Das Wichtigste in Kürze
- Städte wie Mannheim und Ludwigshafen stehen finanziell immer mehr unter Druck.
- Von kommunaler Ebene wird häufig nach Hilfe von Bund und Land gerufen.
- Der Mannheimer Politologe Thomas König kritisiert diese Haltung und wirft Städten vor, ihre Pflichtaufgaben zu vernachlässigen
- Kommunen sollten ihr Geld vor allem für Infrastruktur, Daseinsvorsorge und Schulen einsetzen
- Mischfinanzierungen mit Geldern von Bund und Land bezeichnet er als „süßes Gift“
MA Mannheim. Herr König, nach dem „Gipfel der Metropolregion“ des „Mannheimer Morgen“ haben Sie kritisiert, dass Mannheim und Ludwigshafen mit „Prestigeprojekten“ wie der Sanierung des Nationaltheaters oder dem Umbau der Hochstraße an ihrer finanziellen Lage einen großen Teil der Schuld selbst tragen und der Ruf nach mehr Unterstützung von Bund und Land deshalb zweitrangig sein muss. Warum halten Sie die Projekte für besonders problematisch?
Thomas König : Dafür gibt es zwei Gründe. Zum einen sind das aktuelle Beispiele aus der unmittelbaren Umgebung, sodass sie jeder nachvollziehen kann. Zum anderen sind es exorbitante Summen, die mit diesen Projekten bewegt werden. Die Summen werden auf die gleiche Art und Weise bewegt: Durch eine Mischfinanzierung. Die Mischfinanzierung ist das süße Gift der Verschuldung.
Was meinen Sie damit?
König : Eine Mischfinanzierung hat zur Folge, dass man Kosten kleinredet. Zum einen suggeriert man, dass man nicht selbst für die Gesamtkosten aufkommen muss, sondern von Bund, Ländern oder vielleicht sogar auch der Europäischen Union Unterstützung bekommt. Das ist in etwa so, wie wenn man für die Familie einkaufen geht und hinterher sagt, man hätte gespart, weil ein Produkt nicht 50 Euro, sondern nur 40 Euro gekostet hat. Man suggeriert, dass man zehn Euro sparen kann und legitimiert dadurch die 40 Euro an Ausgaben, die womöglich an anderer Stelle fehlen. Dieses süße Gift wird Gemeinderäten bei großen Projekten wie der Generalsanierung des Nationaltheaters oder dem Umbau der Hochstraße vorgelegt. Zumindest die Nationaltheatersanierung fällt nicht unter die Pflichtaufgaben der Kommune. Trotzdem verschlingt sie enorme Summen, die an anderer Stelle für die Erfüllung von Pflichtaufgaben wie Infrastruktur, Daseinsvorsorge, Schulen et cetera fehlen.
Man kann gegenüber der Familie argumentieren, dass man immer von der einen Ware geträumt hat und durch die Mischfinanzierung jetzt die Möglichkeit hat, diese zu erwerben.
König : Das ist richtig. Wenn wir bei dem Beispiel bleiben, könnte man sogar sagen, dass man das, – wenn man pflichtgemäß lebensnotwendige Dinge für die Familie einkauft – unterstützen muss. Wenn man aber Dinge kauft, die nicht primär der Infrastruktur, Daseinsvorsorge und Schulen et cetera dienen und die sogar dazu führen, dass dadurch diese Pflichtaufgaben vernachlässigt werden, dürfte der Familiensegen schiefhängen.
Schauen wir auf Nationaltheater und Hochstraße: Was wäre die Alternative? Gerade die Hochstraße ist doch Daseinsvorsorge, weil sie als wichtige Infrastrukturachse Menschen zur Arbeit bringt.
König : Kommunen müssen in der Lage sein, ihre Pflichtaufgaben kontinuierlich zu erfüllen. Dazu gehört die Infrastruktur, dazu gehören aber auch Schulen und andere Daseinsvorsorgen. Erst wenn Kommunen diese Pflichtaufgaben erfüllen, können sie andere Dinge machen. Hätte Ludwigshafen die letzten 20 Jahre, in denen die Steuereinnahmengestiegen sind, die Hochstraße kontinuierlich gepflegt, würde sie wahrscheinlich nicht so aussehen, wie sie heute ausschaut. Die Mannheimer Zufahrten scheinen besser gepflegt worden zu sein. Kommunen haben per Gesetz definierte Aufgaben, die zugunsten anderer Dinge verschoben worden sind. Hierunter fällt auch die Frage, ob man man eine Hochstraße renoviert oder alles umbaut, inklusive dem Abriss des Rathauses. Ich bin kein Bauexperte oder Stadtplaner – aber sicherlich kostet dieser Abriss Geld. Genauso fragt man sich, ob die Hochstraße zwingend nach unten und wieder nach oben verlegt werden muss. Das birgt zusätzliche Kosten für ein Projekt, das prioritär ist, aber nicht notwendigerweise so aussehen muss wie es geplant wird.
