Justiz

Landgericht Frankenthal: Urteil im Selbstjustiz-Prozess

Ein 42-Jähriger soll seine Adoptivmutter niedergeschlagen und eine Viertelmillion Euro von seinen Eltern gefordert haben - als "Schmerzensgeld" für den jahrelangen sexuellen Missbrauch durch den Vater, sagte der Angeklagte

Von 
Agnes Polewka
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Am Dienstag ist vor dem Landgericht in Frankenthal ein Prozess zu Ende gegangen, in dessen Verlauf die Grenzen unseres Justizapparats deutlich wurden. © Bernhard Zinke

„Die Kammer hat sich ihre Entscheidung nicht leicht gemacht“, sagte Richterin Mirtha Hütt am Dienstag vor dem Landgericht in Frankenthal. Denn sie habe eine Entscheidung in einem besonderen Fall treffen müssen. Am Ende ihrer juristischen Aufarbeitung standen eine dreieinhalbjährige Haftstrafe und eine Urteilsbegründung, die die Grenzen unseres Justizapparats aufzeigte.

Angeklagt war Daniel P., 42. Im Oktober 2019 griff er zum schärfsten Messer, das er in der Küche seines Elternhauses finden konnte. Er rammte es in den Küchentisch und forderte 264 000 Euro von seinen Adoptiveltern. Die Adoptivmutter gab ihm 500 in bar, überwies ihm mehrere Tausend Euro. Und hoffte auf Ruhe. Doch wenige Tage später kam Daniel P. wieder, zerschmetterte Fenster, brach Türen auf - und schlug seine Adoptivmutter brutal zu Boden.

Die Staatsanwaltschaft warf ihm räuberische Erpressung, Körperverletzung, Sachbeschädigung und Hausfriedensbruch vor. Doch schon am ersten Prozesstag wurde klar: Dieser Fall ist anders. „Mein Vater hat mich sexuell missbraucht“, sagte der 42-jährige Angeklagte. Er beschrieb, wie ihm während einer Therapiesitzung klargeworden sei, dass er sich jahrelang mit Drogen betäubt habe, um das, was ihm angetan worden sei, zu vergessen. Er habe den Kontakt abbrechen wollen. Aber nicht ohne eine Entschädigung. Und so habe er ein Schmerzensgeld gefordert. 1000 Euro für jeden Monat, der seit dem Ende des mutmaßlichen Missbrauchs verstrichen war. Insgesamt 264 000 Euro. „Justitia wird oft mit einer Augenbinde dargestellt, die symbolisiert, dass vor dem Gesetz alle gleich sind“, sagte die Vorsitzende Richterin am Dienstag. Und doch müsse man als Gericht jeden Einzelnen genau betrachten, die Persönlichkeit, die Motivation, das Umfeld eines jeden Angeklagten. Auch in Daniel P.s Fall, der die Taten gleich zu Beginn des Verfahrens eingeräumt hat.

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„Irgendetwas war in der Familie P. nicht in Ordnung“, sagte Hütt. Nach dem Vorfall in seinem Elternhaus in Weisenheim am Berg erstattete Daniel P. Anzeige gegen seinen Adoptivvater, schilderte den sexuellen Missbrauch in allen Details bei der Polizei. Weil die Tat verjährt war, wurden die Ermittlungen eingestellt. „Dass da etwas passiert ist - danach schreit die Akte“, sagte Mirtha Hütt. „Natürlich ist es ungerecht, wenn eine Straftat ungesühnt bleibt und eine andere dagegen gesühnt wird.“ Im konkreten Fall sei das schwer auszuhalten, vor allem für den Angeklagten. Sieben Jahre nahm Daniel P. Crystal Meth, davor hatte er mit anderen Drogen experimentiert - mit Speed, Ecstasy und Kokain. Angefangen habe alles mit 18, kurz nach dem sexuellen Missbrauch, sagte er zu Beginn der Verhandlung.

Fast vier Jahre wartete P. auf den Beginn seines Prozesses. In dieser Zeit wurde er clean, baute sich ein neues Leben auf, fand eine Frau, die er liebt. Er machte eine Weiterbildung, fand eine Festanstellung. „Wenn Sie ihn ins Gefängnis schicken, dann katapultieren Sie ihn in den Zustand vor der Tat zurück“, appellierte P.s Verteidiger Christian Barthelmes in seinem Plädoyer an das Gericht.

Die Kammer sah zwar den Sonderfall und wertete die räuberische Erpressung als minderschweren Fall. Mit der zweiten Fahrt, den Schlägen und der Gewalt habe sie aber keine Bewährungsstrafe mehr verhängen können, sagte die Richterin.

Redaktion

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