Königreich Deutschland

Inkognito unter Reichsbürgern - so werben Extremisten in Haßloch für sich

Das "Königreich Deutschland" will wachsen. Wie das geschehen soll, zeigt ein Seminar für Reichsbürger in der Pfalz. Fünf Stunden lang hören 20 Begeisterte eine Litanei an Lügen. Unser Autor war undercover dabei

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Stephan Alfter
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Das Logo des «Königreich Deutschland». © picture alliance / Jan Woitas/dp

Haßloch. Das „Königreich Deutschland“ (KRD) buhlt in der Pfalz um neue Bürger für seinen Fantasiestaat: Mitte September hält sich eine Gruppe, die sich selbst als Repräsentanz des Königreichs bezeichnet, an einem Wochenende im pfälzischen Haßloch auf, um dort etwa 20 Seminarteilnehmern nahezulegen, so bald wie möglich ihre „Mitgliedschaft“ in der Bundesrepublik Deutschland zu kündigen und ins Königreich überzutreten.

Eine neue Währung, neue Personalausweise und die neue Krankenkasse alias „Deutsche Heilfürsorge“ - der Bauchladen der Reichsbürger ist prall gefüllt. Immerhin stehe der Euro vor dem Zusammenbruch und die Bundesregierung habe alle Voraussetzungen geschaffen, um sämtliche Immobilienbesitzer in Kürze zu enteignen, erzählen die bekennenden Reichsbürger ihrer geneigten Zuhörerschaft. Das einst vom jüdischen Haus Rothschild eingeführte Kreditsystem des Zins- und Zinseszins führe zum Kollaps. Fast logisch, dass das der Einstieg in den Nachmittag ist. Antisemitisch sei man natürlich nicht, heißt es rechtfertigend, ohne dass jemand danach gefragt hätte. Nur wenige Sätze später ist von Satanismus die Rede . . .

Ein König mit Zepter und Reichsapfel

Der Verfasser dieses Textes nimmt unter Verwendung eines falschen Namens an der fünfstündigen Veranstaltung teil, für die man zuvor eine Gebühr von 43 Euro auf ein Bankkonto überweisen muss. Erst dann nennen die Veranstalter den Ort des Geschehens - um sich vor Medien und den Linken zu schützen, wie sie sagen. Obwohl die Achterbahn des Haßlocher Holidayparks doch einige Hundert Meter entfernt steht, wird der Nachmittag des 17. September zu einer pseudospirituellen Fahrt durch die Welt der globalen Verschwörungserzählungen und Zahlenmystiken - Überraschungen inklusive.

Zwischenfragen verboten: Die beiden Referenten Holger (links) und Kevin (rechts) erklären das Währungssystem im Königreich Deutschland. © sal

„Wir leben in einer Endzeit, und der Übergang muss so schnell wie möglich gelingen“ - das ist der Tenor des Eingangsvortrages. Die für alle Anwesenden beruhigende Botschaft wird selbstredend sofort mitgeliefert: König Peter I., genannt Menschensohn, ein ehemaliger Koch, rettet uns alle mit seinem Gemeinwohlstaat, für den er sich schon im Jahr 2012 in einer irren Inszenierung zum König krönen lässt.

Es sind bizarre Bilder, die damals entstehen. Der Pferdeschwanz tragende, ehemalige Häftling Peter Fitzek hält plötzlich Zepter und Reichsapfel in Händen. Nun scheint es also an der Zeit, dass sich das Reich ausdehnt - etwa an diesem Sonntag in einem Haßlocher Gewerbegebiet.

Im Königreich mit E-Mark bezahlen

Hier geht es - nüchtern betrachtet - zunächst um die Errichtung einer Regionalstelle im Raum Neustadt an der Weinstraße. Nach den Wünschen einer offenbar wachsenden Anzahl von Interessenten könne in den - nennen wir sie - Filialen des Königreichs der Austritt aus der BRD organisiert werden, hier soll Netzwerkarbeit geleistet werden, hier soll über die E-Mark aufgeklärt werden. Das ist die neue Währung der Königlichen Reichsbank. Peter I. wolle damit etwa Holzhäuser bauen und neue Ländereien erschließen, heißt es.

