Justiz

Flucht eines Häftlings in Ludwigshafen: Wie der Plan zur Tat wurde

Zwei Menschen verhelfen einem Mannheimer Häftling zur Flucht: sein Bruder und eine verliebte JVA-Auszubildende. Beide sind nun verurteilt worden. Wie alles ablief und warum ein Snapchat-Account zur Ergreifung führte

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Julian Eistetter
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Wegen des großen Medienaufkommens halten sich die Angeklagten vor Prozessbeginn Aktenordner vors Gesicht. © Julian Eistetter

Ludwigshafen. Es ist eine filmreife Geschichte, die da am Dienstag vor dem Ludwigshafener Amtsgericht verhandelt wird. Sie erzählt von einem Häftling, der wegen erheblicher Straftaten für sieben Jahre in Mannheim hinter Gitter bleiben soll. Ein Mann, der nach Angaben von Zeugen zu irrationalem Handeln neigt, Katz-und-Maus-Spielchen mit der Polizei spielt, sich lieber eine gefährliche Verfolgungsfahrt mit Beamten liefert als eingebuchtet zu werden, dabei sein eigenes Leben und das anderer aufs Spiel setzt. Da liegt der Gedanke nicht fern, dass dieser Mann nach seiner Inhaftierung recht schnell einen Fluchtplan fasst - und diesen dann im Dezember 2023 auch spektakulär in die Tat umsetzt.

Dabei geholfen haben ihm ein 21-Jähriger und eine 24-Jährige. Am Dienstag sind die Beiden dafür am Ludwigshafener Amtsgericht zu jeweils zwei Jahren Haft zur Bewährung verurteilt worden.

Flucht aus JVA für Gefangene selbst nicht strafbar

Da die Flucht aus dem Gefängnis für Häftlinge selbst nicht strafbar ist, fehlt die Hauptperson der Geschichte am Dienstag im Sitzungssaal 10 des Amtsgerichts. Und dennoch geht es viel um den Mann, der zum Zeitpunkt des Ausbruchs 25 Jahre alt gewesen ist. Immer wieder will die Vorsitzende Richterin Andrea Diem von den Zeugen wissen, wie sie den Häftling beschreiben würden, was für ein Mensch er sei. Seine Präsenz ist unverkennbar, genau so wie sein Einfluss auf die beiden jungen Menschen, die an diesem Dienstag eben sehr wohl auf der Anklagebank sitzen, die bei der ganzen Aktion das volle Risiko getragen haben, wie später einer der Verteidiger sagen wird.

Den schwarzen Roller stellten die Flüchtigen am Ebertpark ab und stiegen in einen Transporter um. Beamte fanden das Fahrzeug schnell. © Michael Ruffler

Da wäre einmal die 24-Jährige. Dunkle Schuhe, dunkle Hose, helles Oberteil, blondes Haar. Sie spricht nur das Nötigste während der Verhandlung, und das auch nur sehr leise. Nachvollziehbar. Sie arbeitet als Auszubildende in der JVA Mannheim, als sie die Hauptperson dieser Geschichte in der Untersuchungshaft kennenlernt. Er habe sie angesprochen, ihr von seiner Familie erzählt - ihr „schöne Augen“ gemacht, wie Anwalt Thomas Dominkovic einwirft. Das Verhältnis zwischen Häftling und JVA-Mitarbeiterin wird bald inniger. So innig, dass die junge Frau dem Straftäter den Wunsch nicht abschlägt, ihm ein Mobiltelefon in die Zelle zu schmuggeln. Sie habe da ganz eindeutig „eine Grenze überschritten“, fasst die Richterin am Ende zusammen. Das habe gravierende Folgen gehabt.

Die 24-jährige Angeklagte mit ihrem Verteidiger Thomas Dominkovic. © Uwe Anspach

Mit dem Telefon nimmt der Gefangene bald Kontakt zu seinem jüngeren Bruder auf, einem von insgesamt neun Geschwistern. Für den 21-Jährigen wird das Folgen haben, denn auch er sitzt am Dienstag auf der Anklagebank. Er trägt blaue Jeans, ein weißes Hemd, Vollbart und hat akkurat rasiertes Haar. Den Kontakt zu seinem älteren Bruder wolle er abbrechen, versichert sein Verteidiger Ümit Kaya. Er habe sich unter Druck gesetzt gefühlt - auch wenn dies keinesfalls als Entschuldigung zählen solle.

