Kriminalität

Oggersheimer Messermord: Angriff auf Mitpatienten in Psychiatrie?

Er tötete zwei Handwerker in Ludwigshafen auf brutale Art. Nun soll er wieder einen Mann angegriffen haben. Wie konnte das passieren? Und warum rief tagelang niemand die Polizei?

Von 
Agnes Polewka
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Frankenthaler Richterinnen und Richter entschieden: Liban M. muss dauerhaft in einer Psychiatrie untergebracht werden. Dort soll er erneut einen Menschen mit einem Messer angegriffen und verletzt haben. © Klaus Venus

Rhein-Neckar. „Ich akzeptiere Ihr Urteil nicht“, sagt Liban M. Ende Mai 2023 im größten Gerichtssaal des Frankenthaler Landgerichts. Nur über seine Leiche werde er in ein Krankenhaus gehen. Liban M. ist überzeugt davon, dass er gesund ist. Stattdessen sei da ein GPS-Sender unter seiner Haut. Und Stimmen, die ihn verhöhnen. Menschen, die ihn verfolgen. Und andere, die ihn bedrohen: „böse Nachbarn“.

Im Herbst 2022 zog er mit einem Küchenmesser los, weil er diese Menschen bestrafen wollte. Im Ludwigshafener Stadtteil Oggersheim tötete er die beiden Handwerker Jonas Sprengart (20) und Sascha Kraft (35) auf offener Straße, danach trennte er Sprengarts Unterarm ab und warf ihn auf den Balkon seiner Ex-Partnerin. Anschließend ging er in einem Drogeriemarkt auf einen dritten Mann mit dem Messer los. Er überlebte nur knapp.

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Nach einem dreimonatigen Prozess steht Ende Mai 2023 fest: Der damals 26-jährige Somalier, der laut dem Gutachten eines Psychiatrischen Sachverständigen an einer paranoiden Schizophrenie leidet, muss dauerhaft in die Psychiatrie. Die Gesellschaft müsse vor diesem Mann geschützt werden, sagt die Vorsitzende Richterin Mirtha Hütt Ende Mai 2023. Liban M. kommt ins Pfalzklinikum nach Klingenmünster an der Südlichen Weinstraße, in den Maßregelvollzug.

Und dann nimmt seine Geschichte eine unerwartete Wendung. Über anderthalb Jahre später, am 11. Februar 2025, veröffentlichen das Polizeipräsidium Rheinpfalz und die Landauer Staatsanwaltschaft eine gemeinsame Mitteilung.

Hat Liban M. erneut einen Menschen mit einem Messer verletzt?

Darin geht es um einen Angriff am 4. Februar 2025 in der psychiatrischen Klinik in Klingenmünster. Ein 28-Jähriger soll einen Mitpatienten mit einem „Besteckmesser“ angegriffen und verletzt haben. Der Mitpatient konnte fliehen und sich in Sicherheit bringen, schreiben die Verfasser der Mitteilung. Und weiter: Er erlitt mehrere Stich- und Schnittverletzungen an Hals und Oberkörper. Lebensgefahr habe nicht bestanden.

Nach Recherchen der „Rheinpfalz“ handelt es sich bei dem 28-jährigen Angreifer um Liban M.

Die Leitende Oberstaatsanwältin in Landau, Angelika Möhlig, bestätigt die Identität des Angreifers auf Anfrage dieser Redaktion nicht, dementiert sie aber auch nicht. Die Staatsanwaltschaft habe Ermittlungen wegen versuchten Mordes eingeleitet. Nach jetzigem Ermittlungsstand habe keine Gefahr für weitere Patienten oder das Pflegepersonal bestanden, sagt sie. Und weist im nächsten Satz darauf hin, dass die Ermittlungen dazu aber noch nicht abgeschlossen seien.

Und so bleiben auch viele weitere Fragen zunächst unbeantwortet: Wie konnte der 28-jährige mutmaßliche Täter unentdeckt ein Messer aus dem Frühstückraum entwenden? Warum teilte er sich – wie die Rheinpfalz berichtet – mit einem anderen Mann, seinem späteren Opfer, ein Zimmer? Sollte es sich tatsächlich um Liban M. handeln, wäre da nicht eine Einzelunterbringung ratsamer gewesen? Und last, not least: Warum verständigte in Klingenmünster zunächst niemand die Polizei?

Polizei erst zwei Tage nach dem Vorfall verständigt

Denn das ist das nächste bizarre Detail dieser Geschichte: Nach „Rheinpfalz“-Informationen riefen Klinik-Mitarbeitende erst zwei Tage nach dem Vorfall und der Reinigung des Zimmers die Polizei. Die Leitende Oberstaatsanwältin bestätigt, dass der Fall am Donnerstag gemeldet wurde, die Tat habe sich am Dienstag zugetragen.

Eine Sprecherin der Klinik schreibt auf Anfrage dieser Redaktion, man wolle keine Intransparenz erzeugen und die Klinik sei an einer lückenlosen Aufklärung interessiert. „Derzeit konzentrieren wir uns darauf, mit den ermittelnden Behörden zusammenzuarbeiten und interne Abläufe zu prüfen“, heißt es in ihrer Stellungnahme.

Inzwischen befinde sich der 28-jährige mutmaßliche Angreifer in der Einzelunterbringung, schreibt sie auf Nachfrage weiter.

Doch, warum erst jetzt? Grundsätzlich seien Patientinnen und Patienten der Klinik in Doppelzimmern untergebracht. Wenn sich eine psychische Krise zeige, würden sie in einem Kriseninterventionsraum isoliert. „In diesem Fall gab es keine medizinisch-psychiatrische Indikation für eine Unterbringung im Einzelzimmer. Der Patient wurde als absprachefähig im gesicherten Rahmen der Therapiestation eingeschätzt und verhielt sich angepasst.“

Aber das Messer, wie konnte das passieren? „Grundsätzlich gilt, dass das Besteck personifiziert und abgezählt zu Beginn der Mahlzeiten ausgegeben und nach den Mahlzeiten wieder eingesammelt wird“, schreibt die Sprecherin. Was lief also schief, an diesem 4. Februar? „Weitere Informationen zu diesem Thema können wir aus sicherheitsrelevanten Gründen an dieser Stelle nicht weitergeben.“

Im Prozess vor anderthalb Jahren sprach die Ex-Partnerin stundenlang von Liban M.s Halluzinationen. Er sah Gesichter an den Wänden, die nicht da waren. Er hörte Stimmen und habe nicht mehr gegessen, weil er Angst hatte, jemand könnte ihn vergiften. Einmal, da habe er sie gebeten, einen Exorzisten zu suchen, weil er „besessen“ sei.

In der somalischen Kultur werden psychische Krankheiten oftmals spirituell interpretiert, als Gottes Wille, als vorbestimmtes Schicksal. Und als unumkehrbar.

Redaktion

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