Landwirtschaft

Hallo Lauch - Cem Özdemir besucht den Mutterstadter Pfalzmarkt

Der Minister für Agrar und Ernährung beherrscht bei seiner Stippvisite zwar das Alphabet der Landwirte, aber ihm fehlt der Stallgeruch. Sein erneuter Mehrwertsteuer-Vorstoß dürfte den Bauern aber gefallen

Von 
Stephan Alfter
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Bei der CDU beliebter als manch anderer Grüne, gilt Landwirtschaftsminister Cem Özdemir als Nachfolgekandidat für Winfried Kretschmann als Ministerpräsident. © sal

Wie findet Cem Özdemir eigentlich Lauch? Und wie kann einer, dem man nachsagt, ein guter Rhetoriker zu sein, gleichzeitig die öfter mal deftigere Sprache der Bauern sprechen? Als der 57-Jährige sich am Freitag ein Bild von den Nöten und Sorgen der Erzeuger im apostrophierten Gemüsegarten Deutschlands macht, erleben die Verantwortlichen für den Pfalzmarkt einen Minister, der mit seinem Amt nach mehr als eineinhalb Jahren noch immer nicht zusammengewachsen ist. Er fremdelt, heißt es in Fachkreisen. Von Sorgen und Nöten ist in der eilig verteilten Pressemitteilung übrigens nicht die Rede. Dort spricht man von: „Chancen und Herausforderungen“.

Der elegante Anzug, der strikte Ablaufplan und der typische Politik-Jargon verleihen Özdemir die Rüstung, in der er sich bewegen kann. Aber: Als sein natürliches Habitat begreift der Mann, der im Politikjournalismus oft als Mister Mimikry, also als ein Meister der Verwandlung, beschrieben wird, diese pragmatische Lagerhalle mit Radieschen, Sellerie und Möhren fast 20 Monate nach Amtsantritt offensichtlich nicht. Auch mit dem Lauch ist er noch nicht per Du.

Kein Journalist, der an diesem Morgen den Auftritt des Schwaben begleitet, stellt die Frage wirklich, aber eigentlich liegt sie wohl allen auf der Zunge: Wie lange bleibt der Mann noch Landwirtschaftsminister, wenn in Baden-Württemberg ein neuer Ministerpräsident aus den Reihen der Grünen gesucht wird?

Unterstützung der CSU erfährt man als Grüner nicht alle Tage.
Agrarminister Cem Özdemir zur Debatte über Mehrwertsteuer zur Debatte über Mehrwertsteuer

Dabei ist es nicht so, dass Özdemir gar keine Botschaften dabei hätte, als er um kurz nach 10 Uhr vor die Mikrofone tritt. Einmal mehr beschreibt er - neben Gemüsebauern stehend - zum Beispiel seine Sympathie für die Idee, die Mehrwertsteuer auf Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte auf null Prozent zu setzen. Damit würde man das Signal transportieren, dass gesunde Ernährung günstiger ist. Selbst Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hatte sich zuletzt dafür ausgesprochen. Özdemir dazu am Freitag in Mutterstadt: „Unterstützung der CSU erfährt man als Grüner nicht alle Tage.“ Allein: FDP-Finanzminister Christian Linder hat schon im Januar erklärt, dass an der momentanen Mehrwertsteuer-Systematik nichts verändert werde. Özdemir sagt hingegen, dass er finde, dass das Mehrwertsteuersystem ohnehin „aus den Fugen geraten“ sei und einer Erneuerung bedürfe. Erneuerung - das zeichnet den Pfalzmarkt seit einigen Jahren aus.

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Die Genossenschaft mit Sitz in Mutterstadt gehört mit ihrem Jahresumsatz von um die 173 Millionen Euro (2022) zu den leistungsstärksten Erzeugergemeinschaften in ganz Europa. Bis zu 250 Lkw mit bis zu 8000 Paletten Gemüse und Obst verlassen täglich das Gelände. Er habe über den Pfalzmarkt viel gehört und gelesen, so Özdemir. „Wir haben hier eine großartige Produktion von Obst und Gemüse, aber ich glaube, da geht noch mehr“, sagte er über die Anbauregion. Er wünschte sich noch mehr regionale und saisonale Produkte in Krankenhäusern, Schulen und Kindertagesstätten. So entstehe eine Win-win-Situation für die Gesellschaft. Dass ihm die Ernährung der Bevölkerung durchaus am Herzen liegt, hat Özdemir in den vergangenen Monaten immer wieder bewiesen. Kritiklos blieb das nicht.

In Deutschland gibt es nach Darstellung von Krankenkassen immer mehr Kinder mit krankhaftem Übergewicht. „63 Milliarden Euro pro Jahr kosten die Folgen von Adipositas die Gesamtgesellschaft“, sagte Özdemir im Februar. Daher wollte er ein Werbeverbot für ungesunde Produkte wie Chips und Limo durchsetzen, sah sich aber der Kritik der Lebensmittelindustrie sowie des Koalitionspartners FDP gegenüber. Inzwischen musste er den entsprechenden Gesetzentwurf abschwächen.

Der Besuch des Ministers im quasi Maschinenraum des deutschen Gemüsevertriebs ist insofern nicht nur ein Zeichen an die 120 aktiven Erzeuger, die am Pfalzmarkt zusammengeschlossen sind, sondern Özdemir braucht die Bilder, die dabei entstehen, auch für seine Politik der Werbung für eine gesündere Ernährung. Die akuten Problematiken der Landwirte wird er dabei nicht lösen.

Auf diese Fragen hat der Landwirtschaftsminister keine Antwort
Christian Deyerling zum Problem des Höfesterbens

Als Özdemir sich gegen 11 Uhr schon auf den Weg zur Mannheimer Bundesgartenschau gemacht hat, holt Christian Deyerling, selbst Erzeuger und Aufsichtsratsvorsitzender beim Pfalzmarkt, vor einer inzwischen dezimierten Journalistenrunde nochmal größer aus. Ein gewichtiges Thema unter den Landwirten sei die Betriebsnachfolge, die es oft nicht mehr gebe, weswegen das Höfesterben sich fortsetzt. „Auf diese Fragen hat der Landwirtschaftsminister keine Antwort“, so Deyerling. Der Arbeitsaufwand für Landwirte sei hoch und einige Risiken bestünden darin, dass man die Verkaufspreise zum Beispiel erst erfahre, wenn das Produkt fertig ist. Dazu komme Konkurrenz aus dem Ausland, die nicht kleiner geworden sei. Dürreperioden seien derzeit noch nicht das große Problem für die pfälzischen Gemüsebauern. Das wiederum hat mit dem Beregnungsverband zu tun. Seine Aufgabe ist die Bereitstellung von Altrheinwasser zur Bewässerung des großflächigen Gemüse- und Frühkartoffelanbaus in der Vorderpfalz - ein wertvolles Alleinstellungsmerkmal.

Ein solches ist nach Meinung des Landwirtschaftsministers auch die Photovoltaik-Anlage, die auf dem Dach der Pfalzmarkt-Hallen entstehe - eine der größten ihrer Art in der Pfalz (wir berichteten). Sie sei ein gutes Beispiel dafür, wie man sich unabhängig von russischem Gas machen könne, ohne viel Flächenfraß in Kauf nehmen zu müssen.

Redaktion Reporter in der Metropolregion Rhein-Neckar

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