Rhein-Neckar. Das Coronavirus geht um. Und mit ihm die Angst. Es gibt kaum noch ein anderes Thema. Gerade ältere Menschen, die sich in der Krise nicht mehr aus den eigenen vier Wänden bewegen, haben deshalb großen Gesprächsbedarf. Das bestätigt Elke Rosemeier, Leiterin der Telefonseelsorge Rhein-Neckar, auf Anfrage dieser Redaktion. „Wir spüren das momentan ganz deutlich. Die Telefone stehen nicht mehr still. Wenn ein Gespräch beendet ist, klingelt es gleich schon wieder.“ Die Pandemie treibe die Menschen um. „Laut unserer Statistik drehen sich mehr als 50 Prozent aller Anrufe vorwiegend oder zumindest auch um das Coronavirus“, sagt Rosemeier. Bis zu 70 Gespräche seien das derzeit am Tag.
Zwei Drittel der Anrufer seien Frauen, die Hauptaltersgruppe sei zwischen 50 und 70 Jahren alt. Die aktuelle Situation belaste die Menschen auf vielen Ebenen. „Da ist es an der Sensibilität des Seelsorgers, die Gründe auszuloten“, so die Pfarrerin. „Bei vielen ist es einfach ein allgemeines Unsicherheitsgefühl, eine Angst. Das Virus ist unsichtbar, aber allgegenwärtig. Da stellt sich bei vielen die Frage: Wie kann ich mich schützen?“
„Soziale Kontakte brechen weg“
Andere hätten dagegen sehr konkrete Sorgen - berechtigte Sorgen, wie Rosemeier betont. „Das sind Menschen, die bei kleineren Betrieben arbeiten, die eine solche Ausnahmesituation nicht monatelang durchhalten können. Menschen, die oft ohnehin schon niedrige Einkommen haben, die jetzt noch einmal gekürzt werden. Das ist bedrohlich, das ist existenziell“, sagt Rosemeier. Aufgabe für die meist ehrenamtlichen Seelsorger sei es dann, zunächst einmal zuzuhören, zu beruhigen und zu ermutigen. „Oft hilft es, einen anderen Blickwinkel auf ein Thema zu geben“, so die Pfarrerin. „Wir können die Probleme der Menschen natürlich nicht lösen, aber wir können die Sorgen ernstnehmen, sie teilen und den Blick weiten für mögliche Hilfen und Angebote.“ Die Anrufer müssten rausgeholt werden aus ihrem Tunnelblick.
Viele solcher Gespräche könnten die Hilfesuchenden normalerweise in ihrem Alltag führen, bei Tätigkeiten in Vereinen, bei der Chorprobe. „In Zeiten des Coronavirus brechen den Menschen aber die sozialen Kontakte weg. Und die eigenen vier Wände können dann sehr schnell sehr eng werden“, betont Rosemeier. Insbesondere in den Abendstunden würden die Menschen ins Grübeln kommen, dann kreisen die Gedanken immer wieder um die schweren Themen. „Aus diesem Grund haben wir abends auch drei Leitungen freigeschaltet, tagsüber sind es zwei.“
Erfreulich sei das große Engagement, mit dem die insgesamt 160 Ehrenamtlichen der Telefonseelsorge Rhein-Neckar mit Sitz in Mannheim in den Krisenzeiten ihrer Arbeit nachgingen. „Der Dienstplan ist voll, es gibt keine Lücken.“
An der Kapazitätsgrenze
Spezielle Anweisungen, wie bei den Gesprächen mit dem Corona-Thema umgegangen werden soll, habe es nicht gegeben. „Wir bilden unsere Ehrenamtlichen eineinhalb Jahre aus. Dabei werden sie nicht nur für spezielle Themen geschult, da kann alles kommen. Sie werden so ausgebildet, dass sie sich sofort in die Situation hineinfühlen können“, erklärt die Leiterin. Gleichwohl würden die Mitarbeiter immer mit den aktuellsten Informationen zur Corona-Pandemie versorgt.
Sollte wegen der weiter fortschreitenden Verbreitung des Coronavirus bald eine Ausgangssperre verhängt werden, rechnet Rosemeier mit noch mehr Anrufen als bisher. „Viel mehr können wir aber gar nicht mehr entgegennehmen. Wir kommen jetzt schon an unsere Kapazitätsgrenzen.“
Infos
- Bei der Telefonseelsorge Rhein-Neckar mit Sitz in Mannheim arbeiten rund 160 Ehrenamtliche. Sie haben eine eineinhalbjährige Ausbildung durchlaufen.
- Die Leitung haben Pfarrerin Elke Rosemeier, Psychologin Diana Beetz und die Pädagogische Mitarbeiterin Ljiljana Kerstiens inne.
- Ratsuchende erreichen die Seelsorger telefonisch unter 0800/1110-111 oder -222 oder per Chat- und Mailberatung unter www.telefonseelsorge-rhein-neckar.de.
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