Wehrzollhaus. Auf den ersten Blick ist es eine Idylle. Ein paar neugierige Meisen kommen zur Terrasse geflogen, landen auf dem Tisch, an dem Gabi Weiß sitzt. Doch von Ausruhen keine Spur. Die 53-Jährige wartet ungeduldig auf einen neuen kleinen Patienten.
Die Frau aus Wehrzollhaus, der kleinen Siedlung zwischen Hofheim und Rosengarten, päppelt seit rund sieben Jahren verletzte, kranke oder verwaiste Wildvögel auf. Ehrenamtlich. Dabei ist es eigentlich ein echter Knochenjob. In der Jungvogelsaison – sprich von März bis September – ist sie von 6 bis 22 Uhr im Einsatz. Denn viertelstündlich müssen die Kleinsten gefüttert werden. Dazu kommt die medizinische Versorgung und das viele Saubermachen. „Nach dem Sommer kann man mich eindosen“, sagt Gabi Weiß lächelnd. An Urlaub ist bei ihr gerade nicht zu denken.
Belastung oft zu hoch
Endlich klingelt es an der Tür. Michaela Plachky bringt eine völlig benommen wirkende Mönchsgrasmücke. „Ich habe den Vogel gestern bei uns auf der Hauptstraße gefunden“, berichtet sie. Die Tierfreundin aus Dossenheim ist extra rund 50 Kilometer bis ins Ried gefahren. „Lange musste ich suchen, bis ich eine Anlaufstelle gefunden habe“, berichtet Michaela Plachky.
Kein Wunder: Denn viele der in der Wildvogelhilfe engagierten Freiwilligen geben auf. Die Arbeitsbelastung ist oft schlicht zu hoch. Und Geld gibt es meist nicht. „Manchmal bekommen wir Spenden. Aber in den überwiegenden Fällen legen wir für die Rettung eines Vogels drauf“, betont Gabi Weiß. Zum Futter kommen Medikamente, Tierarzt- und bisweilen Röntgenkosten. Von den Kommunen oder anderen staatlichen Ebenen würde sich Weiß dafür generell Unterstützung wünschen. „Viele Vogelarten verschwinden. Der Tierschutz muss uns schon etwas wert sein“, findet die Expertin.
Der kleinen Mönchsgrasmücke scheint es nicht gut zu gehen. „Sie ist wohl gegen eine Fensterscheibe geknallt oder gegen ein Auto“, mutmaßt Michaela Plachky. Tatsächlich gehören Verkehrs- oder sogenannte Anflug-Unfälle zu den häufigsten Ursachen für verletzte Wildvögel. „Viele Gebäude haben einfach zu große Glasflächen“, erläutert die Expertin. Und die Vögel könnten nicht erkennen, dass dahinter die Landschaft nicht weitergeht.
Ein weiteres Problem – vor allem in der Brutzeit – sind zudem die vielen freilaufenden Katzen, erklärt Gabi Weiß. Jede zweite Amsel, die ihr gebracht werde, sei Opfer einer Katze geworden. „Man muss sich schon bewusst sein, dass selbst so ein domestiziertes Haustier noch einen Jagdtrieb hat“, mahnt sie.
Ihrem Neuzugang gibt die Fachfrau nun erst einmal eine Infusion mit Vitamin B und ein Schmerzmittel. Den Vogel hatte Michaela Plachky, die ein Geschäft für Wolle betreibt, in einem kleinen Karton mit Löchern transportiert und ihm zuvor ein Nestchen gehäkelt, weil das geschwächte Tier immer wieder umfiel. „Vorbildlich“, lobt Gabi Weiß und erläutert, dass so ein Karton immer der Größe des Vogels angepasst und mit Handtüchern oder Küchenpapier ausgepolstert sein sollte. So könnten die gefiederten Patienten während der Fahrt nicht herumgeschleudert werden.
„Auch beim Nahrung geben kann einiges schief gehen“, sagt Gabi Weiß. Bereits eine einmalige Fehlfütterung könne viel anrichten – etwa Schäden an Verdauungs- und anderen Organen. „Außerdem niemals Wasser in den Schnabel spritzen“, betont sie, „weil Speise- und Luftröhre so nah beisammenliegen.“
Mit einem letzten Blick über die Schulter verabschiedet sich Michaela Plachky von ihrem Schützling. „In zwei Tagen wissen wir mehr“, sagt Gabi Weiß, „und danke, dass Sie ihn gebracht haben“.
Häufig scheuten sich Laien nämlich, Vögel auch nur anzufassen. Grund sei oft die falsche Annahme, dass Vögel von ihren Artgenossen nicht mehr akzeptiert würden, wenn sie nach Mensch riechen. „Dabei haben diese Tiere gar keinen ausgeprägten Geruchssinn“, klärt die Expertin auf.
Dann bereitet sie die nächste Fütterung vor. Vor der Frau, die eigens für ihr Ehrenamt einen Sachkunde-nachweis erworben hat und ihr Vogel-Domizil regelmäßig vom Veterinäramt überprüfen lässt, liegt noch ein langer Tag vor. 33 gefiederte Patienten betreut sie gerade. „Da fällt der Neue auch nicht mehr ins Gewicht“, sagt sie lachend.
Vögel, die Hilfe brauchen
Für Laien ist es nicht immer einfach zu erkennen, welcher Vogel Hilfe benötigt.
Der Verein Ehrenamtliche Wildvogelhilfe, zu dem auch Gabi Weiß gehört, hat daher eine Aufstellung dazu gemacht.
Hilfsbedürftig sind demnach:
kaum bis gar nicht gefiederte Jungtiere außerhalb des Nests,
Vögel außerhalb des Nests, die nicht fliegen können,
Vögel, die von einer Katze gebracht werden,
Jungvögel in gefährlicher Umgebung – etwa an Straßen,
Nestflüchter wie beispielsweise Enten ohne Eltern,
Mauersegler und Schwalben, die am Boden liegen.
Wer mehr über die Wildvogelhilfe erfahren möchte, findet weitere Infos auf deren Homepage ehrenamtliche-wildvogelhilfe.de. off
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