Neustadt/Weinstraße. Wenn die Debatte um das Für und Wider einer Weinköniginnen-Wahl in der Pfalz den Bewerberinnen und Bewerbern in den vergangenen Wochen eines gebracht hat, dann ist es Aufmerksamkeit. Selten waren die gekrönten Häupter so gefragt, könnte man ketzerisch behaupten. Und selten waren die jungen Frauen so deutlich in ihren Aussagen.
Es kommt nicht von ungefähr, dass das Thema Tradition versus Moderne seit Mittwoch auch in der Neustadter Villa Böhm der Elefant im Raum ist. Im Neustadter Norden bereiten sich bis Freitag die Gebietsweinhoheiten aus zwölf deutschen Anbaugebieten in einer Art Trainingslager auf das vor, was sie erwarten könnte, wenn eine von ihnen am 4. Oktober hier zur Deutschen Weinkönigin gekürt wird. Wer schon einmal Heidi Klums „Germanys next Topmodel“ geschaut hat, hat eine ungefähre Ahnung von der Atmosphäre, die in dem alten Herrschaftsgebäude am Mittwochmorgen herrscht. Fotoshooting auf der Terrasse, Schminken im einstigen Herrenzimmer und Lachsbrötchen auf dem Balkon. Schöne Kleider, fesche Frisuren und ganz viel Attitude.
„So selbstbewusst sind die Frauen noch nie aufgetreten“
Ernst Büscher ist - wenn man das so sagen darf - eine Art Herbergspapi. Seit 22 Jahren ist er für das Deutsche Weininstitut (DWI) mit der Heranführung der Kandidatinnen an das Amt betraut, aber einen solchen Jahrgang hat er noch nicht erlebt. „So selbstbewusst und klar sind die Frauen hier noch nie aufgetreten“, sagt er. Das beeindruckt ihn.
Charlotte Weihl (24) aus Gönnheim ist Pfälzische Weinkönigin, und fast wäre sie nach 93 Jahren die letzte ihrer Art gewesen. Nun greift sie nach der Krone der Deutschen Weinkönigin und sagt angesichts der jüngsten Diskussionen deutlich: „Wir sollten mehr über die Stärken der Weinhoheiten sprechen.“ Um diese Stärken auf den Boden zu bringen, lernen Weihl und die Mitbewerberinnen, wie sie noch professioneller kommunizieren können. Was macht eine starke Stimme aus, und wie kann ich mit Lampenfieber umgehen?
„Reden, Argumentieren und Präsentieren sind sogenannte Softskills (weiche Fähigkeiten), die insbesondere Menschen, die professionell kommunizieren, sicher und souverän beherrschen sollten“, sagt Claudia Haas-Steigerwald aus Ladenburg, die die jungen Damen in diesen Fähigkeiten schult. Seit mehr als fünf Jahren bringt sie den Kandidatinnen bei, wie sie sich vor der Kamera am besten verkaufen können. Hinzu kommen kleine Einheiten in Schminktechnik. Und was ganz wichtig ist: Ihr Weinwissen müssen die Königinnen auch in englischer Sprache vermitteln können. Am Ende werden es nämlich rund 300 Termine vor Fachpublikum im In- und Ausland sein, die in dem Jahr als Repräsentantin des deutschen Weins auf die Frauen zukommen.
Während bei der Pfälzischen Weinkönigin über die Abschaffung der Krone diskutiert wird, ist das auf nationaler Ebene noch kein Thema. Katharina Gräff ist derzeit Weinkönigin im Anbaugebiet Nahe und sagt: „Wir können die Fragen fast nicht mehr hören. Ich bin stolz, Weinkönigin zu sein, und wir haben fast alle beruflich mit Wein zu tun.“ Sie selbst ist Winzerin. Gräff drückt aus, wie modern sie ihr Amt bereits seit längerer Zeit begreife - und dass nicht die Krone im Mittelpunkt stehe. Der Blick der Gesellschaft auf das Amt der Weinkönigin müsse sich verändern, findet sie. „Für uns steht außer Frage, dass das auch ein Mann sein kann“, sagen die Frauen unisono.
Wie Weinköniginnen mit einer Hand auf ihrem Po umgehen
Womit man schnell bei der Frage ist, wie die Gesellschaft eine Weinkönigin eigentlich sieht. Davon konnte man in den vergangenen Wochen vor allem in (a)sozialen Netzwerken einiges lesen. Mancher apostrophierte alte weiße Mann mag den Eindruck haben, eine Gebietsweinkönigin sei eine Art Fasnachtsprinzessin, der man bis heute wie selbstverständlich die Hand zu lange auf den Po legt und der man nach Belieben Küsse auf die Wange drückt. Jedenfalls haben alle Frauen, die sich in Neustadt vorbereiten, solche Begegnungen schon gehabt. Die eine mehr, die andere weniger. Wie sie damit umgehen? Inzwischen sei die von den Coaches empfohlene Reaktion so, dass man den betreffenden Grapscher in diesem Moment auch öffentlich bloßstelle und so offen wie deutlich kommuniziere, dass das ein Griff zuviel an den Hintern war.
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Vielleicht ist dieser immer noch zu oft stattfindende Griff und die notwendige und selbstbewusste Reaktion der Frauen darauf ein klein wenig symbolisch für den Stand der gesellschaftlichen Debatte. Einerseits möchte die Pfalz mit ihren vielen Winzertalenten als junge und moderne Weinregion wahrgenommen werden und andererseits hält sie an Traditionen fest, unter deren Deckmantel Übergriffigkeiten und althergebrachte Geschlechterklischees weiter salonfähig sind.
Charlotte Weihl verkörpert die junge Pfalz, sieht das Amt aber eher als Möglichkeit, eine Art Influencerin für den Deutschen Wein zu sein. So sieht es auch DWI-Pressesprecher Ernst Büscher. Er lobt die zahlenmäßige Fortentwicklung des Instagram-Accounts der Deutschen Weinkönigin (13 000 Follower) und sieht die Frauen auf einem guten Weg, das Amt durch die jeweils eigene Persönlichkeit der Hoheiten zu modernisieren - ohne dabei auf die Krone zu verzichten, wohlgemerkt. „Auf die Diskussion um die Krone möchte ich mich gar nicht einlassen“, sagt Weihl fast genervt und geht dem Elefanten im Raum damit gekonnt aus dem Weg. „Das ist ein zu weites Feld“, heißt es bei Effi Briest am Ende ....
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