Interview

Ist Bad Dürkheim ein braunes Kaff, Herr Steiniger?

In Bad Dürkheim kämpfen Bürger um Straßenschilder, die Hitler-Anhängern gewidmet sind. Der Dürkheimer CDU-Bundestagsabgeordnete Johannes Steiniger über den Trotz der Anwohner und die Hitlerglocke

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Stephan Alfter
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Umstrittener Mundartdichter: Der Dürkheimer Karl Räder war zeitweise ein glühender Verehrer Adolf Hitlers. Nach ihm ist eine Straße benannt. © Peter Kretzschmar

Bad Dürkheim. Der Stadtrat hatte es bereits entschieden, aber jetzt könnte alles rückgängig gemacht werden: In Bad Dürkheim sollten eigentlich drei Straßen umbenannt werden, die den Namen von in der Stadt bekannten Unterstützern, Anhängern und sogar Mitarbeitern des Hitler-Regimes tragen.

Eine Bürgerinitiative wehrte sich mit einer ausreichenden Anzahl an Unterschriften. Am Sonntag, 24. September sollen nun die Bürger abstimmen. Wie blickt der Dürkheimer CDU-Bundestagsabgeordnete Johannes Steiniger auf den Vorgang in seiner Heimstadt?

Herr Steiniger, in Telefongesprächen dieser Redaktion mit Dürkheimern kam zuletzt die Befürchtung auf, Bad Dürkheim könne von außen als „braunes Kaff“ wahrgenommen werden. Ist Ihre Heimatstadt ein braunes Kaff?

Johannes Steiniger: Das glaube ich nicht. Aber wir haben natürlich die Diskussion, die wir woanders auch haben, wenn etwas geändert wird. Es gibt natürlich Beharrungskräfte, die sagen: Haben wir nicht andere Sorgen? Oder: Das kostet doch Geld. Oder auch: Was bringt das denn für die Erinnerungskultur? Der Stadtrat hat es sich ja nicht einfach gemacht.

Es ist ein Prozess, der jetzt zwei Jahre gedauert hat. Dieser Prozess geschah unter wissenschaftlicher Begleitung. Das führte zu einem fast einstimmigen Beschluss, die Straßen umzubenennen, aber es ist das gute Recht von Bürgern, zu versuchen, einen solchen Beschluss auch wieder rückabzuwickeln. Ich stehe weiterhin zur Entscheidung des Stadtrates.

Wenn der Bürgerentscheid erfolgreich für die Antragsteller ausgeht, dann ist das mit Sicherheit eine Ermutigung für alle die, die auch heute sagen, dass das doch alles gar nicht so schlimm gewesen ist.
Johannes Steiniger CDU-Bundestagsabgeordneter

Wie stark sind Sie jetzt im Vorhinein der Abstimmung bereit, diesen Entschluss auch gegen Widerrede zu verteidigen. Es gibt ja Leute, die jetzt öffentlich behaupten, dass es ja gar nicht so schlimm gewesen wäre, was die betreffenden Personen zu verantworten hätten.

Steiniger: Ich bin der Auffassung, dass es bei der Aufarbeitung des Nationalsozialismus keinen Schlussstrich geben darf und dass man auch auf neue Entwicklungen noch reagieren muss. Es gibt das Zitat des Holocaust-Überlebenden Max Mannheimer, der gesagt hat: Ihr seid nicht verantwortlich für das, was war, aber dafür, dass es nicht mehr geschieht. Wenn der Bürgerentscheid erfolgreich für die Antragsteller ausgeht, dann ist das mit Sicherheit eine Ermutigung für alle die, die auch heute sagen, dass das doch alles gar nicht so schlimm gewesen ist.

Die AfD-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Alice Weidel, hat kürzlich zum Tag der Befreiung Deutschlands von den Nationalsozialisten gesagt, dass sie nicht die „Niederlage Deutschlands“ feiern werde. Da erleben wir auch eine stärker werdende Diskursverschiebung. Dabei sind wir doch gerade ein starkes, anerkanntes Mitglied der Europäischen Union, weil wir in den vergangenen 70 Jahren eine gute Aufarbeitung unserer Geschichte hinbekommen haben. Deshalb gehe ich da in die Diskussion. Aber: Nicht jeder, der jetzt dafür stimmt, die Straßennamen so zu belassen, hat rechtes Gedankengut. Manche sagen auch: Mit dem Abschrauben eines Straßenschildes ist es im Zweifel nicht getan.

Der Bad Dürkheimer Johannes Steiniger sitzt für die CDU im Deutschen Bundestag und ist Generalsekretär der CDU-Rheinland-Pfalz. © Johannes Steiniger

Nun ist es nicht das erste Mal, dass es an der Weinstraße rund um Bad Dürkheim solche Beharrungskräfte gibt. Wir erinnern uns, dass es vor sechs Jahren eine Diskussion in Herxheim am Berg, um die weitere Nutzung einer Glocke ging, die die Aufschrift Adolf Hitler - alles fürs Vaterland trägt. Diese Glocke hängt weiterhin, weil sich viele gegen das Abhängen gewehrt haben. Warum hängen die Leute an diesen Relikten?

