Ludwigshafen. Am Freitag, um 9.07 Uhr, blickt Kurt Sprengart zum ersten Mal dem Mann ins Gesicht, der seinen Sohn Jonas am 18. Oktober niedergestochen haben soll. Liban M. lässt den Aktenordner sinken, den er sich schützend vor das Gesicht gehalten hat, als er den Gerichtssaal betrat.
Sprengart fixiert ihn mit seinem Blick. Liban M. soll am 18. Oktober seinen Sohn getötet haben. Im Ludwigshafener Stadtteil Oggersheim soll er ihm auf offener Straße wieder und wieder in die Brust gestochen haben. Unvermittelt. Und ohne Grund. Als Jonas mit geschlossenen Augen auf dem Boden lag, soll er den Arm des 20-Jährigen abgetrennt haben, um ihn auf den Balkon seiner Ex-Freundin zu werfen, „als Geschenk“.
Angeklagter äußert sich erstmals zu Vorwürfen
Und er soll Sascha, Sprengarts Ziehsohn, der wie Jonas im Malerbetrieb der Familie arbeitete, mit einem Stich in den Hals getötet haben. Weil Sascha Jonas zu Hilfe eilen wollte. Anschließend soll M. einen nahegelegenen Drogeriemarkt betreten haben. Um noch einmal zuzustechen. Dort soll er einen dritten Mann lebensgefährlich mit Messerstichen verletzt haben. Der Mann konnte laut Staatsanwaltschaft nur durch eine Notoperation gerettet werden.
Zu Beginn des Prozesses äußert sich Liban M. erstmals zu den Vorwürfen - und legt ein Geständnis ab. M. beschreibt, wie er am 18. Oktober vor dem Haus seiner Ex-Partnerin unterwegs war, obwohl er sich ihrer Wohnung eigentlich nicht mehr nähern durfte. Immer wieder habe es Streit gegeben. Oft habe seine Freundin ihn dann aus der Wohnung geworfen und er sei nach Neustadt zurückgefahren, wo er wohnte.
20 Zentimeter langes Messer in der Tasche
Vor Gericht übersetzt ein Dolmetscher M.s Sätze aus dem Somalischen ins Deutsche. Dieser erzählt von seiner Wut, seinen rasenden Gedanken, die nur noch um einen Mann kreisten: den Nachbarn seiner Partnerin.
Der Nachbar habe seine Familie bedroht, sagt M. Mehrfach habe er angekündigt, die Frau und ihre Kinder vergewaltigen zu wollen, gewalttätig zu werden. Nächtelang lag M. wach, erzählt er. Wegen dieses „schlechten Menschen“, gegen den er sich zur Wehr setzen wollte, gegen den er „kämpfen“ wollte. Deshalb sei er am 18. Oktober nach Oggersheim gefahren, ein Messer mit einer 20 Zentimeter langen Klinge in der Tasche.
Seine Freundin habe sich zwischenzeitlich von ihm getrennt, habe darum gebeten, ihre Verbindung zu lösen. In einer Moschee hätten beide zuvor geheiratet, berichtet der Angeklagte. Während er selbst vor Ort gewesen sei, habe sich seine damalige Freundin per Telefon zugeschaltet, um ihn zu heiraten. Eine standesamtliche Eheschließung habe es nicht gegeben.
Die letzten Minuten im Leben von Jonas
Trotz der Trennung sei er in den Zug nach Ludwigshafen gestiegen und habe an der Haltestelle noch ein Gebet gesprochen, um „Pluspunkte“ bei Gott zu sammeln, der für jeden Menschen einen Plan vorsehe, sagt er.
Vor dem Haus seiner Ex-Partnerin habe er zwei Männer angetroffen - den Handwerker Jonas Sprengart und seinen Kollegen Sascha. „Dann ist halt passiert, was passiert ist“, sagt er. Die Vorsitzende Richterin Mirtha Hütt fragt nach: „Was ist passiert?“ Und dann beschreibt Liban M. knapp die letzten Lebensminuten von Jonas Sprengart und Sascha.
Kurt Sprengart hält seinen Blick starr auf den 26-Jährigen gerichtet. Neben ihm sitzt Saschas Witwe. Sie weint leise, während M. sich daran erinnert, wie er die beiden Männer zunächst in ein Gespräch verwickelte, um von seiner eigentlichen Absicht abzulenken. Wie er unbemerkt das Messer aus seiner Tasche holte und damit dann Jonas’ Körper zerschnitt. Wie „der Andere“ sich eingemischt hätte. Saschas Frau schließt die Augen.
Sie sind also davon ausgegangen, dass der Mann noch lebte, als sie ihm den Arm abtrennten?
Die Nachfragen der Richterinnen, der Staatsanwaltschaft und der Anwälte prasseln auf sie ein. Kurz bricht auch die Stimme der Vorsitzenden Richterin Mirtha Hütt, als sie den Angeklagten fragt: „Sie sind also davon ausgegangen, dass der Mann noch lebte, als sie ihm den Arm abtrennten?“ M. bejaht. Dann schweift er wieder ab. Und auf die Frage danach, ob er inzwischen wisse, dass Jonas nicht im Haus seiner Ex-Partnerin gewohnt habe, nicht ihr Nachbar gewesen sein könne, antwortet er nicht eindeutig. „Später, im Krankenhaus, haben mir das einige Leute gesagt.“
Gutachter: Angeklagter wollte gezielt töten
An viele Details des Tages kann oder will sich M. nicht erinnern. Zu anderen kann oder will er sich nicht klar äußern. „Haben Sie den Mann getötet, weil er Deutscher war?“, fragt Rechtsanwalt Philipp Moritz Hug, der den Überlebenden der Messerattacke in dem Prozess vertritt. Liban M. weicht aus.
Immer wieder spricht er über den „schlechten Menschen“ und darüber, dass er bereit gewesen sei, zu kämpfen.
Vor Beginn des Prozesses sprach M. laut Staatsanwaltschaft mit einem psychiatrischen Sachverständigen. Gegenüber dem Gutachter soll der Angeklagte berichtet haben, dass er gezielt deutsche Männer habe töten wollen - aus Eifersucht und Wut darüber, dass seine Partnerin ihn verlassen habe.
Dazu will er sich vor Gericht am Freitag nicht weiter äußern, sich nicht festlegen. Stattdessen kommt er immer wieder auf den Nachbar zu sprechen, verliert sich in seiner eigenen Realität.
Damit drängt sich bereits an Tag 1 des Prozesses die Frage nach der Schuldfähigkeit des Angeklagten auf. Der Gutachter, der mit ihm gesprochen hat, hat ihn vorläufig als schuldfähig eingestuft. Weitere Aufschlüsse soll der Prozess bringen, der am 17. Februar fortgesetzt wird. Am zweiten Prozesstag soll der einzige Zeuge aussagen, der die Messerattacke überlebt hat.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/metropolregion_artikel,-metropolregion-prozessbeginn-nach-messerattacke-in-ludwigshafen-die-letzten-minuten-ihres-lebens-_arid,2049908.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.dehttps://www.mannheimer-morgen.de/_arid,2049902.html
[2] https://www.mannheimer-morgen.dehttps://www.mannheimer-morgen.de/orte/ludwigshafen_artikel,-ludwigshafen-bluttat-in-ludwigshafen-so-geht-es-jonas-eltern-vor-dem-prozess-_arid,2048378.html