Prozess um Doppelmord

Prozess um getötete Ukrainerinnen: "Finde mich abscheulich für das, was ich getan habe"

Wegen eines unerfüllten Wunsches nach einer Tochter soll ein Paar aus Sandhausen gemordet und ein Baby entführt haben. In Mannheim hat der Prozess begonnen - mit Geständnissen und tiefen Abgründen

Von 
Julian Eistetter
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Die Leiche der 27-jährigen Ryta wurde am 7. März 2024 am Rheindamm in Hockenheim gefunden. © René Priebe

Mannheim/Rhein-Neckar. Der sehnliche Wunsch nach einer gemeinsamen Tochter hat ein Paar aus Sandhausen in tiefe Abgründe getrieben. Es klingt wie das Drehbuch eines überzogenen Krimis, was da seit Dienstag vor dem Mannheimer Landgericht verhandelt wird.

Marco und Ina O. sind seit 2019 verheiratet und haben bereits mehrere Kinder, darunter einen gemeinsamen Sohn. Nach dessen Geburt lässt sich die heute 45 Jahre alte Frau sterilisieren. Mit dem aufkommenden Wunsch nach einer Tochter folgt die Refertilisierung, doch mit einem weiteren Kind will es nicht klappen. Eine Schwangerschaft endet mit einer Fehlgeburt, auch eine Kinderwunschklinik kann nicht helfen.

Und so fassen Marco und Ina O. im Laufe des Jahres 2023 den Entschluss, ein Baby zu entführen und als ihr eigenes auszugeben. Für die Umsetzung des Plans geht das Paar laut Anklage über Leichen: Sie töten eine 27-jährige Ukrainerin und deren Mutter, um an die wenige Wochen alte Tochter der Jüngeren zu gelangen. Zum Prozessauftakt gestehen beide.

Die Anwälte Jörg Becker und Sandra Bauer verlasen beim Prozessauftakt geständige Erklärungen der Angeklagten. © Uwe Anspach

Im Internet nach Neugeborenen recherchiert und Familien ausgespäht

Wie perfide und akribisch die Angeklagten dabei vorgegangen sind, verliest Oberstaatsanwältin Katja König aus ihrer Anklageschrift. So soll das Paar gezielt nach Neugeborenen recherchiert und mehrfach in die Schweiz oder nach Tschechien gefahren sein, um dort Familien gewissermaßen auszuspähen. In ihrem Umfeld hätten Marco und Ina O. zur Vorbereitung abweichende Legenden gestreut, die etwa eine Schwangerschaft der Angeklagten oder eine baldige Adoption zum Inhalt hatten. Ende 2023 sei Ina O. einer Telegram-Gruppe zur Unterstützung geflüchteter Ukrainerinnen beigetreten, in der auch die 27-jährige Ryta Mitglied war.

Vermeintliches Hilfsangebot der Angeklagten in Telegram-Gruppe wird Ukrainerinnen zum Verhängnis

Die Ukrainerin war laut Staatsanwaltschaft Ende 2022 vor dem russischen Angriffskrieg zunächst in die Slowakei geflüchtet, wo sie schwanger wurde. Seit September 2023 lebte sie in einer Asylunterkunft in Wiesloch, später gemeinsam mit ihrer Mutter Maryna, die zur Unterstützung ebenfalls nach Deutschland kam. In der Telegram-Gruppe bat die werdende Mutter laut König um Übersetzungshilfe bei Behördengängen und ähnlichem. Auf ihre Anfrage meldete sich die in Kasachstan geborene Ina O.

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Stefanie Järkel
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Die 45-Jährige gaukelt der Ukrainierin vor, ebenfalls schwanger zu sein. Es sei ein guter Kontakt zwischen dem Sandhäuser Paar und den späteren Opfern entstanden. Sogar bei der Entbindung der Tochter in Speyer ist Ina O. dabei.

Ina O. lässt sich eine Geburtsurkunde für ihre angeblich eigene Tochter ausstellen

Nur zwei Tage danach geht sie selbst zum Standesamt und beantragt eine Geburtsurkunde für ihre angeblich bei einer Hausgeburt zur Welt gekommene Tochter Elina. Ende Februar 2024 wird ihr tatsächlich eine Geburtsurkunde ausgehändigt. Wie am Rande des Verfahrens bekannt wird, wurde auch gegen eine Frauenärztin ermittelt, die eine falsche Schwangerschaftsbescheinigung ausgestellt hatte. Doch auch sie wurde mutmaßlich von der Angeklagten getäuscht, die Ermittlungen werden eingestellt.

Am 6. März, so die Anklage, wollen Ina O. und ihr 43-jähriger Ehemann ihre Pläne schließlich in die Tat umsetzen. Anlässlich des Geburtstags von Marco O. laden sie die beiden Ukrainerinnen mit der kleinen Tochter zu einem Abendessen nach Bruchsal ein. Dort mischen sie nach Darstellung der Staatsanwaltschaft unbemerkt sedierende Medikamente in Essen oder Trinken der Frauen.

