Das Wichtigste in Kürze
- Der Alzheimerforscher Christian Haass ist besorgt über die Lage in den USA nach einem Harvard-Besuch.
- Haass kritisiert Trumps Angriffe auf Elite-Universitäten und befürchtet einen Exodus von Wissenschaftlern.
- Die Forschung in den USA steht unter Druck, und internationale Kooperationen sind gefährdet.
Mannheim. Von einem Exodus amerikanischer Wissenschaftler, insbesondere junger Talente, geht der mit vielen internationalen Auszeichnungen gewürdigte Alzheimer-Forscher Christian Haass aus. Der aus Mannheim stammende und an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität tätige 64-Jährige ist gerade von einem Aufenthalt an der US-Eliteuniversität Harvard zurückgekehrt und entsetzt darüber, was er dort erlebt hat.
Herr Haass, für Schlagzeilen sorgt, dass die Trump-Regierung Harvard an der Aufnahme ausländischer Studierender hindern will - auch wenn juristische Schritte dies vorerst untersagen. Sie waren gerade für einen Vortrag eingeladen. Was für eine Stimmung haben Sie erlebt?
Christian Haass: Die Stimmung könnte nicht deprimierender sein. So etwas habe ich in den fast 40 Jahren meines Forscherlebens nie erlebt und für absolut unmöglich gehalten. Das kannte ich nur aus totalitären Staaten.
Was bedeutet das konkret?
Haass: Der US- Präsident bezeichnet Harvard-Professoren als „woke, extreme left, idiotes and bird brains“. Über 600 Forschungsanträge, mit denen Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen nicht nur ihre Forschung, sondern auch ihr Gehalt finanzieren, sind einfach gestoppt worden – mit völlig unhaltbaren Argumenten. Auch eines unserer eigenen Projekte an meinem Institut hängt über eine weltweite Kooperation an solch einem nun gestoppten Antrag.
Um was geht es in diesem internationalen Projekt?
Haass: Es handelt sich um klinische Studien mit Patienten, die unter familiärem Alzheimer leiden, außerdem um Biomarkerstudien, die der Früherkennung dienen. Diese Patienten sind so selten, dass solche Projekte nur über eine weltweite Kooperation vieler Kliniken möglich sind. Diese vielversprechende Studie der klinischen Alzheimer-Forschung steht nun vor dem Aus. Eine Begründung für den Stopp gibt es nicht.
Zur Person
Christian Haass, Jahrgang 1960, stammt aus einer Mannheimer Arztfamilie.
Er war nach dem Studium in Heidelberg und einem US-Aufenthalt an der Harvad Medical School mit gerade mal 35 Jahren Molekularbiologie-Professor am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) und nahm 1999 einen Ruf der Münchner Ludwig-Maximilians-Universitä t an.
Der Alzheimer-Forscher, der sich auch mit Hirnveränderungen bei Parkinson beschäftigt, erhielt zahlreiche Auszeichnungen: darunter (2002) den wichtigsten Wissenschaftspreis der Deutschen Forschungsgesellschaft, den Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Preis , 2018 den Brain-Prize für europäische Neurowissenschaftler und 2023 den Wissenschaftspreis der Hector-Stiftung . wam
Betreffen Trump'sche Maßregelungen ausschließlich die Forschung?
Haass: Nein, es ist ein Feldzug gegen Intellektuelle. Neben massiv reduzierter Grundfinanzierung der Forschung werden auch Steuervergünstigungen gestrichen, die Stiftungen erleichtern. Anderen Eliteuniversitäten des Landes droht das Gleiche oder ähnliche Strafmaßnahmen sind bereits vollzogen worden. Obendrein sollen internationale Studierende der Universität verwiesen werden. Sie müssten sich, wenn es nach dem Willen des US-Präsidenten geht, praktisch über Nacht eine neue Universität suchen, oder sie verlieren ihr Aufenthaltsrecht.
Und neue Studierende werden aus dem Ausland erst gar nicht mehr aufgenommen.
Haass: Ja, kaum zu glauben. Solche Studierende haben sich als die besten Köpfe international für Harvard qualifiziert. Das alles interessiert aber den mächtigsten Mann der Welt nicht – er muss enorme Angst vor kritisch denkenden Menschen haben.
Sehen Sie in den USA, dem Land, das früh die Freiheitsrechte in seiner Verfassung verankert hat, die Freiheit der Wissenschaft gefährdet?
Haass: Ja! Frei forschen kann man nicht mehr, wenn Angst statt antreibender Wissenschaftsbegeisterung vorherrscht. In den USA geht das eigentlich nur noch, wenn Forschungsvorhaben durch private Stiftungen unterstützt werden. Aber diese haben nur begrenzte Mittel, und auch an denen ist die Trump-Administration dran.
Das alles interessiert aber den mächtigsten Mann der Welt nicht – er muss enorme Angst vor kritisch denkenden Menschen haben.
Haben Sie bei Ihrem Harvard-Aufenthalt aktuelle Zahlen mitbekommen?