Ist eine Stadt ohne Nationaltheater lebensfähig?
König : Die Sanierung eines Nationaltheaters fällt nicht unter die Pflichtaufgaben für Kommunen. Es handelt sich um keine Daseinsvorsorge. Natürlich kann man anstreben, das Gebäude zu sanieren – aber doch nur, wenn eine Kommune ihre eigentlichen Pflichtaufgaben erfüllen kann.
Und ansonsten würden Projekte wie eine Generalsanierung einfach mal liegenbleiben oder gar nicht umgesetzt? Ist das die Lösung?
König : Konkret werden am Nationaltheater mit hoher ingenieurwissenschaftlicher Expertise und hohen Kosten Brandschutzvorgaben in einem denkmalgeschützten Gebäude verrichtet. Das wirft doch die gesellschaftspolitische Frage auf, ob wir Brand- und Denkmalschutz so hoch werten, dass wir dafür unser Tafelsilber aufgeben. Sind uns Brand- und Denkmalschutz so viel wert, dass wir einen finanziellen Ruin riskieren wollen? Oder können Schauspiel und Oper des Nationaltheaters nicht auch in anderen Häusern stattfinden? Das funktioniert doch jetzt offenbar. Eine kostengünstigere Alternative ist doch besser als keine Mittel mehr für Investitionen in die Daseinsvorsorge, Infrastruktur, und Schulen zu haben.
Thomas König
Thomas König wurde am 2. Februar 1961 in Münster geboren . Er studierte Politikwissenschaft und Romanistik in Heidelberg und Mannheim.
Der Politikwissenschaftler ist als Professor an der Fakultät für Sozialwissenschaften der Universität Mannheim tätig.
Im Mittelpunkt seiner Forschung steht die Entwicklung und Anwendung von Theorien politischen Entscheidens.
Trotzdem läuft die Generalsanierung des Nationaltheaters, und die Stadt braucht baldmöglichst noch 40 Millionen Euro. Hat die Kommune nicht das Problem, dass man bereits so viel Geld investiert hat und es deshalb absurd wäre, die Sanierung abzubrechen oder ruhen zu lassen, um Geld zu sparen?
König : Wir haben viele Beispiele erlebt, die ähnlich verlaufen sind. Denken Sie an die Elbphilharmonie oder den Berliner Flughafen. Im Fall des Flughafens wäre es sinnvoll und kostengünstiger gewesen, die Gebäude nach dem ersten Baustopp abzureißen. Wenn das Nationaltheater nicht unter Denkmalschutz stünde, wäre das wahrscheinlich auch x-mal günstiger. Die Fehler waren, dass die Aussicht auf Mischfinanzierung nicht nur die gesellschaftspolitische Diskussion, sondern auch eine vernünftige Kostenkalkulation mit Absicherungen für Kostensteigerungen im Keim erstickt hat. Deshalb befindet sich die Kommune nun in der Schuldenfalle, wobei noch andere Projekte wie Multihalle, Bundesgartenschau, Krankenhausbau et cetera dazukommen. Lassen Sie mich aber nochmal betonen: Die Frage ist nicht, ob es Sinn und Zweck macht, aufzuhören. Die Frage ist, wie viele andere Pflichtaufgaben vernachlässigt werden, weil zu viel Geld in Projekte fließen, die keine Pflichtaufgaben sind. Und da muss man doch über Mannheim und Ludwigshafen hinaus für viele Kommunen feststellen, dass diese Pflichtaufgaben erheblich vernachlässigt werden.
Es fehlen vor allem im Sozialen und in der Verkehrsinfrastruktur viele Mittel.
König : Schauen Sie sich Schulen an. Wir wollen Jugendliche aus teilweise problematischen Verhältnissen zum Lernen animieren und schicken sie in Schulen, in denen die Verhältnisse mindestens genauso problematisch sind. Die Schulgebäude, insbesondere die Toiletten, sind teilweise in einem Zustand von vor Jahrzehnten. Das ist keine Umgebung mit Bildungsanreiz. Schauen Sie sich die Mietproblematik an, den sozialen Wohnungsbau, die öffentliche Daseinsvorsorge. Das sind die Dinge, die für den Großteile der Bürgerinnen und Bürger wesentlich sind. Die werden vernachlässigt, weil sich Kommunen durch Mischfinanzierungen in Projekte stürzen, die sie langfristig nicht stemmen können und die eigentlich zweit- oder drittrangig sein müssten.
