St. Leon Rot. Der furchtbare Femizid an einer 18-jährigen Gymnasiastin in St. Leon-Rot beschäftigt seit Donnerstag viele Menschen in der Region. Schülerinnen und Schüler sind geschockt und hinterließen am Wochenende viele Kommentare in den sozialen Netzwerken.
Freimütig nannten sie dort in den vergangenen Tagen Vor- und Nachnamen des mutmaßlichen Täters und des Opfers, ohne zu bedenken, dass es beispielsweise auch Verwandte mit diesem Namen gibt, die mit der in Rede stehenden Tat nichts zu tun haben - und deren Leben zu einem Versteckspiel werden könnte. Diese Redaktion wird die Namen daher zum jetzigen Zeitpunkt nicht nennen - auch nicht abgekürzt.
Gewalttat von St. Leon Rot Thema auf Tiktok und Facebook
Wer aber bei TikTok oder auch bei Facebook als Suchbegriff „St. Leon-Rot“ eingab, dem wurden sämtliche ungesicherte Infos per Algorithmus auf den Bildschirm gespült. Das liegt daran, dass bei TikTok Themen und Namen, die von Nutzerinnen und Nutzern besonders häufig gesucht und dann auch verwendet werden, in den Trends landen.
Das wiederum führt dazu, dass anderen Nutzern schon nach der Eingabe des Suchbegriffs St. Leon-Rot die in diesem Zusammenhang am meisten verwendeten Begriffe sofort angezeigt werden - in diesem Fall die mutmaßlichen Namen von Opfer und Verdächtigem.
Polizei in Mannheim hat ein Auge auf Tiktok
Beamten des Polizeipräsidiums in Mannheim gefällt das gar nicht. Eine Sprecherin erwidert auf Anfrage, dass das für ihre Arbeit kontraproduktiv sei. „Nicht alles, was da steht, ist richtig“, sagt sie. Dass Betreiber der Plattformen, die vielfach im Ausland sitzen und denen nicht schnell beizukommen ist, nicht immer verantwortungsvoll mit Persönlichkeitsrechten umgehen, klingt in ihren Worten mit.
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Gleiches gilt für das Verhalten von Nutzern, die auf den Plattformen oft nicht ihren bürgerlichen Namen verwenden, aber gleichzeitig die Privatsphäre und die Persönlichkeitsrechte anderer Menschen verletzen. Im Mannheimer Polizeipräsidium hat man TikTok nicht permanent im Blick, man schaue aber schon, was da mit Bezug zu St. Leon-Rot passiere, sagt die Sprecherin
Messerattacke in St- Leon Rot: Verdächtiger schweigt bisher
Tatsächlich ist es im vorliegenden Fall so, dass theoretisch der ganze Erdball auf viele inoffizielle und ungesicherte TikTok-Informationen zu der schrecklichen Tat zugreifen und sie verbreiten kann, während es von offizieller Seite, also von der Heidelberger Staatsanwaltschaft heißt, dass sich der in Untersuchungshaft sitzende Verdächtige zu den Vorwürfen bisher nicht einmal geäußert hat. Er lasse sich anwaltlich vertreten, heißt es lediglich.
Ob wahr oder unwahr - nur eine Minderzahl von Nutzerinnen und Nutzern der Netzwerke kümmern sich um Richtigkeit der verbreiteten Informationen. Die Frage nach deren Herkunft und Ursprung wird explizit nur von wenigen Leuten gestellt. Die „Bild“ preschte in ihrer Online-Berichterstattung am Samstag vor, nannte den Vornamen des verdächtigten Mannes und kürzte den Nachnamen mit einem Buchstaben ab. Viele andere Portale mit hohen Reichweiten folgten dem Beispiel. Woher die Informationen genau stammten, sagte das Boulevardblatt nicht. Es hieß stattdessen „nach Bild-Informationen“.
Vater des 18-Jährigen arbeitet im Polizeidienst
Auch bei „Bild“ hat man vermutlich bei TikTok mitgelesen, wo Bekannte von Täter und Opfer sich für jeden sichtbar austauschten. Eine Frau, die auf Youtube einen True-Crime-Kanal betreibt, versammelte auf ihrem Profil in Live-Videos gleich Hunderte Personen, um ohne Nennung jedweder Quelle das vermeintliche Tatgeschehen minutiös nachzuzeichnen. Ganz so, als hätte sie selbst die Ermittlungen geführt.
Auf Anfragen, auf welche Quellen sie sich stütze, antwortete die Betreiberin des True-Crime-Channels nicht. Wenn seriöse Medien so arbeiten würden, wäre der Aufschrei jedenfalls groß. Mehr als 950 000 (!) Aufrufe verzeichnet ihr etwa eineinhalbminütiges Video, das die Frau am Sonntag verbreitete, inzwischen.
Vorsichtiger mit ihren Aussagen ist die Heidelberger Staatsanwaltschaft: „Wir bitten um Verständnis dafür, dass wir zur Person des Beschuldigten und zu seinem persönlichen Umfeld keine Angaben machen“, antwortet Erster Staatsanwalt Johannes Dasch. Auf weitere Fragen dieser Redaktion, die mit dem Umfeld des Verdächtigen zu tun haben, geht er mit Blick auf die „laufenden Ermittlungen“ nicht ein.
So bleibt nach Recherchen dieser Redaktion nur die durch zuverlässige Quellen abgesicherte Erkenntnis, dass der Vater des 18-jährigen Verdächtigen im Dienst der Polizei tätig ist und in Hockenheim lebt. Aus einer Ergebnisliste, die im Netz auffindbar ist, geht hervor, dass der Verdächtige im Jahr 2012 im Alter von sieben Jahren an einem Laufwettkampf auf dem Hockenheimring mit der Hubäcker-Grundschule teilgenommen hat - als die Welt noch in Ordnung war.
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