Haass: Im Moment sind bereits über 600 laufende Forschungsanträge im Wert von rund zwei Billionen US-Dollar gestrichen worden. Es war schon erstaunlich, dass bei den Vorträgen in Boston keiner etwas sagte. Ich war der Einzige, der es wagte, in meine wissenschaftlichen Ausführungen deutliche Kritik einzubauen und zum kollektiven Widerstand aufzurufen. Aber mir kann natürlich auch nicht viel passieren, außer einem Einreiseverbot.
Nicht nur Trump wütet gegen freie Forschung.
Haass: Erst kürzlich hat Robert F. Kennedy gefordert, das Veröffentlichen von biomedizinischen Forschungsergebnissen in anerkannten wissenschaftlichen Journalen wie Lancet, New England Journal of Medicine und Jama zu verbieten – weil diese angeblich korrupt seien. Publikationen sind dann nur noch in staatlich kontrollierten Postillen höchst fraglicher Qualität möglich. Hier könnten sich dann beispielsweise Impfgegner austoben und nicht belegten Unsinn, wie ja gerade geschehen, mit staatlichem Siegel versehen lassen.
Sie sind in der Lage, Vergleiche anzustellen. Schließlich waren Sie 1990 als Post-Doktorand in Harvard und hatten drei Jahre eine Assistenzprofessur. Damals und heute, welche Veränderungen sehen Sie?
Haass: Ausländische Wissensschaffende wurden damals begeistert empfangen. US-Eliteuniversitäten haben um uns weltweit konkurriert. Ich hatte mich bei sieben beworben, alle machten ein Angebot. Die Internationalität war unglaublich bereichernd, ich habe damals so viel über andere Kulturen erfahren, es war wunderbar. Schon zuvor, während meiner Zeit als Doktorand am Zentrum für Molekulare Biologie in Heidelberg, hatte ich gelernt, dass exzellente Wissenschaft nur international funktioniert. Und es herrschte absolute wissenschaftliche Freiheit. Niemand hätte auch nur im Traum daran gedacht, dass einmal ganze Wissenschaftsgebiete unterbunden werden.
Amerika wird viele herausragende Talente verlieren und für den Nachwuchs eine Karriere als Forscher unattraktiv machen.
Sie sind für die Forschung weltweit unterwegs und erfahren viel.
Haass: Ich war kürzlich mit einer Schweizer Stiftung im Smithsonian Tropical Research Institute in Panama, wo fantastische Arbeit von unglaublich begeisterten jungen Wissenschaftsteams gemacht wird. Denen hat man einfach mitgeteilt, dass Klimaforschung, ökologische Forschung und Verhaltensforschung irrelevant seien - die finanzielle Unterstützung wurde drastisch reduziert. So radiert man eine gesamte Generation von Nachwuchstalenten aus.
Könnte es einen akademischen Exodus geben, von dem Europa, auch die deutsche Uni-Landschaft, profitiert?
Haass: Es wird einen Exodus vieler Wissenschaftler geben. Wir brauchen ja nur in unsere eigene Geschichte zu schauen, da gab es den ja auch. Amerika wird viele herausragende Talente verlieren und für den Nachwuchs eine Karriere als Forscher unattraktiv machen. Einziger Lichtblick: Vielleicht können wir einige der besten Köpfe für unsere Universitäten gewinnen. Wir haben in München im Rahmen der Exzellenzinitiative von Bund und Ländern gerade ein Exzellenzcluster von der Deutschen Forschungsgemeinschaft erhalten und können in Zusammenarbeit mit einer Stiftung Postdoktoranden auf sehr gut dotierte und längerfristige Stellen berufen. Wir werden diese ganz gezielt in den USA ausschreiben. Honkong hat bereits ein großes Programm gestartet, um Talente aus den USA abzuziehen.
Ist es für Sie als vernetzter und mehrfach international ausgezeichneter Alzheimer-Forscher überhaupt vorstellbar, dass Wissenschaft auf nationaler Ebene funktioniert - sozusagen im eigenen Saft?
Haass: Das ist völlig ausgeschlossen! Forschung funktioniert nur mit weltweitem Austausch. Wir brauchen große Teams mit unterschiedlichsten Spezialisierungen und Techniken, Patientenkohorten mit seltenen Erkrankungsformen, wie der genetisch vererbten Alzheimer Erkrankung, die wir national nicht finden können.
Sie wirkten nach Harvard und vor München in ihrer Heimatstadt Mannheim vier Jahre als Professor für Molekularbiologie am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, das gerade 50. Geburtstag feiert. Während Ihrer Zeit gab es einen amerikanischen Direktor.
Haass: Ich habe die Zeit am Mannheim ZI unter Fritz Henn in sehr guter Erinnerung. Er hat mich als Amerikaner (!) überzeugt, nach Deutschland zurückzukehren. Und er hat mir für damalige Verhältnisse nicht selbstverständliche Bedingungen geboten – auch die absolute wissenschaftliche Freiheit. Womit wir wieder beim Thema wären.
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