Mannheim. „Rentnerin mit Enkeltrick um 45 000 Euro betrogen“ oder „Schockanruf: Seniorin übergibt Wertsachen“ - Schlagzeilen wie diese wabern inzwischen täglich durch die Medien. Dabei geht es um Verbrechen, die meistens nach dem immer gleichen Schema ablaufen: Ältere Menschen bekommen einen Anruf von Unbekannten, die ihnen von einem schlimmen Unglück berichten. Mal ist es ein drohender Überfall, mal ein Unfall, der sich gerade ereignet hat.
In stundenlangen Telefonaten werden die Senioren dann unter Druck gesetzt und gedrängt, ihr Vermögen „in Sicherheit“ zu bringen, es angeblichen Polizeibeamten auszuhändigen. Oder Geldbeträge zu zahlen, um eine Haftstrafe für ihre Lieben abzuwenden, die in den angeblichen Unfall verwickelt gewesen sein sollen.
Anrufe aus der Türkei?
Vor dem Mannheimer Landgericht hat am Dienstag ein Prozess begonnen, der einen Einblick in das systematische und perfide Vorgehen der Trickbetrüger-Banden gewährt. Angeklagt sind zwei Männer, die die „Abholung“ des Geldes übernommen haben sollen. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen Bandenbetrug und versuchten Bandenbetrug sowie gemeinschaftlichen Raub vor. Mitangeklagt ist außerdem eine 24-Jährige aus Wiesloch - wegen Beihilfe zum Betrug.
Die Anklageschrift hört sich nach einer filmreifen Verbrechergeschichte an: Der Mannheimer Baris K. (35) soll im Spätsommer 2021 Urlaub in seiner türkischen Heimat gemacht haben. In einer Zeit, in der ihn Geldprobleme quälten - das wird er später an diesem Tag vor Gericht erzählen. Weil er viel trank und kokste, irgendwie hineinschlitterte in die Sucht, nachdem er in den Quadraten eine Shisha-Bar eröffnet hatte.
Goldbarren und Bargeld nei Seniorin abholen
In Izmir traf er sich laut Anklage mit einem Mann, der ihm hohe Geldsummen versprach und Baris K. von seinem Call Center berichtete, über das sein „Team“ gezielt ältere, wohlhabende Menschen in Deutschland anrufe - mit dem Ziel, sie auszunehmen.
Zurück in Mannheim vergingen einige Monate. Dann soll sich der Mann aus Izmir mit dem ersten Auftrag gemeldet haben: Eine 71-Jährige in Bremen werde Goldbarren und Bargeld vor ihrer Haustür zur Abholung deponieren, soll er durchgegeben haben. Denn die Call Center-Mitarbeiter hätten der Frau weisgemacht, ihre Putzfrau und ihr Bankberater könnten gemeinsam einen Diebstahl ihres Vermögens planen. Deshalb habe die Frau ihr Erspartes von der Bank geholt und davon drei Kilogramm Gold gekauft - im Wert von 156 000 Euro.
Die Goldbarren sowie 10 000 Euro in bar wolle die Frau vor ihr Haus legen, damit ihr Vermögen in Sicherheit gebracht werde. Von Baris K., der das Geld stattdessen an sich nehmen und an Kontaktmänner weiterreichen soll, so der Plan. Weil K. den Auftrag selbst nicht habe ausführen können, heuerte einen seiner Mitarbeiter an, so die Staatsanwältin. Den 26-jährige Barkeeper Timo S., der darauf mit der Bedienung aus der Shisha-Bar nach Bremen fuhr. Die 24-Jährige ist wegen Beihilfe zum Betrug angeklagt. Sie soll 500 Euro für ihre Fahrdienste bekommen und nichts über den eigentlichen Zweck der Fahrt gewusst haben.
Umfassendes Geständnis abgelegt
Im März folgten laut Anklage dann weitere Aufträge: zunächst auf der Vogelstang. K. und S. sollen dabei gemeinsam unterwegs gewesen sein, um einer 81 Jahre alten Frau 80 000 Euro zu stehlen. Als die Frau misstrauisch geworden sei, habe K. sie am Arm gepackt, fest zugedrückt und ihr die Tasche mit Geld entrissen, resümiert die Staatsanwältin, die darauf weitere Fälle aufzählt. In den Mannheimer Stadtteilen Seckenheim und Neckarau. In Walldorf. Immer wieder nennt sie hohe Summen. 50 000 Euro, 98 000 Euro. Und sie berichtet von verschiedenen Geschichten, die den Seniorinnen und Senioren aufgetischt worden sein sollen: von Überfällen in der Nachbarschaft oder einem begründeten Falschgeld-Verdacht.
Baris K. legt am Dienstag ein umfassendes Geständnis ab, will kooperieren, alle Fragen vor Gericht beantworten. Die Vorsitzende Richterin Bettina Krenz lässt sich gleich zu Beginn der Verhandlung auf einen Deal ein, steckt den möglichen Strafrahmen fest, stellt eine Gesamtfreiheitsstrafe von rund sieben Jahren in Aussicht.
Angeklagter erzählt von Partys und Koks
Und dann beginnt Baris K. selbst zu erzählen. Von den ausschweifenden Partys in seiner Bar, den Shot-Runden und dem Koks. Er deutet an, dass er Schulden hat, sich immer wieder Geld von seinem Bruder lieh, der nicht misstrauisch geworden sei, weil er seine Bar erst kürzlich eröffnet habe. Dann berichtet er von dem Auftrag in Bremen, dass er nicht wegkonnte, weil er in seiner Bar zu tun gehabt habe. Und von den Mittelsmännern in einem Mannheimer Juweliergeschäft, denen er die Beute aushändigte.
Er selbst habe eine Provision von zehn Prozent kassiert, die er mit Timo S. geteilt habe. „Auch er hat Geld gebraucht, wollte sich selbstständig machen“, sagt der 35-Jährige. Und er berichtet von der „alten Frau“, der er die Handtasche entriss.
Über die Arbeit der Call-Center-Mitarbeiter sagt er nichts. Damit habe er nichts zu tun gehabt, beteuert er. Mit den Anrufen und der Auswahl der Menschen, den Lügen am Telefon, die Schlagzeilen machen und Tag für Tag durch die Medien wabern.
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