NS-Geschichte - In Herxheim am Berg hat das Presbyterium die Symbole an der Außenmauer im Herbst entfernen lassen / Nun sagen Kritiker, dass man das hätte kommunizieren müssen

Herxheim am Berg: Wie Hakenkreuze vom Kirchturm verschwanden

Von 
Stephan Alfter
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Das Hakenkreuz auf dem Abschlussstein am Kirchturm haben Industriekletterer bereits vor Monaten entfernt. © Bernhard Zinke

Herxheim am Berg. Fast fünf Jahre ist es her, da fegte ein Sturm durch die pfälzische Gemeinde Herxheim am Berg. Das Dorf bei Bad Dürkheim will eigentlich wegen des dort reichhaltig wachsenden Weins berühmt sein, war aber plötzlich wegen einer anderen Angelegenheit in den Schlagzeilen - als „Nazi-Dorf“ in der Pfalz. Der Schreiner im Ort verlor Aufträge, Weinbestellungen wurden bei Erzeugern nicht abgeholt. Teile der etwas mehr als 800 Einwohner verstanden die Welt nicht mehr. „Und alles nur wegen dieser blöden Glocke im Kirchturm“ - so dachten viele. Tatsächlich war nach dem Sturm, der rund ein Jahr anhalten sollte, der bisherige Bürgermeister weg. Ronald Becker, damals noch FWG-Mitglied, hatte geäußert, stolz auf die Glocke im Turm der Jakobskirche zu sein. Auf der Glocke steht „Adolf Hitler - Alles fürs Vaterland“, darüber prangt ein Hakenkreuz.

Das schreckte nicht nur Josef Schuster, den Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, ab, sondern sorgte für einen Shitstorm, wie ihn der beschauliche Ort noch nicht erlebt hatte. Stolz auf eine Hitlerglocke - das hatte der Bürgermeister sinngemäß zum ARD-Magazin „Kontraste“ gesagt. Auch große Teile des Ortes wollten die Glocke behalten. Schließlich stand eine Redakteurin der „New York Times“ vor der Jakobskirche, um kurz darauf einen Artikel zu verfassen, der die Überschrift trug: „In Germany a bell still tolls for Hitler“ (In Deutschland läutet noch immer eine Glocke für Adolf Hitler). In New York hagelte es Leserbriefe von entrüsteten Juden, deren Vorfahren vor den Nazis geflohen waren. Wie passt das zu den Sonntagsreden von deutschen Politikern in Holocaust-Gedenkstätten? Das war deren Frage.

Warum diese lange Nacherzählung? Seit wenigen Monaten sind zwei Hakenkreuze verschwunden, die im Jahr 2017 überhaupt erst dazu führten, dass die Glocke so bekannt wurde.

Der Verfasser dieses Textes fragte damals den Ortshistoriker Eric Hass nach der Herkunft der Nazi-Symbole. Prompt begann der Befragte zu plaudern. Er erzählte von einem Steinmetz, der die Symbole 1934 angebracht habe. Er erzählte auch von jener damals nicht im kollektiven Gedächtnis befindlichen Glocke, ebenfalls aus dem Jahr 1934. Er erzählte von der Inschrift und von den Hakenkreuzen auf dem Objekt. Danach gab es viel Streit.

Wie umgehen mit diesem unbequemen Denkmal im Kirchturm? Es gründete sich eine Initiative, die das Teil abhängen und gegen den Willen der meisten Herxheimer ins Museum bringen wollte. Genau diese Initiative mit dem Kirchenmusiker Ulrich Loschky und dem Pfarrer i.R. Richard Eberle fragt sich heute, warum die Hakenkreuze am Kirchturm verschwunden sind, ohne dass das öffentlich kommuniziert worden ist. Lange hatten sie das Entfernen zuvor gefordert. Die neuerliche Aktion „reiht sich ein in eine Folge von Vorgängen um die kirchlichen Nazi-Relikte, die man mit ,vertuschen’ kennzeichnen könnte“, schrieb ein aufgebrachter Richard Eberle auf Anfrage dieser Redaktion. Hoffentlich sei die Jakobskirche bald ebenso von der Hitlerglocke befreit. „Sie sollte als erinnerungspädagogisches Lernobjekt allgemein zugänglich präsentiert werden, um die fatale Anbiederung der protestantischen Kirche an die Nazi-Ideologie zu dokumentieren“, so die Aktivisten.

Das jedoch wird es nach aktueller Beschlusslage nicht geben, weil viele Herxheimer mit der Glocke auch Kindheitserinnungen verbinden. Ihr Läuten habe Menschen lange Jahre vom Wingert zum Mittagessen gerufen, erinnerte sich eine Frau im Jahr 2017. Der Kompromiss im Gemeinderat hieß: Die Glocke bleibt als unsichtbares Mahnmal im Turm. Oliver Herzog ist Pfarrer vor Ort und sah aktuell keinen Handlungsbedarf, wegen der Entfernung der Hakenkreuze die Öffentlichkeit zu informieren. Vielmehr will er die Öffentlichkeit miteinbeziehen, wenn es um die Schaffung eines Gedenkortes neben der Kirche geht. Vorgesehen ist in Übereinstimmung mit Ortsgemeinde und Landeskirche ein Platz, der zu der gewünschten ernsthaften Auseinandersetzung mit dem Thema „Kirche im Nationalsozialismus“ anregen möchte. Derzeit weist lediglich eine einfache Tafel auf die Glocke und ihre Geschichte hin. Wegen Rissbildungen im Mauerwerk der Jakobskirche ist noch nicht absehbar, wann ein solcher Mahnort, in dessen Mitte eine künstlerische Arbeit stehen soll, fertig sein kann. Erst muss die Kirche saniert werden.

Redaktion Reporter in der Metropolregion Rhein-Neckar

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