Artenschutz - Der sogenannte Katzen-Lockdown erregt die Gemüter und provoziert Fragen – eine kritisch-ironische Betrachtung

Katzen-Lockdown in Walldorf: Viele Fragen, wenig Antworten

Von 
Stephan Alfter
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Eine Katze verlässt ihr Zuhause durch einen Spalt in der Balkontür: Das darf eigentlich nicht sein – im Walldorfer Süden. © dpa

Walldorf. Dass im Süden von Walldorf Stubentiger bis Ende August ihre Behausung nicht verlassen dürfen, hat zu bundesweiter Aufmerksamkeit geführt. TV- und Radiostationen liefern heiß in den vergangenen Tagen. Dabei wurden wesentliche Fragen nicht geklärt.

In einer idealen Welt läuft es genau so: Ein Landrat - nennen wir ihn Stefan Dallinger - erlässt über die ihm unterstellte „Untere Naturschutzbehörde“ eine Allgemeinverfügung und sämtliche Tiere und Menschen halten sich ab diesem Moment strikt an die neue Anordnung. Der Landrat erhält Dankesschreiben. Man liegt sich beim Nachbarschaftsgrillabend im Walldorfer Süden gegenseitig in den Armen, während die Haubenlerche melodiös dazu trällert und der Kater drinnen das Sofa des ortsnah gelegenen schwedischen Möbelherstellers hütet und dabei einsichtig stöhnt: „Jo, sind ja nur noch drei Monate Quarantäne.“

Notfallnummer anrufen

In einer nicht idealen Welt läuft das erfahrungsgemäß anders: Da springen Katzen vom offenen Fenster aus ins Freie, da pfeifen Bewohner des betreffenden Gebietes auf Allgemeinverfügungen und Bußgeldandrohungen. Da jagen frei herumlaufende Kater die in ihrer Existenz gefährdete Haubenlerche - koste es, was es wolle.

Die Frage stellt sich also von selbst: Wer sanktioniert dieses (pfui) total unsoziale Verhalten dieser Katze und wer maßregelt bitteschön ihren Besitzer, der das Fenster seiner Toilette zu lange geöffnet hatte und der Katze somit einen Fluchtweg nach draußen ermöglichte? Und: Darf man sich sowas überhaupt ins annähernd Lächerliche ziehen?

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Leicht beantwortet werden kann all das nicht. Silke Hartmann, Pressesprecherin des Kreises, antwortet in nicht ganz kurzen Sätzen auf die Frage, wer dann eigentlich tätig wird, wenn das Worst-Case-Szenario wirklich eintritt und eine Katze in freier Wildbahn auftaucht. Sie schreibt: „Im Rahmen des Programms zum Schutz der Haubenlerche sind regelmäßig Mitarbeitende eines Fachbüros vor Ort, die die Haubenlerchen beobachten, Maßnahmen umsetzen und hierbei auch ein Augenmerk auf Katzen haben, die sich im ,Gefahrenbereich’ aufhalten.“ Gäbe es Auffälligkeiten, so würden diese der Unteren Naturschutzbehörde gemeldet werden. So weit so gut.

Für den Fall der Fälle ist in der Allgemeinverfügung „zur Gewährleistung des besonderen Artenschutzes zugunsten der Vogelart Haubenlerche“ eine Notfalltelefonnummer und mit Mailadresse angegeben. Unter Punkt 3c heißt es: „Sollte eine im Geltungsbereich gehaltene Katze nach draußen entweichen, ist unverzüglich das Wieslocher Büro Spang. Fischer. Natzschka zu informieren.“ Unter Punkt 3d steht: „Zudem sind die Katzenhalter und -innen dann verpflichtet, umgehend selbst die entlaufene Katze zu suchen, einzufangen und ihren Freigang wieder zu unterbinden.“ Machen wir es kurz: Auf Nachfrage bei der Pressesprecherin des Kreises hat es den Fall bisher nicht gegeben. Alle Katzen sind brav daheim. Logisch.

Alle Pfoten brav daheim

Beim Büro Spang.Fischer. Natzschka, das durch den Auftrag des Rhein-Neckar-Kreises vermutlich mehrere Tausend Euro an Steuergeld einnimmt, handelt es sich um ein Unternehmen, das laut Homepage auf den Gebieten Landschaftsarchitektur und Umweltplanung tätig ist. Was zum Beispiel an einem Brückentag passiert, wenn jemand genau diese Nummer anruft, wurde am vergangenen Freitag offensichtlich. Eine Frau am Telefon sagte auf Anfrage, dass der zuständige Diplom-Biologe Hans-Joachim Fischer schwer zu erreichen sei, man ihm aber eine Mail senden könne. So wirklich antworten wollte dieser Stunden später aber auf die Fragen dieser Redaktion nicht. Zum Beispiel, was die genaue Aufgabenbeschreibung seines Büros sei? Wie viele Anrufe ihn erreicht hätten und wie oft seine Mitarbeiter unterwegs seien, um die Haubenlerche zu schützen. Die Frage, wie man die gesichteten Katzen denn ihrem Besitzer zuordne, da sie ja meist keinen Personalausweis mit sich führten, brachte ihn schließlich dazu, den Hörer aufzulegen. Vorher sagte er noch, dass man die Katzen kenne, die sich herumtrieben? Aha.

Hunderte Katzen gibt es im Walldorfer Süden. Aber de facto gibt es wohl kaum jemanden, der wirklich überprüfen könnte, ob die Katzen den Lockdown einhalten oder nicht. Wie sinnvoll ist eine Bußgeld-Androhung, wenn das niemand verfolgt? Bisher sei keines verhängt worden, sagt die Pressesprecherin. Eine riesige Überraschung ...

Redaktion Reporter in der Metropolregion Rhein-Neckar

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