen Türen. Die Polizei prüft, ob Demonstranten den Straftatbestand der Verunglimpfung von staatlichen Symbolen begangen haben. Denn mehrfach flatterten Fahnen mit den deutschen Nationalfahnen auf dem Fest, allerdings in umgekehrter Reihenfolge, also mit goldener Farbe oben und schwarz unten. Die Flagge gilt als Code der Reichsbürgerszene, greift allerdings geschickt eine alte Diskussion um die tatsächliche Farbgebung der Fahne während des Hambacher Festes 1832 auf. Fehlerhafte Kolorierungen einer Schwarz-Weiß-Zeichnung ließen den Schluss der anderen Farbgebung zu. Die Originalfahne, die im Historischen Museum der Pfalz aufbewahrt wird, lässt jedoch keine Zweifel: Die Originalfahne hat die Farbfolge Schwarz-Rot-Gold. Darüber hinaus berichtete die Polizei von zumindest keinen weiteren strafrechtlich relevanten Zwischenfällen.
Dialog nicht möglich
Auch im Rathaus der Stadt Neustadt war die Guerilla-Taktik der ganz in weiß gekleideten Menschenmenge Gesprächsthema Nummer ein. Die zentrale Frage lautet: Wie mit solchen Andersdenkenden umgehen? Gerade ein Demokratiefest müsse gegensätzliche Standpunkte zulassen, verteidigte der rheinland-pfälzische Innenminister und Vorsitzende der Stiftung Hambacher Schloss, Roger Lewentz, die moderate Haltung, schließlich auch den Zug von rund 800 Weißgekleideten zum Schloss hinauf als Versammlung zuzulassen. Während einer Podiumsdiskussion in der Neustadter Innenstadt habe man einen Redner der Protestierer zu Wort kommen lassen, berichtete Lewentz am Sonntagabend während der Verleihung des Hambacher Friedenspreises an Ex-Bundespräsident Joachim Gauck. Diese Ansichten des Russland-Lobs bei gleichzeitiger Diffamierung der Ukraine anzuhören, sei zuweilen eine Zumutung und schwer zu ertragen gewesen. Als man schließlich mit dem Mann in die Diskussion einsteigen wollte, habe dieser sich umgedreht und sei gegangen. Dies zeige, an einem echten Dialog hätten diese Menschen kein Interesse.
Auch Neustadts Oberbürgermeister Marc Weigel fand den Auftritt der Weißgekleideten beschämend und traurig und attestierte ihnen spalterische und aufrührerische Absichten. „Alleine schon durch das Tragen uniformer Kleidung und einer gewollten Spaltung der Festteilnehmer hat das Verhalten dem einigenden, weltoffenen und bunten Charakter des Demokratiefestes widersprochen“, sagte er. „Wir müssen solche Phänomene aushalten“, mahnte Weigel, gab den Demonstranten jedoch mit auf den Weg: „In anderen Ländern, für die sie Sympathien zeigen, säßen sie jetzt im Gefängnis.“
Wandel als Ursache für Hass
Selbst in der Rede des ersten Trägers des Hambacher Freiheitspreises 1832, Joachim Gauck, spielte der Auftritt der 3000 „Querdenker“ eine Rolle. Die Verachtung der Andersdenkenden und der daraus resultierende Hass „wird uns begleiten“, prophezeite der Preisträger. Menschen besäßen nun mal auch eine destruktive Seite. „Aber wir müssen auch ertragen, was uns nicht gefällt.“ Dennoch müsse die Demokratie verteidigt und ihren Gegnern die Grenzen deutlich aufgezeigt werden.
Die Welt befinde sich in einem fundamentalen Wandel angesichts der Globalisierung, Digitalisierung, ungeheurer technischer Neuerungen, des Klimawandels, der Migration und zuletzt der Pandemie. „Das ist ein ganzes Bündel von Angst machenden Faktoren“, sagte Gauck. Es gebe viele Gründe, die die Menschen verunsicherten. Bei manchem schlage diese Angst in Aggressivität um. Doch Gauck beruhigt, dass die große Mehrheit der Deutschen sich diesen Entwicklungen widersetze. Er warb für eine aktive Zivilgesellschaft, in der sich Menschen engagieren. Dies sei das Fundament für eine starke Demokratie. Und er bat darum, wählen zu gehen: „Wenn nicht, erscheine ich euch nachts im Traum!“
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