Die Vortragenden vergessen nicht zu erwähnen, dass man im neuen Gemeinwohlstaat, der das Königreich sei, vor allem an selbstständigen Handwerkern interessiert sei. Auf sie sei alles quasi zugeschnitten. Und das Beste: Im Königreich zahlt man keine Steuern, wie der König bei jeder Gelegenheit medial verbreiten lässt. Auch die Krankenkasse, die hier Deutsche Heilfürsorge heißt, ist billiger. Warum? Weil man in einem System, in dem man endlich Mensch sein darf, angeblich weniger krank ist. Was sind das eigentlich für Leute, diese Reichsbürger? Und was wollen sie überhaupt?

Das Logo des «Königreich Deutschland». © picture alliance / Jan Woitas/dp

Als die Gruppe „Leuchtturm“ - so nennen sich die Seminarleiter Holger, Britta und Kevin - auf ihrer Werbetour durch Deutschland am Samstag die Pfalz erreicht, zieht es sie zunächst ins südpfälzische Örtchen Freisbach, wo im Sommer der gesamte Gemeinderat zurückgetreten ist, weil er zu wenig finanzielle Gestaltungsmöglichkeiten sah. Was die Reichsbürger daraus machen, klingt anders. Die Erzählung dort: Das ist das erste Stück BRD-Land, das geschlossen ins Königreich übertritt.

Ob das die Freisbacher Bürger auch wissen? Der dortige frühere Bürgermeister Peter Gauweiler berichtet auf Nachfrage dieser Redaktion tatsächlich von vermehrten Anrufen und Mails aus dem Königreich mit Angeboten zur Konversion ins KRD. Auf einem Bild, das sich später über die Telegram-Kanäle der Reichsbürger verbreiten wird, hängt Holger grüßend am Freisbacher Ortsschild, die restliche Gruppe posiert winkend davor.

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Holger, das ist der Seminarleiter, der eigentlich eine Kampfsportschule in Düsseldorf betreibt, inzwischen aber nach einer Schnellausbildung beim charismatischen König so etwas wie der ungekürte Außenminister des KRD ist. Sein Kumpel ist Kevin. Und wenn es an diesem Tag für die Reichsbürger darum geht, Weltgeschichte zu deuten, dann ist Kevin der richtige Mann.

Im Jahr 2019 hat der glatzköpfige Mittdreißiger, der ebenfalls Kampfsportler ist, nach eigenen Worten begonnen, sich in deutscher Geschichte zu belesen. Er sei schon immer jemand gewesen, der die Dinge hinterfragt habe, sagt Kevin. Er will herausgefunden haben, dass wir gerade das Ende eines Zyklus’ erleben, der 6480 Jahre gedauert hat - die Endzeit. Als dieser Zyklus das letzte Mal zu Ende gegangen sei, erzählt er, habe Gott dem Patriarchen Noah im Angesicht der Sintflut empfohlen, eine Arche zu bauen. Die neue Arche heißt also Königreich? Als 2020 der erste Corona-Lockdown gekommen und Menschen mit seltsamen Masken in Supermärkten herumgelaufen seien, sei ihm klar gewesen, dass nun etwas Großes auf die Menschheit zurolle.

Kevin und die Arche Noah

„Ich bin davon ausgegangen, dass das jetzt nur noch in einem Bürgerkrieg oder einem dritten Weltkrieg enden kann“, erzählt Kevin seinem pfälzischen Publikum, das keine Zwischenfragen stellen darf. In Erklärungsnöte will schließlich niemand kommen. In den nächsten Minuten zeigt Kevin, dass er sich auch in Kolonialgeschichte belesen hat. Die kurze Botschaft, die nicht nur im Subtext durchklingt: Der schwarze Mann wird sich bald an seinen Kolonialherren rächen. Oder ist er etwa schon dabei?