Steiniger: Ich glaube, man muss zwischen den beiden Fällen unterscheiden. Diese Glocke ist Adolf Hitler persönlich gewidmet, daher habe ich nicht verstanden, dass man so vehement dagegen war, diesen Gegenstand abzuhängen. Ein wichtiger Faktor in der aktuellen Situation ist folgender: Viele Menschen fühlen sich von der Politik bevormundet.

Dass sie gesagt bekommen, wie sie zu reden haben, was sie essen sollen, welche Heizung sie einbauen sollen oder welche Autos sie fahren oder eben fahren nicht sollen. Das führt dazu, dass Menschen dann bei Abstimmungen wie in meiner Heimatgemeinde auch einfach mal gegen die Entscheidungen „der Politik“ stimmen.

Manche nennen jetzt auch Kostengründe. Es geht um 296 Haushalte und 435 Bürger, deren Dokumente mit einer neuen Adresse versehen werden müssten. Die Stadt könne sich das Geld in klammen Zeiten sparen, heißt es.

Steiniger: Das halte ich für ein vorgeschobenes Argument. Meine Mutter wohnt in einer der Straßen. Das nervt die auch, dass sie jetzt ein paar Amtsgänge machen muss. Die Stadt wird aber auch viele Kosten übernehmen. Es ist ja aber auch nicht so, dass der Bürgerentscheid kein Geld kosten würde. Da müssen Tausende Bürger angeschrieben und die Abstimmung organisiert werden.

Beides muss uns was Wert sein. Die Daueraufgabe der Aufarbeitung des Nationalsozialismus, aber andererseits auch das Recht der Bürger, das Instrument des Bürgerentscheids zu nutzen. Was wir natürlich grundsätzlich bei solchen Abstimmungen erleben, ist die Tatsache, dass der Status quo immer im Vorteil ist.

Johannes Steininger

  • Der 36-Jährige ist in Bad Dürkheim geboren und lebt dort bis heute. Er ist verheiratet und Vater eines Kindes.
  • Steiniger studierte in Mannheim Mathematik und Politikwissenschaft und unterrichtete am Gymnasium.
  • Seit 2013 sitzt er im Bundestag und war dort damals als eines der jüngsten Mitglieder

Weil die Mobilisierung eher gelingt.

Steiniger: Genau.

Ist das, was jetzt in Bad Dürkheim passiert mit dem zu vergleichen, was Hubert Aiwanger in bayerischen Bierzelten gelingt? Von wegen - denen zeigen wir’s mal.

Steiniger: Dass wir in Zeiten leben, in denen es Populisten fast überall in der Welt einfacher haben, das ist kein Geheimnis. Das Gefühl des bevormundenden Staates - ob das jetzt stimmt oder nicht- das ist schon ein Nährboden, auf dem auch eine Straßenumbenennung dann echt schwierig wird.

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Ist unsere Gesellschaft nicht zu alt, zu unflexibel und zu veränderungsmüde, wenn es um solche Themen geht? Man hat das Gefühl, dass Wandel sich in anderen Ländern um uns herum schneller und effizienter vollzieht?

Steiniger: Jetzt können wir lange über Klimaschutz und Gender-Equality reden - ich glaube, das ist den Chinesen relativ egal und den Indern auch. Wir haben in Deutschland schon viele Diskussionen, in denen es nicht mehr um Essen, Trinken und ein Dach über dem Kopf, sondern um Befindlichkeiten kleinster Minderheiten geht. Das kann man alles machen, nur führt das eben auch zu Abwehrmechanismen. Ich glaube, dass die Bürger in Deutschland ein feines Gespür dafür haben, dass sich gerade ganz viel verändert in einem unglaublich schnellen Tempo.

Da stellen sie sich die Frage, wie es mit dem Wohlstand in unserem Land in 20 Jahren aussieht? Man kann die Schlagwörter ja nennen, die von „Künstlicher Intelligenz“ bis zu „Deindustrialisierung“ reichen. Da ist natürlich das Straßennamenthema ein greifbares. Da gibt es viele, die nichts mit rechtem Gedankengut zu tun haben. Sie sagen einfach: „Haben wir nicht gerade wichtigere Probleme?“

Aber ist der Umgang mit unserer Geschichte nicht ein wichtiges „Problem“ in einer Zeit, da der Antisemitismus wieder zunimmt?

Steiniger: Absolut. Deshalb stehe ich ja zum Beschluss des Stadrats.

Wie geht das aus am kommenden Sonntag?

Steiniger: Ich hoffe, dass die Wahlbeteiligung hoch ist. Je höher, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Umbenennung kommt.

Redaktion Reporter in der Metropolregion Rhein-Neckar

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