Der Angeklagte kommt in den Verhandlungssaal des Amtsgerichts. Nach der Befreiung eines Häftlings der Justizvollzugsanstalt (JVA) Mannheim während eines Arztbesuchs müssen sich zwei mutmaßliche Fluchthelfer am Dienstag vor dem Amtsgericht Ludwigshafen verantworten. © Uwe Anspach/dpa

Die Idee, ihn zu befreien, das sagen beide Angeklagten einmütig, sei ganz klar vom Häftling selbst ausgegangen. Erst eine lose Spinnerei, dann immer und immer konkreter. Bald bringt der Gefangene seinen Bruder und die JVA-Mitarbeiterin zusammen, diese treffen sich eigenen Angaben nach einmal wöchentlich, sprechen viel, aber erstmal noch nicht über eine mögliche Flucht. Irgendwann kommt das dann aber auch, und mit einem Mal geht es ganz schnell.

Ein Arztbesuch am Klinikum bildet für die Beteiligten die Möglichkeit, den Häftling zu befreien

Ein Arztbesuch im Klinikum Ludwigshafen steht für den Häftling an, am 14. Dezember 2023. Die beiden Fluchthelfer deponieren einen Transporter und einen Roller am Ebertpark. Mit dem Roller fährt der 21-Jährige am Tattag in die Seitenstraße am Klinikum, wo sein Bruder mit den beiden Wachtmeistern aus dem Gebäude kommt. Er fährt dicht an den Transporter heran, der Häftling springt auf, ein JVA-Beamter folgt ihnen noch. Der Angeklagte dreht sich um und richtet eine Schreckschusswaffe auf den Mann. „Mach keine Dummheiten“, ruft sein Bruder dem Wärter zu. Dann ein Schuss in die Luft.

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Am Ebertpark wechselt das Duo das Fluchtfahrzeug, fährt im Transporter nach Mainz. Dort stößt die 24-Jährige hinzu, die in der Folge fast zwei Wochen mit dem Häftling durch verschiedene Städte tingelt. Auf die Spur kommen die Beamten dem Geflohenen durch die Beschlagnahmung einer Mailadresse und einen damit erstellten Snapchat-Account. In der alten Wohnung der 24-Jährigen, die im Begriff war, von Ludwigshafen nach Mannheim zu ziehen, war dieser Account ins W-Lan eingeloggt. Vor Ort treffen Beamte auf die Angeklagte, die die Tat teilweise einräumt und die Ermittler auf die Spur des Häftlings bringt - wenn auch eher notgedrungen und durch Zufall, wie Richterin Diem in der Urteilsbegründung betont.

Staatsanwaltschaft sieht in 21-Jährigem die "ausführende Kraft vor Ort"

Anders als die Staatsanwaltschaft, die für den 21-Jährigen als „ausführende Kraft vor Ort“ eine Haftstrafe von zwei Jahren und vier Monaten ohne Bewährung fordert, bewertet die Kammer die Tatbeiträge beider Angeklagten als gleichwertig. „Das eine geht nicht ohne das andere“, sagt sie mit Blick auf das in die JVA geschmuggelte Handy und den Schuss mit der Schreckschusspistole. Da die Prognosen bei beiden Angeklagten nicht allzu schlecht und das Vorstrafenregister zumindest bei der 24-Jährigen leer sei, habe man sich für eine Bewährung bei beiden entschieden.

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Richterin Diem betont jedoch auch, dass es sich „keinesfalls um ein Kavaliersdelikt“ gehandelt habe. Deutlich macht das die Aussage eines der JVA-Bediensteten, die den Häftling bewachten. Der 36-Jährige ist seitdem dienstunfähig, leidet unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung und privaten Problemen. „Ich hatte Todesangst in dem Moment. Ich dachte, dass ich meine Familie nie wieder sehe. Dieser Moment, in dem ich dachte, ich werde auf der Straße abgeknallt, der lässt mich nicht los.“

Richterin: "Der Plan reichte nur bis zum Transporter"

Einen Plan für die Zeit nach der Flucht hatte das verhängnisvolle Trio indes nicht, wie die Richterin feststellt. „Null. Der Plan reichte nur bis zum Transporter. Danach war alles ad hoc.“ Nun sei der Gefangene wieder hinter Gittern, sein Bruder habe in U-Haft gesessen und die Frau habe ihre berufliche Zukunft zunichte gemacht. „Im Ergebnis war das Ganze kein großer Erfolg für die Beteiligten.“

Redaktion Reporter Region, Teamleiter Neckar-Bergstraße und Ausbildungsredakteur

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