Kallstadt. Etwas Vogelgezwitscher – so wie am Anfang ihres Films – wäre Simone Wendel zum Einstieg in diesen Artikel wahrscheinlich lieber gewesen. Nein, auf diesen „ganzen Medienalarm“ steht die Frau wirklich überhaupt nicht. Daher braucht es auch eine gewisse Überredungskunst, ehe sie einem Treffen mit dem Autor zustimmt. Die Filmregisseurin lebt einigermaßen zurückgezogen im Mannheimer Jungbusch – oder in Portugal. Und wäre da nicht der impulsgesteuerte US-Präsident Donald Trump, dessen Vorfahren aus dem gleichen Dorf wie die 50-jährige Pfälzerin stammen, Wendel könnte einerseits völlig unbehelligt ihre alltägliche Arbeit tun und sich andererseits noch mehr mit Menschen und ihren Geschichten beschäftigen.
„Ich wurde von der Filmbranche hart verprügelt“
Seit ihrem stellenweise wirklich sehr ulkigen Dokumentarfilm „Kings of Kallstadt“, den sie im Jahr 2014 gemeinsam mit Co-Autor Mario Conte veröffentlicht hat, ist ihr Leben aber nun mal ein wenig mit jenem von Trump verknüpft. In der Pfalz gehört das Werk inzwischen zum Kulturgut – so wie das „Palzlied“ der Anonyme Giddarischde oder das komplette Œuvre des Liedermachers Kurt Dehn. Für solche, die das filmische Werk nicht kennen, eine kurze Erklärung: Die Macherin fragt sich in der Doku, ob es Zufall sein kann, dass sowohl die Vorfahren des späteren Heinz-Ketchup-Gründers als auch die Vorfahren von Donald Trump aus ihrem Dorf stammen. Dabei stellt sie die heutigen Kallstadter vor und begleitet sie in ihrem Alltag. Später im Film reist sie mit einer Gruppe von Kallstadtern auf ein Weinfest nach New York und trifft den heutigen US-Präsidenten in seinem Büro.
Mit Vogelgezwitscher ist es bei Simone Wendel in diesen Wochen wieder vorbei. Spätestens an dem Tag Anfang Juni, an dem Bundeskanzler Friedrich Merz dem US-Präsidenten im Oval Office die Geburtsurkunde von Trumps Großvaters in einem großformatigen Rahmen als Gastgeschenk aushändigte, erinnerten sich Journalisten an ihren Film zurück. Medienanstalten meldeten sich nach Jahren wieder, Presseanfragen nahmen insgesamt zu. Bekannte schickten Bilder per Whatsapp.
Dabei hat Simone Wendel das alles inzwischen doch ziemlich satt. „Die Filmbranche hat mich hart verprügelt“, sagt sie beim Blick zurück. Verdient hat sie nicht viel mit dem Werk. Wendel redet von kultureller Selbstausbeutung. Von Menschen, die in Projekte reinquatschen, die sie gar nicht verantworten. Sogar von manchen „Soziopathen“ in der Branche spricht die Wahl-Mannheimerin. Und damit meint sie gar nicht mal den Protagonisten ihrer Doku – Donald Trump.
Donald Trump und die Versöhnung mit seinen deutschen Wurzeln
Die Wahrscheinlichkeit, dass Letztgenannter den Boden der pfälzischen Heimat seiner Großeltern in naher Zukunft tatsächlich betreten wird, ist mit der Einladung des Bundeskanzlers an den US-Präsidenten vor drei Wochen sprunghaft angestiegen. Quasi noch das aus dem Speyerer Landesarchiv stammende Gastgeschenk in der Hand haltend, sagte Trump einen Besuch zu. Und seither denken nicht wenige, dass das wahr wird, was Simone Wendels Film „Kings of Kallstadt“ im Subtext irgendwie nährt: die Hoffnung auf eine symbolische Versöhnung Trumps mit seinen deutschen Wurzeln in einem kleinen Dorf in der Pfalz.
