Mannheim. Es geht um ganz banale Dinge. Etwa die Frage nach dem Abendessen. Oder welche Schwiegereltern an diesem oder jenem Tag besucht werden. Ob der Vater mit dem Sohn kegeln geht. Themen, die Eheleute nunmal so in Chats besprechen.
Und dann geht es um den geplanten Mord an zwei Frauen. Wie die beiden Ukrainerinnen aus dem Weg geräumt werden können, um das Baby der Jüngeren an sich zu nehmen. Die „Maus“, die man sich so sehnlichst wünscht. „Ich hätte sie gerne bei mir gehabt heute“, heißt es da. Oder: „Ich will sie nicht nur 30 Minuten sehen, ich will sie immer hier haben.“
Angeklagte sollen zwei Frauen im März 2024 getötet haben, um das Baby zu entführen
Mit der „Maus“ ist das kleine Mädchen Mia gemeint, das die 27-jährige Ukrainerin Ryta nach ihrer Flucht in Deutschland zur Welt gebracht hat. Ein Paar aus Sandhausen soll die Frau und ihre Mutter im März 2024 getötet haben, um das Baby zu entführen und als das eigene Kind auszugeben. Am Montag werden am Mannheimer Landgericht, vor dem sich Marco und Ina O. seit Anfang Januar wegen zweifachen Mordes und Entziehung Minderjähriger verantworten müssen, Chatverläufe des Paares verlesen.
Nahezu beiläufig tauschen sie sich dort über den geplanten Tod zweier Menschen aus, deren Vertrauen sie sich auf perfide Weise erschlichen haben sollen. „Sie schreiben in einem Moment vom Abendessen oder anderen familiären Dingen und im nächsten Moment über die Taten, so als wäre es etwas ganz Alltägliches“, stellt auch ein Polizeibeamter im Zeugenstand fest, der als einer der Hauptsachbearbeiter in der Mordkommission tätig war.
Im Chat tauschen sich Marco und Ina O., die die Vorwürfe am ersten Prozesstag vollumfänglich eingeräumt und die Tat mit dem sehnlichen Wunsch nach einer gemeinsamen Tochter begründet hatten, über die Beschaffung eines Kanisters Benzin aus, um die Spuren zu vernichten. Der Mann solle ihn in der Aral-Tankstelle besorgen, da es dort keine Kameras gebe. Er solle bar bezahlen. Sie wiederum solle ihn erinnern, ein Feuerzeug mitzunehmen, wenn es soweit sei.
Getötete Ukrainerinnen: Der Angeklagte soll beide Frauen erschlagen haben
Dann geht es um bürokratische Hürden, vor denen die Angeklagte steht, als sie die vermeintliche Geburt des eigenen Kindes anmelden will. Für eine Geburtsurkunde benötige sie eine Entbindungsbestätigung. „Shit“. Sie werde es nochmal anderweitig versuchen. „Ansonsten haben wir ein richtiges Problem.“ Nach der Tat müsse man „schnellstmöglich hier weg“, heißt es. Sonst drohe das „Kartenhaus“ zusammenzubrechen, der „große Traum“ zu platzen.
„Wie willst du es machen?“, fragt Ina O. ihren Ehemann schließlich, als sich die Pläne im Frühjahr 2024 zunehmend konkretisieren. Man müsse beide Frauen, Ryta und ihre Mutter, trennen. „Wir müssen nochmal so eine Situation herbeiführen wie am Samstag, dass sie im Auto bleibt und stillt“, antwortet der Angeklagte. Die „Alte“ müsse dann mit ihnen kommen. „Dann erledigen und anzünden.“
Die 51-jährige Großmutter wurde erschlagen und in einen Weiher bei Bad Schönborn geworfen. Hier suchen Taucher nach der Frau.
Tatsächlich sollen Marco und Ina O. in der Folge sedierende Medikamente erworben und den beiden Ukrainerinnen ins Getränk gemischt haben, als sie sie anlässlich des Geburtstags des Ehemanns am 6. März zu einem Abendessen einluden. Der Angeklagte schlug laut Anklage auf dem Heimweg zunächst die 51-jährige Großmutter tot, anschließend die 27-jährige Mutter von Mia. Ihre Leiche zündete er an der Nato-Rampe am Rhein in Hockenheim an, ehe das Paar mit der wenige Wochen alten Tochter nach Hause fuhr.
Wie die Ermittler dem Ehepaar aus Sandhausen auf die Spur kamen
Wie die Ermittler Marco und Ina O. so schnell auf die Spur kamen, erläutern am Montag mehrere Zeugen. An der verkohlten Leiche seien mehrere Schmuckstücke sichergestellt worden. Nach der Reinigung sei auf einem Ring ein ukrainisches Hoheitszeichen sichtbar geworden, erläutert ein Beamter. Da zu diesem Zeitpunkt bereits eine Vermisstenmeldung der Schwester von Ryta vorgelegen und an die Sonderkommission weitergeleitet worden war, habe man deren Facebookprofil aufgerufen und Fotos gesehen, die sie mit passenden Schmuckstücken zeigten. Aus dem Umfeld der Ukrainerinnen ließ sich ermitteln, dass Ryta, ihre Mutter und Mia am Tatabend ein Lokal in Bruchsal besucht hatten - jenes, in das sie von den Angeklagten eingeladen wurden.
Die Analyse von Funkzellendaten habe nach Angaben eines der Hauptsachbearbeiter dann zum Erfolg geführt: Sowohl in der Asylunterkunft in Wiesloch, in dem die zwei Ukrainerinnen mit dem Baby lebten, als auch in dem Restaurant in Bruchsal seien die Telefonnummern der Geschädigten zeitgleich mit einer weiteren Nummer eingewählt gewesen: der von Ina O.
Handyauswertung zeigt akribische Planung der Tat: Familien mit Neugeborenen in der Schweiz ausgespäht
Bei der Durchsuchung des Hauses in Sandhausen wurden dann unter anderem die Handys sichergestellt. Deren Auswertung zeigt, dass die Angeklagten vor der Tat schon andere potenzielle Opfer gesucht haben. Die Beamten finden Informationen zu einer Geburtsklinik in Tschechien und dem dortigen Schichtwechsel bei den Mitarbeitern. Auch zahlreiche Screenshots einer Babygalerie des Krankenhauses im schweizerischen Solothurn stellten die Beamten auf Marco O.s Handy sicher. Zu den Eltern der dort aufgeführten Kinder seien regelrechte Recherchen getätigt worden, Informationen zu Adressen und Berufen waren in dem Mobiltelefon aufgelistet. Auch Fotos von Klingelschildern der Familien waren abgespeichert.
Nachdem sie ihre Pläne in die Tat umgesetzt haben, tauschen sich Marco und Ina O. wieder per Chat aus. „Bekommen wir auch ohne groß“, schreibt er. „Ohne?“, fragt sie. „Ohne Brust.“ Sie würde es aber dennoch gerne probieren, erwidert sie. „Warum?“ „Weil ich es nochmal erleben will.“ Später: „Hat nicht geklappt.“ Das Baby schlafe jetzt und habe gegessen. Alles ganz alltäglich.
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