Zu den Pflichtaufgaben gehört der Sozialbereich. Gerade da klagen die Kommunen aktuell, wie der „Gipfel der Metropolregion“ auch gezeigt hat. Die Stadt Ludwigshafen hat in diesem Bereich über Jahre hinweg ein riesiges strukturelles Defizit aufgebaut, weil jährlich zehn Millionen Euro zu wenig zur Verfügung standen. In diesem Fall fällt es schwer, diese Misere mit Prestigeprojekten, wie Sie sie nennen, zu begründen. Da liegt doch ein grundsätzliches Problem vor.
König : Völlig richtig. Da kommen wir irgendwann aber auch zum großen Punkt der Migration, die für Kommunen eine Belastung darstellt. Das kann niemand bestreiten. Die Migration führt zu zwei Hauptbelastungen, von denen die Kommunen aber nur einen Teil tragen: die Unterbringung, für die es Wohnraum braucht. Von Mannheim aus sieht man, dass Ludwigshafen das Rheinufer bebaut hat, aber die Wohnungen schauen nicht aus, als würden sie den Sozialbereich direkt entlasten. Dennoch wird dieser indirekt entlastet, weil es insgesamt mehr Wohnraum in Ludwigshafen gibt. Mannheim hat über eine Sozialwohnungsquote versucht, direkt für Entlastung zu sorgen. Allerdings sind die Baukosten so gestiegen, dass sich diese Maßnahme negativ sogar auf die indirekte Effekte auwirkt, da mehr und mehr Bauinvestoren abspringen. Dabei hätte man wie früher auf der Schönau oder in der Gartenstadt die Möglichkeit gehabt, bei der Nutzbarmachung mit KfW Förderungen Leute mit geringem Einkommen in die Lage versetzen können, Eigentum zu erwerben. Wichtig ist aber, dass die Migration allein und die zusätzlichen Aufgaben nicht die Verschuldung der Gemeinden erklären. Andernfalls müsste die Verschuldung der Gemeinden proportional steigen, was aber nicht der Fall ist.
Bleiben wir bei den Mischfinanzierungen. Kommunen haben derzeit doch keine anderen Möglichkeiten, Großprojekte anzugehen, ohne auf Bund und Länder zurückzugreifen, oder?
König : Das ist eine gute Frage. Derzeit haben sie das wahrscheinlich nicht. Dafür müsste man die ganze Steuerverteilung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden verändern, aber man sollte dabei erwähnen, dass die Bürgerinnen und Bürger Steuern an alle Ebenen bezahlen, die ihren Anteil am Steueraufkommen anschließend aushandeln. Wenn ich mir die Programme für die Bundestagswahl durchlese, will keine Partei die Mischfinanzierung abschaffen. Uns muss aber bewusst sein, dass die Finanzierungen, so wie sie ablaufen, in die Verschuldungsfalle führen führen. Deshalb spreche ich von „süßem Gift“. Die Falle führt nicht nur dazu, dass wir völlig überschuldete Kommunen haben. Die Falle ist auch, dass wir Schulden ungleich verteilen. Das Nationaltheater ist genauso wenig ein Projekt wie ein Fußballstadion, das allen Bürgerinnen und Bürgern zugutekommt. Und dann wird auch noch wegen der Mischfinanzierung ein Carl-Benz-Stadion mitten in Neuostheim gebaut, dessen Nutzung unmittlerlbar nach Fertigstellung gerichtlich eingeschränkt wird. Kommunen überschulden sich zu oft mit Projekten, die nicht der Allgemeinheit dienen, sondern bestimmen Gruppen. Da sprechen wir nicht über Schulen, Straßen oder Brücken.
Wir müssen aber nochmal nachhaken, weil das noch nicht klar ist: Wie schaffen es Kommunen, sich vom süßen Gift der Mischfinanzierung zu lösen und den Fallen zu entkommen?
König : Erstens: Kommunen müssen sich zuerst um ihre Pflichtaufgaben kümmern. Zweitens: Der Verteilungsschlüssel der Steuern zwischen Bund, Ländern und Gemeinden muss den Aufgaben entsprechend angepasst werden. Dafür müssen aber Länder und Kommunen belegen und nicht nur behaupten, ob sie mehr Geld für die Erfüllung von Pflichtaufgaben oder sonstige Aufgaben brauchen. Könnte man beispielsweise eine Überlastung durch Migration nachweisen, dann könnte man den Verteilungsschlüssel anpassen. Ansonsten verhindert die Mischfinanzierung Effektivität und Verantwortlichkeit über Projektentscheidungen. Weder der Bund, noch das Land oder die Stadt werden die Verantwortung übernehmen, wenn die Sanierung des Nationaltheaters nicht 200 Millionen, sondern 400 oder 600 Millionen Euro kosten wird. Unter diesen intransparenten Umständen kann jeder machen und entscheiden, was er will, und mit dem Finger auf die anderen zeigen. Das privilegiert einzelne Gruppen, die sich mit ihren Interessen und Projekten durchsetzen, da sie die besten Zugänge zu den Gremien auf Bund-, Länder- und Gemeindeebene haben.
