Interview

Viernheimer lebt in den USA - und erkennt seit Trump das Land nicht mehr

Der Viernheimer Björn Kemper lebt seit 1999 in den USA. Seit Donald Trump sei das Land im Wandel, das ihm zunehmend fremd wird.

Von 
Sandra Usler
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Der gebürtige Viernheimer Björn Kemper (vorne rechts) lebt mit seiner Frau Felicia und den vier Kindern – zwei Jungs, zwei Mädchen – in Cincinnati im Bundesstaat Ohio. Seit 2012 hat er auch die amerikanische Staatsbürgerschaft. © Björn Kemper

Das Wichtigste in Kürze

  • Der Viernheimer Björn Kemper lebt seit 1999 in Cincinnati und ist seit 2012 US-Bürger.
  • Er kritisiert Trumps Politik scharf und sieht Amerikas internationalen Einfluss schwinden.
  • Kemper ist Kreativdirektor und Themenparkdesigner in Ohio, USA.

Viernheim. Kaum ein Tag vergeht ohne eine neue Meldung aus dem Weißen Haus, ohne neue Nachrichten vom US-Präsident Donald Trump. Der Viernheimer Björn Kemper lebt seit über 25 Jahren in den Vereinigten Staaten und schildert dieser Redaktion seine Eindrücke vom Amerika nach der Wahl (das Interview wurde vor den Protesten in Kalifornien geführt).

Seit fast fünf Monaten ist Donald Trump wieder US-Präsident. Wie ist die aktuelle Stimmung im Land?

Björn Kemper: Die Stimmung derer, die Donald Trump gewählt haben – von den eingefleischten Anhängern bis zu den Wechselwählern, denen Joe Biden zu senil wurde oder die Inflation zu hoch – unterscheidet sich natürlich stark von der der demokratischen Wähler. Ich kann nur von mir sprechen: Meine Stimmung ist mies. Wir durchleben ohnmächtig einen kompletten Umbau Amerikas und seiner Rolle in der Welt nach dem Zweiten Weltkrieg – in kürzester Zeit und mit autokratischen Mitteln. Das ist eine harte Nummer, und die Auswirkungen sind noch nicht abzusehen. Wir stehen erst am Anfang. Ich kann nur sagen: Das ist nicht das Land, in das ich vor 26 Jahren gezogen bin. Das ist eine Zäsur sondergleichen – selbst wenn Trump morgen abgewählt würde, der Schaden, den er angerichtet hat und noch anrichtet, wird Jahrzehnte nachwirken. Amerikas Rolle und Relevanz in der Welt wird abnehmen. Das ist alles sehr beunruhigend.

Was hat sich in den vergangenen 100 Tagen (spürbar) verändert?

Kemper: Ich kann nur für mich sprechen. Spürbar hat sich im Moment wenig verändert – wir stehen wie gesagt am Anfang. Der von Elon Musk durchgeführte radikale Behördenkahlschlag, der Abbau bei Umweltschutz, Seuchenschutz, Forschung, Katastrophenschutz, Sozialversicherung, Gesundheitsvorsorge, all den weltweiten Hilfsprogrammen, dem Radiosender „Voice of America“, den öffentlichen Sendern PBS und NPR, den Universitäten, die Abschiebung der Immigranten – all das wird sich erst nach und nach bemerkbar machen. Von den Zöllen spüren wir noch nichts, aber das wird sich bestimmt bald ändern. Es kommen kaum noch Waren in den Häfen an – sehr bald werden wir vor leereren Regalen stehen und für alles mehr bezahlen. Bald werden auch die Hilfskräfte fehlen, in der Landwirtschaft bei der Ernte vor allem.

Die Einreise in die USA erinnerte mich in mancher Hinsicht immer an die DDR, besonders wegen der intensiven Befragungen.
Björn Kemper Lebt in den USA

Ich bin in diesem Jahr noch nicht außer Landes gereist, daher kann ich nichts über die Einreise sagen. Schon früher empfand ich die Einreise in die USA als unangenehm stressig – sie erinnerte mich in mancher Hinsicht immer an die DDR, besonders wegen der intensiven Befragungen. Ich hatte auch schon vor 20 Jahren keine gute Erfahrung mit manchen Immigration Officers. Übrigens einer meiner Hauptgründe, warum ich mich habe einbürgern lassen. Als Green-Card-Holder ist man nur ein Bürger zweiter Klasse hier – das war mir zu unsicher für mich und meine Familie. Wie man nun sieht, hat sich das bewahrheitet. Selbst langjährigen Green-Card-Holdern mit amerikanischer Familie kann die Einreise aus allen und keinen Gründen verweigert werden.