„Ein Teil des Kollektivs wird ausradiert“, warnt Kevin erneut vor satanischen Strukturen. Die Apokalypse, im Christentum oft gleichgesetzt mit der Offenbarung des Johannes, ist vor allem unter Verschwörungstheoretikern ein gerne genommenes Angstprinzip. Dutzende Sekten haben es immer wieder angewendet - von den Sonnentemplern bis zu den Zeugen Jehovas. Man erzählt den Menschen von einer Gefahr, die am Zeitenhorizont sichtbar wird - und man preist eine Lösung an, die in nicht wenigen Fällen mit Geldtransfers an einen charismatischen Herrscher einhergeht. Freilich sorgt Peter I. mit seinem Königreich und dem eingenommenen Geld für einen friedlichen Übergang in die neue Zeit, denn Waffen besitze hier niemand, sagt Holger.

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pol/kpl
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Die Realität sieht in der Bundesrepublik aber so aus, dass bei einer Razzia gegen andere Reichsbürgergruppierungen im Jahr 2022 Dutzende Waffen und Nazi-Andenken sichergestellt worden sind. Gewalt, so wird es in Haßloch erzählt, gebe es eher vonseiten der BRD. Sie achte die Grenzen des Königreichs nicht. Diese Verdrehung der Tatsachen, zeigt, wie weit das Rollenspiel inzwischen aus den Fugen geratenen ist und wie sehr sogenannte alternative Wahrheiten in der Mitte der Gesellschaft angelangt sind.

Das weiß der Verfassungsschutz über Reichsbürger in der Region

  • Ausführlich haben sich die Bundesländer in ihren Verfassungsschutzberichten mit den unterschiedlichen Strömungen in der Reichsbürgerszene befasst. In der aktuellen Niederschrift aus Rheinland-Pfalz steht, dass die Beamten seit 2021 eine nicht unerhebliche Vernetzung von „Reichsbürgern“, Rechtsextremisten und „Delegitimierern“ feststellen.
  • In Baden-Württemberg hat der Verfassungsschutz die Umtriebe des „Königreich Deutschland“ (KRD) im Blick. Im Bericht des Jahres 2022 steht: „Beim Ziel, Wirtschaftsunternehmen unterschiedlichster Ausrichtungen in sein Fantasie-Staatenkonstrukt zu integrieren, machte das KRD 2022 auch in mehreren Landkreisen Baden-Württembergs Fortschritte: Im Impressum mehrerer Firmen finden sich klare Bezüge zu der „Selbstverwalter“-Gruppierung. Zu den Firmen mit KRD-Anbindung zählten unter anderem ein Filmstudio mit Sitz in Freiburg und ein Teegeschäft in Heilbronn.
  • In der Pfalz mehren sich diese Unternehmen ebenso. Vor allem selbstständige Handwerker und Inhaber von Einzelhandelsläden scheinen eine Affinität zum KRD zu entwickeln. Im Reichsbürger-Seminar im September (Artikel oben) waren ein Dachdecker und ein Lackierer aus dem Raum Neustadt unter den Teilnehmern. Das KRD verspreche den Firmen unter anderem, keine Steuern zahlen zu müssen. Dies propagiere es auf seiner Homepage als Teil eines umfassenden „Systemausstiegs“, so der Verfassungsschutzbericht.
  • Der kleinste gemeinsame Nenner aller Reichsbürger sei die Verachtung des Staates und seiner Institutionen, sagt der Verfassungsschutz. Eine wesentliche Rolle komme in diesem Kontext den Kanälen des Messenger-Dienstes Telegram zu. Es sei in den Krisen wie Corona-Pandemie, Klimawandel und Ukraine-Krieg zu beobachten, wie sich verschiedene ideologische Elemente, einschlägige Narrative und andere extremistische Inhalte vermischen. Dahinter stecke das langfristige Ziel, das „System“ zum Einsturz zu bringen. Eine gedankliche Schnittmenge bildeten dabei Verschwörungsfantasien: Auf der einen Seite findet sich das arglose Volk, auf der anderen eine finstere Elite aus Politik, Medien, Wissenschaft und Wirtschaft. Verknüpft werde dies mit der Behauptung, dass deutsche Politikerinnen und Politiker die Handlanger fremder Mächte aus dem Hintergrund seien. Der selbst ernannte „König von Deutschland“ äußerte sich zuletzt offen antisemitisch. In einem Video behauptet Peter Fitzek, dass hinter den Machenschaften die „Chabad“ stehe, die „eine messianisch-jüdische Endzeitsekte“ sei. Diese kleine Gruppe von Juden steuere die ganze Welt.

