Walldorf. Noch wenige Tage, dann hat der Stubenarrest für Katzen in Walldorf vorerst ein Ende. Am Montag dürfen die Vierbeiner im Süden der Stadt nach Ende der Schutzmaßnahme für Haubenlerchen wieder vor die Tür und ihrem Spiel- und Jagdtrieb nachgehen. Das dürfte Halterinnen und Halter der Tiere erfreuen. Vorerst. Denn nächstes Jahr geht das Ganze wieder von vorne los. Auch dann dürfen Katzen zwischen dem 1. April und dem 31. August nicht raus. Und das jeweils bis zum Jahr 2025.
Geht es nach dem renommierten Vogelkundler Peter Berthold, einst Direktor am Max-Planck-Institut für Ornithologie in Radolfzell, ist die Maßnahme alternativlos – aber zu kurz gedacht. „Katzen sind mit die größten Feinde unserer zusammengeschrumpften Artenvielfalt, deswegen gehört die Hauskatze aus allen Gärten als Freigänger vollständig heraus. Punkt“, macht Berthold im Gespräch mit dieser Redaktion deutlich. Katzen seien nun mal Exoten und keine einheimischen Tiere.
Ornithologe Peter Berthold
- Ornithologe und Verhaltensforscher Peter Berthold wurde am 1. April 1939 in Zittau geboren.
- Von 1991 bis 2005 Leiter der Vogelwarte in Radolfzell, von 1998 bis 2004 zudem Direktor beim Max-Planck-Institut für Ornithologie.
- Berthold wurde zahlreich ausgezeichnet, beispielsweise erhielt er 2002 den Philip Morris Forschungspreis
Dennoch glaubt Berthold, dass die Maßnahme der Unteren Naturschutzbehörde des Rhein-Neckar-Kreises nicht zielführend ist, um die Haubenlerche in Walldorf zu retten. „Da müssen noch viele weitere Schritte folgen“, behauptet der 83-Jährige. Man müsse überlegen, wie die Brutgebiete längerfristig zu sichern seien. Doch: „Das ist sicherlich kaum möglich, weil das Gebiet von allen Seiten baulich verdichtet worden ist“, so Berthold. „Wenn man mich fragt, ob der Haubenlerche damit in der Region geholfen wäre, dann sage ich nein. Dazu ist die Population zu klein.“
Ein Versagen der Politik
Für Berthold ist die jetzige Situation vor allem ein Versagen der Politik. „Die Untere Naturschutzbehörde ist die ärmste Sau der Welt“, sagt er. Es sei eine Verzweiflungstat der Behörde, „die aus meiner Sicht von der Obrigkeit im Stich gelassen wurde und als letzter Verantwortlicher an die Front geschickt wird.“ Berthold spricht von einer „Hau-Ruck-Aktion“, mit der der Naturschutz in der Bevölkerung nicht gerade an Popularität gewinne.
„Dass man jetzt vorübergehend die Katzen ein paar Monate einsperrt, das ist keine Lösung und kein Schutzkonzept, das zukunftsträchtig ist“, bemängelt der Ornithologe. In seinen Augen braucht es vor allem ein Artenschutzkonzept, das von der Bundesregierung, den Landesregierungen und den Regierungspräsidien zusammen erarbeitet wird. Diese seien in der Pflicht, so Berthold, der in dem Zusammenhang auf die Vogelschutzrichtlinie der Europäischen Union und die damit einhergehenden Verpflichtungen der einzelnen Staaten verweist. „Aber das heißt nicht, dass man es so lange darauf ankommen lässt, bis nur noch ein Exemplar übrig ist, und man dann zur Unteren Naturschutzbehörde geht.“ Politiker, Parteien, Behörden und sogar Naturschutzverbände würden sich bei dem Thema nur wegducken. Wer wolle sich schon unbeliebt machen, wenn es um die allseits beliebte Katze geht?
Regierungspräsidium: Ausgangssperre weiterhin erforderlich
- Es ist eine harte Maßnahme, mit der die Walldorfer Katzen und deren Besitzerinnen und Besitzer leben müssen. Geht es nach dem Regierungspräsidium Karlsruhe (RPK), an dem die Obere Naturschutzbehörde angesiedelt ist, wird die Ausgangssperre weiter Bestand haben. „Es handelt sich um die einzige wirksame Methode. Alternative Methoden gibt es nicht“, sagt RPK-Sprecherin Irene Feilhauer auf Anfrage.