Aber: Wer deutsche Vorfahren hatte, war in den USA nach den beiden von Deutschland ausgehenden Weltkriegen nicht überall beliebt. Die Trumps behaupteten also öfter mal, dass die Familie aus Schweden stamme. Insofern war es vor elf Jahren schon überraschend, dass Donald Trump der damals fast 40-jährigen Frau aus Kallstadt überhaupt eine „Audienz“ einräumte. Auf Druck seines Cousins John übrigens, der durchaus einen Draht in die Pfalz hatte und selbst mehrmals in Kallstadt war.
Mehr als eine Stunde lang, so erinnert sich Wendel heute, habe Donald sich im Trump-Tower Zeit genommen und artig alle Fragen beantwortet, als sie ihm beispielsweise Bilder vom früheren Haus seiner Großeltern zeigte. Eines war er schon damals – eine „Medienmaschine“. So nennt Simone Wendel den Mann, der inzwischen Nachrichten im Minuten-Rhythmus produziert. Über seine Vorfahren und Kallstadt habe er sehr wenig gewusst. „Amazing“, habe er immer wieder gesagt, erinnert sich Wendel.
Donald Trump könnte das „Dorf auf Links drehen“
Vor einem Besuch des Dampfplauderers in der Pfalz hat Simone Wendel etwas Respekt. Befürchtet die in Kallstadt aufgewachsene Frau doch, dass das internationale Ereignis ihr Dorf völlig „auf Links drehen“ könnte. Ob sie eine Kamera mitnehmen würde, wenn Trump tatsächlich käme? „Ich würde gar nicht hingehen“, sagt sie. Schon gar nicht für den bisher nicht existierenden zweiten Teil von „Kings of Kallstadt“. Aber wäre ein Besuch des Abtrünnigen nicht ein willkommenes Ende der Geschichte? Wendel ist heute einigermaßen weit davon weg, ein solches Projekt in Angriff zu nehmen. Die Art, wie solche Doku-Filme in Deutschland gefördert und produziert würden, passe nicht zu ihrer Arbeitsweise, die zunächst ergebnisoffen und manchmal vom Zufall geleitet werde. Sie wünscht sich freiere Strukturen.
„Du musst weitermachen“, hätten ihr Kollegen in den vergangenen Jahren immer wieder gesagt. So richtig überzeugen konnten sie die Mannheimerin nicht. „Ich bräuchte jemanden, der mal in mich investiert“, sagt sie und meint damit Vertrauen in ihre intuitive Art, Filme zu machen. „Ich bin Beobachterin und Poetin – eben kein Ackergaul“, schimpft sie fast über die Zustände hierzulande.
Simone Wendels Protagonist noch vor Corona gestorben
Heute trifft sich Simone Wendel oft zu Gesprächen mit Menschen – ohne Kamera. „ Ich will eher ein kleines, ehrliches Leben“, sagt sie. Das sei in der Medienbranche aber gar nicht so leicht. Vor einigen Jahren standen die Chancen für eine Art Fortsetzung ihrer Arbeit von „Kings of Kallstadt“ zwischenzeitlich gar nicht so schlecht, auch wenn es kein klassischer zweiter Teil geworden wäre. Es habe sogar schon einen guten Teaser gegeben, so Wendel. Dann starb John Trump, Donalds Cousin und Wendels Protagonist. Und schließlich kam Corona.
Die Geschichte endete quasi jäh, obwohl Wendel zuvor schon zur Amtseinführung Donald Trumps in die USA gereist war, um erste Aufnahmen zu machen. Wie könnte der kitschige Schluss aussehen, den Simone Wendel natürlich nie so schreiben würde? Donald Trump, der 79-jährige König von Kallstadt, schaut anlässlich des Staatsbesuchs beim Training der örtlichen Turnerfrauen vorbei. Anschließend fährt er mit Hauptdarstellerin Veronika auf einem Traktor in den pfälzischen Sonnenuntergang. Es herrscht Friede auf Erden. Natürlich zwitschern die Vögel …
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