Frankenthal/Zweibrücken. Neue Entwicklungen im Fall Zoe: In den kommenden Tagen entscheidet das Oberlandesgericht Zweibrücken (OLG) erneut darüber, ob ein wegen Mordes und Vergewaltigung verurteilter Mann wieder aus der U-Haft entlassen wird. Allerdings kommt der Senat des OLG hierzu in veränderter Besetzung zusammen. Denn: Der Vorsitzende des Strafsenats am Oberlandesgericht hat sich nach Angaben der Justizbehörde selbst angezeigt, weil er befangen sein könnte.
Was ist passiert?
Um zu verstehen, wie es dazu kommen konnte, muss man noch einmal den kompletten Fall Revue passieren lassen: Am 2. August 2022 wird der 19-jährige Lukas V. aus Ludwigshafen zu zehn Jahren Haft verurteilt- wegen Mordes, Vergewaltigung mit Todesfolge und sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen.
Zu diesem Zeitpunkt befindet er sich bereits über zwei Jahre in U-Haft. Weil das Urteil noch nicht rechtskräftig ist – Staatsanwaltschaft, Verteidigung und eine Nebenklägerin haben Revision eingelegt – bleibt V. weiter in U-Haft. Dagegen legt sein Verteidiger Alexander Klein Haftbeschwerde ein. Das OLG in Zweibrücken gibt ihm Recht. Lukas V. wird vorzeitig aus der Haft entlassen. Und eine Welle der Entrüstung ergießt sich über diese Entscheidung. Der Fall macht bundesweit Schlagzeilen, V. wird an einen unbekannten Ort gebracht, weil in den sozialen Medien zu Selbstjustiz aufgerufen wird. Die Angehörigen der ermordeten 17-jährigen Zoe, die V. im März 2019 vergewaltigt und gewürgt haben soll, sprechen im Fernsehen über ihren Schmerz und ihre Wut. Überall Fassungslosigkeit.
Gewalt- Fesselfantasien im Chat
Mitte November überschlagen sich die Ereignisse: V. sei wieder in Haft, schreibt die Frankenthaler Staatsanwaltschaft in einer Mitteilung. Die Polizei habe in einer anderen Sache gegen den Mann ermittelt und sei dabei auf Chatverläufe gestoßen, die Grund zu Besorgnis gäben, sagte der Leitende Staatsanwalt Hubert Ströber im Gespräch mit dieser Redaktion. Darin soll von Gewalt- und Fesselfantasien die Rede gewesen sein. Die Staatsanwaltschaft sei zu der Einschätzung gekommen, dass ein Wiederholungsrisiko bestehe. Dass V. wieder eine Frau verletzen und töten könnte, sagt Ströber Mitte Novemver.
Kontakte zum OLG vor der Inhaftierung
Dagegen legt der Verteidiger des Mannes, Alexander Klein, erneut Haftbeschwerde ein. Was er Mitte November nicht weiß: Die Frankenthaler Richter sollen ihren Kollegen in Zweibrücken angerufen haben, bevor sie V. wieder verhaften ließen, ihn um eine juristische Bewertung gebeten haben. Dass es Kontakte gegeben hat, bestätigt das OLG in einer Stellungnahme - und hat den zuständigen Richter nun abgezogen. Zu groß ist die Sorge, dass der Richter hinter den Kulissen bereits zu sehr involviert gewesen sein könnte. Zu viele Ratschläge gegeben haben könnte, dass wichtige Kontrollmechanismen ausgehebelt worden sein könnten. Denn genau deshalb gibt es übergeordnete Instanzen: um einen funktionierenden Rechtsapparat aufrecht zu erhalten.
Wieder Negativschlagzeilen rund um das Frankenthaler Landgericht
Das ist mehr als unglücklich in einem Fall, mit dem das Frankenthaler Landgericht schon wieder Negativschlagzeilen macht. Durch die lange Verfahrensdauer, für die es nach wie vor keine plausible Erklärung gibt, hatte die Kammer die vorzeitige Haftentlassung erst ermöglicht.
Strafverteidiger Klein kritisiert die „Heimlichtuerei“ hinter den Kulissen aufs Schärfste und erwägt eine Beschwerde beim Verfassungsgericht. „Ich habe die große Befürchtung, dass der Senat meinen Mandanten nicht wieder frei kommen lässt, weil sich die Zweibrücker Senatskollegen dann gegen ihren Vorsitzenden stellen müssten“, sagt Klein. Dass dieser die Frankenthaler Richter „beraten“ hat, davon ist Klein überzeugt.
Wie es zu dem Vorfall kommen konnte, wieso die Richter den Senatsvorsitzenden kontaktierten, ist bislang offen geblieben. Eine Sprecherin des Landgerichts Frankenthal verweist auf die Stellungnahme des OLG, Näheres sei ihr bislang nicht bekannt.
In der Öffentlichkeit dürfte eine Entscheidung gegen eine weitere Haftentlassung für große Erleichterung sorgen. „Wenn schlimme Dinge passieren, heiligt der Zweck oft die Mittel“, sagt Klein. Aber dies sei nicht rechtens, in einem Rechtsstaat, der nach ganz bestimmten Regeln funktioniert. Oder vielmehr funktionieren sollte.
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