- Ein Gutachten im Auftrag der Stadt Walldorf habe gezeigt, dass für den fehlenden Bruterfolg der Haubenlerche aktuell vor allem Prädatoren verantwortlich seien, also Raubtiere wie die Katze, erklärt Feilhauer die Maßnahme. Zäune oder Volieren über den Nestern bieten zwar Schutz. Der greift aber nicht mehr, wenn Jungvögel das Nest verlassen, jedoch noch nicht komplett flugfähig sind, betont Feilhauer. Dies sei zwischen dem neunten und 20. Tag der Fall. Die Vögel würden „somit leicht Opfer jagender Freigängerkatzen“.
- Die Erhebung einer Katzensteuer oder eine Kastrations- und Kennzeichnungspflicht sieht das RPK nicht als zielführend an: „Sie wären eine Ergänzung zur Allgemeinverfügung, könnten diese allerdings nicht ersetzen“, sagt Feilhauer. Zwar könne eine Kastrationspflicht die Anzahl der verwilderten und der Freigängerkatzen reduzieren. Aber auch kastrierte und gekennzeichnete Katzen könnten Haubenlerchen erbeuten. Die Sprecherin macht deutlich: „Um den gewünschten Erfolg in Walldorf schnell zu erreichen, ist die Allgemeinverfügung daher weiterhin erforderlich.“
Berthold scheut sich nicht, den unangenehmen Weg zu gehen. „Es ist höchste Zeit, etwas zu machen“, fordert der 83-Jährige. Er weiß trotz seiner Argumente aber auch: „Es ist sehr schwierig, durchzusetzen, dass die Katze zuhause bleibt.“ Im Gegensatz zu vielen Kollegen, denen die verwilderten Katzen ein Dorn im Auge sind, sieht Berthold besonders die freilaufenden Hauskatzen als Problem. „Das sind Sportjäger“, erklärt der Vogelexperte. Die Vierbeiner würden zuhause etwas zu essen bekommen, während sie draußen ihren Jagdtrieb frönten. „Aber sie brauchen nichts zu essen, das haben sie ja“, sagt Berthold und fügt an: „Alles, was sie töten, lassen sie liegen. Die verwilderte Katze dagegen muss von ihrer Beute leben.“
Berthold ist nicht nur dafür, die Tiere im Haus zu lassen, er fordert auch die Einführung einer Katzensteuer. Die hatte er schon 2013 ins Spiel gebracht. Zusätzlich müssten die Tiere auch einer Kastrations- und Kennzeichnungspflicht unterliegen, um den Bestand der verwilderten Katzen zu reduzieren. Mit den Steuergeldern könnten Tierheime finanziert werden, in denen Katzen, die sich nicht ans Innere gewöhnen, artgerecht gehalten werden.
Konzertierte Aktion nötig
Berthold weiß, dass das nicht von heute auf morgen möglich ist. Es brauche eine konzertierte Aktion und vor allem Aufklärung, um verständlich zu machen, dass „die Katze ein großer Hauptfeind unserer restlichen Biodiversität“ sei. Es helfe nicht, zu verharmlosen und alles auf die landwirtschaftlich genutzten Flächen zu schieben, denn „die kriegen wir nicht re-ökologisiert in den nächsten Jahren“, so Berthold.
Es sei ein harter Schritt. Deswegen müsste die Maßnahme über Jahre vorbereitet werden, so dass sich Katzenliebhaber darauf einstellen können. „Wir haben sicherlich weit über eine Million Katzen, die in Städten sowieso drinnen gehalten werden“, argumentiert er und glaubt, dass seine Herangehensweise sowohl Vögel als auch Katzen und deren Halterinnen und Halter zufriedenstellen würde. Beim Kauf müsse aber darauf geachtet werden, dass man sich für eine Rasse entscheide, die es gewohnt ist, im Haus zu leben. „Wenn man das so angehen würde, wäre ein großer Teil der Bevölkerung dabei“, ist sich Berthold sicher.
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