Wobei man zur Einordung sagen muss, dass in Ludwigshafen die Entscheidung ja getroffen worden ist, bevor eine Beteiligung von Land und Bund klar war.
König : Das stimmt, aber schon damals war die Hoffnung groß, Mischfinanzierung zu erhalten. Fragen wir mal grundsätzlich so: Hätte der Gemeinderat in Ludwigshafen und Mannheim zugestimmt, wenn klar gewesen wäre, dass jede Stadt hunderte Millionen Euro allein hätte aufbringen müssen? Das bezweifle ich. Ich wäre noch skeptischer, wenn man gesagt hätte, das Risiko besteht sogar, dass es noch einige hundert Millionen Euro mehr werden können, weil bei solchen Projekten es viele Unwägbarkeiten gibt.
Kommunen haben die Projekte aber doch nicht aus Jux und Tollerei beschlossen. Die Hochstraße war baufällig, das Nationaltheater muss saniert werden. In beiden Fällen spielen doch Sicherheitsaspekte eine Rolle.
König : Dennoch muss die Frage erlaubt sein, wie ich die Projekte angehe. Natürlich müssen über die Brücke Autos fahren. Aber muss man die Brücke dann hoch und runter bauen? Beim Nationaltheater ist es nicht die Frage, ob das Haus saniert wird. Die Frage ist, ob Schauspiel und Oper in Mannheim aufgeführt werden. Nicht das Gebäude, sondern die Versorgung mit Kultur steht im Vordergrund – die womöglich über Alternativ-Orte gewährleistet werden kann. Wenn eine Kommune Kultur fördern möchte, geht das womöglich auch ohne Generalsanierung, die in Baden-Württemberg übrigens auch in Stuttgart und Karlsruhe anstehen. Auch bleiben andere Kulturbereiche von Gruppen auf der Strecke, weil Geld in die Sanierung einer Kulturstätte umverteilt wird. Schließlich ist die Sanierung des Nationaltheaters keine Frage für oder gegen Kultur.
Sie würden also dazu raten, die Sanierung erst einmal auf Eis zu legen?
König : Das kann ich nicht beurteilen. Dafür gibt es Planungs- und Bauexperten mit tieferem Einblick in die Projekte. Als Politikwissenschaftler ist für mich die entscheidende Frage: Wie hoch ist das Risiko, dass das eine Verschuldungsfalle mit gesellschaftspolitischen Folgen wird? Wenn das Risiko hoch ist, dass die Kosten nochmal steigen, muss man irgendwann sagen, dass das keinen Sinn macht, weil Pflichtaufgaben auf der Strecke bleiben. Ich kann nicht sagen: Nur weil ich schon 100 Euro ausgegeben habe, muss ich auch noch 1000 Euro ausgeben. Das geht auf Dauer nicht. Ich muss mir immer eine Grenze setzen, bis zu der ich bereit bin, Verluste zu verantworten, die ich aber im Sinne aller Bürgerinnen und Bürger nicht ausufern lassen darf. Wenn das Risiko gering ist, dass die Sanierung noch mehr kosten wird , macht eine Pause wahrscheinlich keinen Sinn. Das Risiko kann ich aber nicht beurteilen.
Wer auch immer eventuell die Reißlinie ziehen muss, wird in einer schwierigen Situation sein.
König : Absolut. Da sind wir wieder beim süßen Gift. Ich stelle mir vor, ich sitze im Gemeinderat und bekomme diese Frage gestellt, egal welcher Partei ich angehöre. Es ist unheimlich schwierig zu sagen, dass ich jetzt für 300 Millionen Euro verantwortlich gemacht werde, die in den Sand gesetzt worden sind. Und dann muss ich gleichzeitig erklären, warum so viele Bürgerinnen und Bürgern zur Tafel gehen und ich keinen Zuschuss dafür gewähren kann, weil ich mein Tafelsilber andernorts eingebracht habe. Das ist keine leichte Aufgabe, die aber auch einen Hinweis darauf gibt, warum die Mischfinanzierung immer prominenter wird.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Mannheim muss offen über die Theater-Sanierung sprechen