Biblis. Wer sich die Bilder der einstürzenden Kühltürme von Block A anschaut, kann sich kaum vorstellen, dass auf dem Gelände des abgeschalteten Bibliser Kernkraftwerks noch einmal Atomenergie produziert werden soll. Doch genau das plant jetzt ein Konsortium aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft – allerdings mit einer ganz neuen Technologie. Die wichtigsten Fragen und Antworten dazu:
Was soll jetzt in Biblis Neues entstehen?
Das deutsch-amerikanische Unternehmen Focused Energy, eine Ausgründung der TU Darmstadt, plant in Biblis eine Demonstrationsanlage für laserbasierte Kernfusion. Später, bis 2035, soll dort auch das erste Kraftwerk entstehen, das die neue Technologie einsetzt. Dann würde wieder Atomenergie in Biblis produziert, jedoch auf völlig andere Weise. Die Pläne sind äußerst ehrgeizig: Hessen soll zu einem internationalen Vorreiter in der Forschung und Entwicklung sowie in der Nutzung der Kernfusion werden. Dafür hat sich unter der Führung der hessischen Landesregierung ein Konsortium aus Vertretern von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft gebildet. Am Donnerstag hat dieser Runde Tisch nun eine entsprechende Absichtserklärung unterschrieben.
Was ist laserbasierte Kernfusion?
In einem herkömmlichen Kernkraftwerk werden Atomkerne von Uran gespalten, wodurch Energie frei wird – wie früher in Biblis. Bei der Kernfusion ist es genau andersherum: Da verschmelzen kleine Atomkerne zu größeren, wobei ebenfalls Energie frei wird. Bei der laserbasierten Kernfusion werden die Kügelchen – vereinfacht ausgedrückt – mit Laserstrahlen beschossen. Durch den hohen Energieeinsatz verschmelzen sie und geben dabei Wärme ab. Aus dieser soll Strom gewonnen werden. Kernfusion gilt nach jetzigem Stand der Wissenschaft als die „bessere“ und „sauberere“ Atomkraft, auch weil bei einem Unfall weniger Radioaktivität freigesetzt würde. Für Hessens Ministerpräsident Rhein ist es eine Schlüsseltechnologie: Der „Energielieferant der Zukunft“, der anders als erneuerbare Energie jederzeit verfügbar sein könnte – und dazu „für jedermann bezahlbar“.
Wie realistisch sind die Pläne des Konsortiums?
Die Technologie kommt frisch aus der Grundlagenforschung, steht also erst am Anfang. Ob sie wirklich ausreichend Strom produzieren und industriell angewandt werden kann, ist noch unsicher. Auch wenn es funktioniert, ist es auf jeden Fall ein langer Weg über Jahrzehnte, genau den will das Land Hessen unterstützen. 20 Millionen Euro stellt es in einem ersten Schritt bereit. Dazu sollen private Mittel und Fördergelder von Bund und EU kommen. Eine Zahl, wie hoch die Investitionen bis zur Marktreife insgesamt sein müssen, wurde am Donnerstag nicht genannt. Dafür fiel das Wort „Zukunft“ mehr als ein Dutzend Mal. Bei dem Unternehmen Focused Energy, das die Demonstrationsanlage in Biblis baut, gibt man sich selbstbewusst. Schließlich seien das Unternehmen und die TU Darmstadt Weltspitze in der Laserfusionsforschung. Da habe man doch alles in der Hand, um ebenfalls bei Aufbau und Betrieb die Führung zu übernehmen. Geforscht wird weltweit zur Kernfusion, auch in anderen Bundesländern, etwa Baden-Württemberg.
Was sagen Umweltschützer?
Der hessische Landesverband des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) hatte am Vortag „einen sofortigen Stopp der Förderung der Kernfusion durch das Land Hessen“ gefordert. Studien hätten gezeigt, dass Strom aus Kernfusion nicht nur extrem teuer werde, sondern zudem für einen Beitrag zum Klimaschutz viel zu spät kommen würde. Werner Neumann, Physiker und Energieexperte des BUND Hessen erklärte: „Die Studien stellen infrage, ob ein Kernfusionsreaktor jemals dauerhaft laufen kann.“ Dagegen betont Ministerpräsident Rhein: „Wir dürfen nicht überall aussteigen, sondern müssen auch wieder einsteigen.“
Und was bedeuten die Pläne für den ehemaligen AKW-Standort Biblis?
Nach dem Atomausstieg Deutschlands als Folge der Katastrophe im japanischen Fukushima wurde auch das Kraftwerk in Biblis abgeschaltet. Es befindet sich derzeit im Rückbau, nur zwei von vier Kühltürmen zum Beispiel stehen noch. Der AKW-Betreiber RWE, zu Hochzeiten größter Arbeitgeber und Steuerzahler für Biblis, sucht neue Nutzungen für das Gelände. Im Gespräch sind zum Beispiel Batteriespeicher oder Gasanlagen. 60 Hektar werden dort frei. Dass sich nun ein Hoffnungsträger mit Ausbaupotenzial ansiedelt, der noch dazu wieder Atomenergie produzieren will – das hat besonderen Charme für RWE. Steffen Kanitz, Vorstandsmitglied von RWE Power, sagt dazu: „Biblis war ein vitaler Energiestandort und möchte das auch ganz gerne bleiben.“
Hat das Kernfusion-Projekt Auswirkungen auf den Rückbau?
RWE-Manager Kanitz verweist auf „eine hervorragende Infrastruktur“ und Gebäude am Standort, die bereits kerntechnisch genutzt wurden. Im Zuge des Laserfusions-Projekts hält er es für möglich, dass Teile der Infrastruktur nun vom Rückbau verschont bleiben: „Beispielsweise die Kontrollbereiche, die sonst teuer neu errichtet werden müssen.“
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