Landau/Edenkoben. Schockiert und gleichzeitig gefasst habe die Zehnjährige auf der Rückbank des grünen Audi A4 gesessen. So erzählt es die 20-jährige Kommissaranwärterin, die am Morgen des 11. September gegen kurz nach 10 Uhr die Erste ist, die nach der Entführung Kontakt mit der Schülerin aufnehmen kann.
Deutlich über zwei Stunden ist das Mädchen zu diesem Zeitpunkt bereits in den Fängen des 62-jährigen Arthur K., dessen Handschellen quasi im gleichen Moment klicken. Sie sitzt starr rechts hinten auf der Rückbank, er liegt links vorne neben dem Fahrzeug. Womöglich grinst er zu diesem Zeitpunkt sogar. Mindestens einer der vier Polizisten und Polizistinnen, die am Montagmorgen vor dem Landauer Landgericht von Richterin Claudia Kurtze gehört werden, will sich an diesen Gesichtsausdruck konkret erinnern können.
Angeklagter im Missbrauchsprozess in Edenkoben als "kühl" beschrieben
Allesamt sind sie sich jedoch sicher. Dieser Mann ist „kühl“, „abgeklärt“, „emotionslos“ - so beschreiben es die Zeugen, die ihm mehr als eine halbe Stunde bei einer Verfolgungsfahrt von der Mittelhaardt bis knapp vor die französische Grenze durch Ortschaften, über Landesstraßen und auf Autobahnen hinterhergejagt waren.
Letztlich stoppt ihn ein Motorschaden. Das Gaspedal hat er zuvor fast immer durchgedrückt. Ein 31-jähriger Beamter, der seinen Streifenwagen am Ende direkt vor den rauchenden Audi stellt, um eine weitere Flucht zu verhindern, sagt über den Angeklagten: „Das ist ein leerer Mensch.“ Bei seiner Festnahme habe dieser fast hämisch nur einen Satz gesagt: „Ich wollte sie doch wieder zurück fahren“.
Angeklagter Arthur K. flieht Zeugen zufolge mit über 100 Stundenkilometern
Für den Vater des Kindes, der die Zeugenaussagen am zweiten Tag des Prozesses von der Bank des Nebenklägers aus verfolgt, muss das wie eine weitere Provokation klingen. Denn vorausgegangen ist der Flucht eine Tat, die der als Sexualstraftäter bereits früher in Erscheinung getretene Mann zum Auftakt über seine Verteidigerin hat einräumen lassen: In einer stillgelegten Papierfabrik im Neustadter Tal soll er das Mädchen sexuell missbraucht haben, nachdem er sie zuvor am früheren Morgen auf einem Feldweg nahe des Edenkobener Gymnasiums abgepasst und in sein Auto gedrückt haben soll. So steht es in der Anklage.
Es war wie in einem Computerspiel, wenn man ein Autorennen fährt
Dass der Mann alles tun würde, um eine Tat zu verschleiern und somit ungesühnt zu lassen, darauf liefern die Zeugenaussagen am Montag einen starken Hinweis. Dieser Morgen am Landauer Landgericht ist allein der Fluchtgeschichte gewidmet, die parallel der Deutschen Weinstraße Richtung Süden führt.
Edenkoben, Venningen, Kirrweiler, Essingen, Insheim - durch diese Gemeinden oder an ihnen vorbei rast Arthur K. den Zeugen zufolge mit einer Geschwindigkeit von bisweilen mehr als 170 Stundenkilometern. Ein vor dem Ortsausgang in Kirrweiler quer auf die Straße gestellter Streifenwagen hält ihn nicht auf. Er drückt sich zwischen Fahrzeugfront und Hauswand durch eine passende Lücke, verliert dabei zwar seinen rechten Außenspiegel, rast aber weiter.
Polizisten schildern die Jagd nach dem mutmaßlichen Täter vor Gericht
Mehrere, teils in zivil fahrende Polizisten verfolgen ihn. Darunter auch eine Beamtin von der Diensthundestaffel, die als Erste die Verfolgung aufnimmt. „Er hat abartig Gas gegeben“, sagt sie vor Gericht. Mit 100 sei Arthur K. durch den Ort gerauscht. Dass sich das Mädchen im Auto befinden könnte, erfährt sie über Funk von Kollegen. Sie solle das Auto deshalb nicht rammen. Sehen kann sie das Kind erst später.
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„Es war wie in einem Computerspiel, wenn man ein Autorennen fährt“, erinnert sich die 43-Jährige. „Brenzlige Situationen“ beschreibt sie einige. Erst auf der A65 in Höhe Landau-Mitte habe sie gesehen, dass das Mädchen rechts hinten im Auto sitze. Ihre Haare seien irgendwann vom Wind aufgewirbelt worden, als der Angeklagte einen Gegenstand, der sich später als Handy herausgestellt habe, aus dem Autofenster geworfen habe.
„Die anderen Leute im Verkehr waren ihm scheißegal“, beschließt sie ihre Aussage, nachdem sie noch schildert, wie sie beim Fixieren seiner Beine geholfen habe, nachdem er von Kollegen aus dem Auto gezwungen worden war.
Vater des entführten Mädchens bedankt sich vor Gericht
Der Vater des Mädchens, der der Aussage angespannt zuhört, meldet sich, ehe die Beamtin aus dem Zeugenstand entlassen wird. „Danke, dass sie meine Tochter da rausgeholt haben“, sagt er. Er und die Mutter des Mädchens haben ihre Aussage zuvor unter Ausschluss der Öffentlichkeit getätigt. Auch hier ordnete das Gericht am Montag die Persönlichkeitsrechte des Mädchens als besonders schutzwürdig ein. Ihr Name und das exakte Geschehen in der Papierfabrik bleiben insofern geheim.
Der Angeklagte und seine Verteidigerin schweigen dieses Mal weitgehend. Wie schon am ersten Prozesstag, wendet Arthur K. der Öffentlichkeit den Rücken zu und schaut nur auf seine Anwältin. Manchmal tuschelt er kurz. Hie und da deutet sich sogar ein Grinsen an. Sensibilität ist seine Stärke nicht.
Ob von der Richterin gewollt oder nicht - dieser Morgen weist die besondere Rohheit und Rücksichtslosigkeit des Angeklagten aus, den die Behörden am 14. Juli 2023 ohne angelegte Fußfessel aus einer dreijährigen Haft entließen und ihn anschließend nur punktuell kontrollierten. Ein Versagen schließt der verantwortliche Justizminister Herbert Mertin später aus.
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