Holger, dessen Nachnamen man ebenso wenig erfährt wie den von Kevin und Britta, mimt in Haßloch den verantwortungsvollen Begleiter beim Übergang. Er empfiehlt jovial, zu Beginn nicht das ganze Geld in E-Mark anzulegen. Aber bei der „Spaßkasse“, wie er die Sparkasse nennt, sei es auch falsch.

Leiter des königlichen Geldinstituts - und das ist aus pfälzischer Sicht eine Neuigkeit - soll ein ehemaliger BASF-Manager mit Vornamen Matthias sein. So zumindest gibt es die Reichsbank selbst an und so erzählt es auch Holger in Haßloch. Ein Anruf bei der BASF-Pressestelle, ob dort zuletzt ein Manager abhandengekommen sei, bringt am Mittwoch keine Bestätigung. Man wisse nicht, wer das sei, so ein Sprecher.

Britta: „Es ist ein Seelenauftrag“

Dafür gibt es in Haßloch nach der Kuchenpause neue Überraschungen: Herumgereicht werden frisch geprägte Münzen. Die E-Mark, die wohl absichtlich an die D-Mark erinnert, findet Bewunderung unter den Seminaristen. Auch das Kontoführungsbuch mit Aufschrift „Königliche Reichsbank“ gefällt. Ein Maler und Lackierer aus der Pfalz, der sich aus dem „System“ schon verabschiedet hat, präsentiert seine Identitätskarte - den Personalausweis des KRD.

Peter I. verfügt sogar über ein eigenes KFZ-Kennzeichen, wie eine Arte-Doku jüngst gezeigt hat. Ab und zu werde er noch von deutschen Ämtern belästigt, aber das nehme ab, teilt der selbstständige Maler mit. Holger unterstützt ihn. Alles sei - dank Peter I., der das alles durchgefochten habe - total rechtssicher - auch die E-Mark-Einnahmen aus dem KaDaRi-Einzelhandel, den Reichsbürger untereinander betreiben. KaDaRi steht für „Kauf das Richtige“.

Das neue Zahlungsmittel im Königreich: die E-Mark. © sal

Es ist dieser Aufbruch, der auch Britta begeistert. Sie sieht in ihrer Repräsentanz für das Königreich eine „Seelenaufgabe“. Ihr ganzes Leben lang habe sie auf den höheren Auftrag gewartet, sagt die Mittvierzigerin. Als sie zu Beginn der Corona-Zeit im Garten gestanden und die „lichten Kräfte gebeten“ habe, ihr einen Weg zu zeigen, habe sie ihre Schöpferkraft entdeckt. Diese setzt sie nun für das Königreich ein.

Sie wirbt für die Verfassung, die Peter I. geschrieben habe. Es sei die erste Verfassung für Deutschland nach den Weltkriegen, denn damals sei nur das Grundgesetz für einen von Besatzungsmächten dominierten Staat verfasst worden. Im wohl eher bäuerlich geprägten Gemeinwohlstaat könne die Schöpferkraft in jedem erblühen. In der Pause wird Britta später Mitgliedsanträge auslegen. Ob sie am 10. Dezember wieder da sein wird? Da planen die Reichsbürger das nächste Treffen - wohl wieder in der Hans-Böckler-Straße in Haßloch.

Redaktion Reporter in der Metropolregion Rhein-Neckar

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