Björn Kemper

  • Björn Kemper ist 55 Jahre alt, verheiratet und hat vier Kinder. Er lebt mit seiner Familie in Cincinnati im Bundesstaat Ohio .
  • 1999 zog Kemper aus Viernheim in die USA und hat seit 2012 die amerikanische Staatsbürgerschaft .
  • Der gelernte Bauzeichner und studierte Architekt ist seit 2023 Kreativdirektor bei Hyperquake im Bereich Markenarchitektur. Nebenbei arbeitet er freischaffend als Themenparkdesigner.

Kann man, auch als Trump-Wähler, einige Entscheidungen des Präsidenten schwer nachvollziehen? Gibt es Bürger, die ihre Trump-Wahl mittlerweile bedauern?

Kemper: Das hängt wirklich von der Art des Trump-Wählers ab. Hardcore-„Make America Great Again“-Anhänger leben in einer Art kultischer Verehrung ihres „gottgegebenen Anführers“. Die Republikanische Partei folgt ihm scheinbar willenlos. Wechselwähler haben vielleicht eine andere Meinung. Viele wählten ihn, weil er doch ein „Businessman“ sei und die Preise senken würde. Sie machten Biden für die Post-Covid-Inflation verantwortlich. Nun sehen sie, dass das Gegenteil der Fall sein wird – weil der Mann eben keine Ahnung von Wirtschaft hat; keine Ahnung, wie die Weltwirtschaft im 21. Jahrhundert funktioniert und verflochten ist. Alles ist für ihn eine „Transaktion“, bei der es nur einen Gewinner geben kann – nämlich ihn selbst.

Er hat schon mehrere seiner Firmen in die Pleite getrieben und das wird er auch mit diesem Land schaffen. Ich höre, dass einige Trump-Wähler – zum Beispiel Mittelständler – zwar die Zölle schlimm finden und fürchten, dass sie sie in die Insolvenz treiben könnten, aber wenn sie gefragt werden, ob sie deshalb bedauern, Trump gewählt zu haben, dann sagen sie „nein“. Typische Trotzreaktion. Viele sind immer noch der Meinung, Trump wisse genau, was er tue – und alles werde besser werden oder wenigstens besser als mit Biden.

Wie schätzen Sie die Position der Demokraten ein, müsste da mehr „Gegenwind“ kommen?

Kemper: Die Demokraten sind nur noch ein armseliger, verwirrter Haufen, der wie das sprichwörtliche Huhn mit abgetrenntem Kopf ziellos herumrennt. Immer noch in Schockstarre von der verlorenen Wahl haben sie momentan keine gemeinsame Position, keine Linie, keinen Anführer und keinen Plan. Sie sind in der Minderheit und können quasi nur zugucken. Die Demokraten haben Bidens altersbedingten körperlichen und geistigen Abbau verheimlicht und unter den Teppich gekehrt. Sie hätten frühzeitig Kandidaten für eine Nachfolge aufstellen müssen. Die Einsicht Bidens und die Kehrtwende kamen viel zu spät, Kamala Harris hatte dadurch kein gutes Blatt.

Die Demokratische Partei, Biden und seine Enabler („Möglichmacher“) sind genauso schuld an Trumps Rückkehr wie die ganze rückgratlose Republikanische Partei. Die Demokraten müssen aus ihrer Schockstarre raus und sich neu aufstellen. Eine Figur von der Statur eines Clinton oder Obama aber fehlt komplett. Gegenwind wird kommen – langsam. Vereinzelt gibt es kleine Demos, vor allem gegen Elon Musk und Tesla, auch hier in Cincinnati.

Im Großen und Ganzen ist das aber noch lachhaft. Gegenwind kommt wenigstens von den Gerichten als letztem Bollwerk gegen Trumps autokratischen Staatsumbau – und hoffentlich bei der nächsten Parlamentswahl im November 2026. Aber bis dahin können Trump und seine republikanische Mehrheit noch viel anrichten, wie zum Beispiel die Steuervergünstigungen für Besserverdiener zu Lasten vieler wichtiger Hilfsprogramme für Arme, Kinder, Bildung, Gesundheit und Umwelt, die gerade durch den Kongress gerammt werden. Da kann man nur den Kopf schütteln.