Auf der Heimfahrt klagt die 51-jährige Maryna über Unwohlsein. Für das Paar die laut Anklage erhoffte Gelegenheit, die Frauen zu trennen. Sie setzen Ryta und das Baby in Wiesloch ab, um Maryna angeblich in ein Krankenhaus zu bringen. Stattdessen fahren sie mit ihr nach Bad Schönborn, wo Marco O. der benommenen Frau mit einem Werkzeug mehrfach auf den Schädel schlägt, ihr eine Schlinge um den Hals legt und sie damit, noch lebend, in ein Gewässer zieht. Laut König stirbt die Frau kurz darauf.

Angeklagter: „Ich finde mich abscheulich für das, was ich den Frauen und dem Kind angetan habe“

Ryta schreibt das Paar der Anklage zufolge, dass ihre Mutter einen Herzinfarkt erlitten habe. Sie bieten ihr an, sie abzuholen und ins Krankenhaus zu bringen. Auch bei der 27-Jährigen hat die Wirkung der Medikamente inzwischen deutlich eingesetzt. Marco und Ina O. fahren mit ihr zur Nato-Rampe am Rhein in Hockenheim, wo der Mann auch sie mit mehreren Hieben erschlägt, wie Oberstaatsanwältin König sagt. Da ist es inzwischen 1.47 Uhr in der Nacht. Um Spuren zu beseitigen, zündet er den Leichnam an. Mit dem Baby fährt das Paar nach Hause.

Thomas Franz, der im Prozess die Schwester der getöteten 27-Jährigen vertritt, sprach von einem "monströsen Geschehen".

© Uwe Anspach

Beide Angeklagten legen am Dienstag vor dem Landgericht Geständnisse ab. Über ihre Verteidiger lassen sie Erklärungen verlesen. „Ich finde mich abscheulich dafür, was ich den Frauen und dem Kind angetan habe“, sagt Rechtsanwalt Jörg Becker stellvertretend für Marco O. Der Angeklagte - kurzes graues Haar, beiger Pullover und Jeans - verfolgt das Geschehen mit verschränkten Armen und starrem Blick. In der Rückbetrachtung verstehe er nicht, wie es soweit habe kommen können. „Wir wollten unbedingt eine gemeinsame Tochter, das war der sehnlichste Wunsch meiner Frau.“ Heute bereue er alles und erwarte seine gerechte Strafe, so der 43-Jährige, der seit Jahren abhängig von Drogen gewesen sei und auch am Tattag Amphetamin und Kokain konsumiert habe.

Angeklagte spricht von psychischer Belastung nach Fehlgeburten

„Ich habe einen großen Fehler gemacht und mache mir große Vorwürfe“, verliest Rechtsanwältin Sandra Bauer für ihre Mandantin Ina O., die in roten Plüschpullover neben ihr sitzt und teilnahmslos wirkt. „Wegen mir sind zwei Frauen tot.“ Mia habe keine Mutter mehr und auch ihre eigenen Kinder müssten nun ohne sie auskommen. „Wenn ich könnte, würde ich die Zeit zurückdrehen.“ Die Fehlgeburten und der unerfüllte Wunsch nach einer gemeinsamen Tochter hätten sie psychisch schwer belastet, so die Angeklagte.

Vertreter der Nebenklage: "Ein monströses Geschehen"

In dem Verfahren wegen zweifachen heimtückischen Mordes, einmal in Tateinheit mit Entziehung von Minderjährigen, tritt die Schwester der getöteten 27-Jährigen als Nebenklägerin auf. Die inzwischen 21-Jährige hat die Vormundschaft für das heute etwa elf Monate alte Mädchen übernommen, in der Ukraine läuft das Adoptionsverfahren noch, wie Nebenklagevertreter Thomas Franz berichtet.

Die Nachricht vom Geständnis der Angeklagten werde er seiner Mandantin, die den Prozess nicht vor Ort verfolgt, gerne übermitteln. „Für sie wird das erleichternd sein, auch wenn die Aktenlage gar keinen Zweifel gelassen hat“, so Franz. Die Ermittlungsbehörden hätten in diesem Fall ausgezeichnete Arbeit geleistet. „Die Anklage ist absolut wasserdicht.“ Deshalb sei für ihn mit nichts anderem zu rechnen gewesen. „Immerhin haben wir bislang keine Beschönigungen dieses monströsen Geschehens gehört, das selbst erfahrene Forensiker erschüttert hat“, betont der gefragte Opferanwalt.

So richtig ins Rollen gebracht hatte die Ermittlungen damals eine Vermisstenmeldung der Schwester aus der Ukraine. Nach einem Besuch in der Asylunterkunft in Wiesloch war der Zusammenhang zu dem Leichenfund in Hockenheim für die Beamten schnell herzustellen. Die Spuren führten sie dann nach Sandhausen. In tiefe Abgründe.

Redaktion Reporter Region, Teamleiter Neckar-Bergstraße und Ausbildungsredakteur

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