Gerade wurde 80 Jahre Kriegsende begangen. Und die Welt ist einem neuen Weltkrieg wahrscheinlich näher denn je. Wie sehen die US-Bürger die Konflikte auf der Erde, und was erwarten sie von ihrem Präsidenten? Wie müsste friedensstiftende Außenpolitik aussehen?

Kemper: Ich sehe nicht, dass dieses 80. Jubiläum hier irgendeine Rolle gespielt hat. Jeder ist mit sich selbst beschäftigt. Amerikaner schauen generell nicht groß auf die Weltpolitik – das ist alles weit weg. Das Land ist riesig. Von ihrem Präsidenten erwarten die meisten vor allem, dass die Preise stabil bleiben und das Benzin billig – der Rest ist Hintergrundrauschen. Es kümmert hier kaum jemanden, dass viele der weltweiten Hilfsprogramme und Soft-Power-Initiativen – darunter auch der Radiosender „Voice of America“ – eingestellt wurden. Dabei sendete „Voice of America“ schon im Zweiten Weltkrieg von hier aus Cincinnati als „Die Stimme Amerikas“ gegen die NS-Propaganda – ein Symbol für die einstige Rolle der USA als Stimme der Demokratie und der freien Welt.

Heute hingegen verkauft Trump das weltweite Engagement Amerikas als Verlustgeschäft – als hätte das Land nicht selbst enorm von der Pax Americana nach dem Zweiten Weltkrieg profitiert. Eine instabile Wirtschaft ist für Trump daher weitaus gefährlicher als eine instabile Weltpolitik. Was globale Konflikte angeht: Die Menschen in dieser Trump-Administration verfügen über weniger Erfahrung, Sachverstand und diplomatisches Fingerspitzengefühl. Loyalität zu Trump kommt weit vor Qualifikation und Kompetenz. Das bereitet mir mehr Sorgen als jeder äußere Feind. Man kommt sich vor, als sei man Beifahrer bei einem Geisterfahrer.

Wie stehen die Amerikaner zu der oft erwähnten Verfassungsänderung, die eine dritte Amtszeit eines Präsidenten möglich macht?

Kemper: Für eine Verfassungsänderung bedarf es einer Zwei-Drittel-Mehrheit in beiden Kammern des Kongresses und – wenn das durchkommt – einer Ratifizierung durch drei Viertel aller Bundesstaaten. Die Latte liegt so hoch – es wird zu keiner Verfassungsänderung kommen. Allerdings gibt es andere Wege zu einer dritten Amtszeit: Zum Beispiel könnte Trump als Vizepräsident von Vance antreten. Wenn Vance gewinnen würde, könnte er sofort zurücktreten, und der Vize – Trump – wäre automatisch Präsident. Rein hypothetisch. Aber nichts scheint mehr undenkbar.

Wie kann es für die USA weitergehen – wird Trump mit voller Unterstützung die Amtszeit beenden oder könnte es ein vorzeitiges Ende nehmen?

Kemper: Mir fällt kein plausibles legales Szenario ein, wie das ein vorzeitiges Ende nehmen könnte. Natürlich wird Trump seine Amtszeit beenden – mit voller Unterstützung der Republikanischen Partei.

Noch eine Wahl stand in den vergangenen Tagen weltweit im Mittelpunkt: Der neue Papst ist gebürtiger Amerikaner. Wie ist das in den USA angekommen und aufgenommen worden?

Kemper: Ich würde sagen, das wurde mit Stolz aufgenommen – wie seinerzeit in Deutschland die Wahl von Papst Benedikt. Nicht mehr und nicht weniger. Man sollte da nicht zu viel hineininterpretieren. Ein Papst, auch ein amerikanischer Papst, hat wenig Einfluss. Man darf froh sein, dass ein weltoffener und relativ progressiver Amerikaner gewählt wurde, denn die amerikanischen Bischöfe sind in der Regel ultrakonservativ. Vielleicht kann Papst Leo ein gewissenhafter Gegenpol zu den chaotischen Verbalausbrüchen eines Trump sein – und das wird die Seele der Welt gebrauchen können.

Freie Autorin

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