Ich muss raus aus dieser Kirche: 13 Wochen lang stand das Buch, in dem Andreas Sturm sein Ringen mit sich selbst noch einmal Revue passieren ließ, weit oben in der Sachbuch-Beststellerliste. Zwischenzeitlich kletterte das Werk auf Rang zwei, und noch immer erreichen den 48-Jährigen Pfälzer Nachrichten, Kommentare, Sichtweisen dazu. „Mails, Briefe - ich kann nicht auf alles antworten“, sagt der Mann, den einerseits so viele verstehen können und dem andererseits ehemalige Mitstreiter vorwerfen, er habe sie beim Kampf um Reformen in der römisch-katholischen Kirche im Stich gelassen.
Fünf Monate sind vergangen, seit ihn sein früherer Vorgesetzter, der Speyerer Bischof Karl-Heinz Wiesemann, exkommuniziert und damit formal von der Teilnahme am Abendmahl ausschlossen hat. Zuvor hatte ihm Sturm offenbart, dass er die Zuversicht verloren habe, dass sich in der römisch-katholischen Kirche richtungsweisend etwas ändere - besonders in den Fragen zu Weiheämtern für Frauen, Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch und Umgang mit homosexuellen Lebenspartnerschaften. Zwar arbeitet die Deutsche Bischofskonferenz inzwischen - angetrieben von der Initiative „Out in Church“ - an einem neuen Arbeitsrecht für queere Mitarbeiter, aber diese Prozesse vollziehen sich nur sehr langsam. Zu langsam für Sturm.
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Der gebürtige Frankenthaler sagt, dass er sehr zufrieden sei, da wo er jetzt ist. Alle für Sturm relevanten Fragen werden bei den Alt-Katholiken anders gelebt. Es ist die Bodensee-Gemeinde Singen mit Sauldorf und Messkirch, zu der nur 320 alt-katholische Mitglieder gehören. Sturm wird sie am Ende seiner Einführungsphase fast alle zu Hause besucht haben. So sei das hier üblich, sagt Sturm, der sich den Besuch bei den Kommunionkindern als Nächstes vorgenommen hat. Sturm ist wieder Seelsorger und nicht mehr der Manager, der er in Speyer war. Von Termin zu Termin hetzte er da, musste sich der Aufarbeitung der Missbrauchsvorwürfe genauso stellen wie der Frage, was eigentlich inhaltliche Ziele des Bistums seien. Das alles in Zeiten, in denen immer mehr Menschen der Kirche den Rücken zuwenden und ihre Kirchensteuer lieber für andere Zwecke verwenden.
13 Wochen in der Bestsellerliste
„Man legt 47 Jahre nicht einfach so ab wie ein Hemd, das man auszieht“, sagt Sturm auf die Frage, ob er in den vergangenen Monaten etwas Strecke habe legen können zwischen sein früheres Ich und die neue Position.
„Verschlossene Himmelspforten“ hätte ihm ein Kritiker vorhergesagt als Folge seiner Entscheidung, seinen Weg bei den Alt-Katholiken weiterzugehen. „Das sind die Enttäuschten“, sagt Sturm über solche Menschen. Böse ist er ihnen nicht. Auch wenn sie ihm unterstellen, er habe mit seinem Buch Kasse machen wollen. Und das, obwohl sein heutiges Gehalt weitaus niedriger liegt als das eines Generalvikars. „Der Buchverkauf kann das nicht annähernd ausgleichen“, wehrt sich Sturm, der nicht einmal sagen kann, wie viele Exemplare bisher über den Ladentisch gegangen sind. Auch der Verlag macht dazu keine Angaben.
Er selbst stellt fest, dass er die jüngste Synode seiner ehemaligen Kollegen mit größerer Gelassenheit habe beobachten können. Immerhin zählte er als Generalvikar zu den höchsten Vertretern der römisch-katholischen Kirche in Deutschland. „Ich bin inzwischen sehr weit weg“, sagt er, und er könne den Live-Stream dann auch abschalten, wenn ihn die inhaltlichen Aussagen emotional zu sehr in den Bann zu ziehen drohten. Auch das, was aus Rom kommt, ficht ihn weniger an als früher, denn der Streit über die Unfehlbarkeit des Papstes hat die beiden Glaubensströmungen einst getrennt. Die Alt-Katholiken wollten das Dogma nicht mittragen. Und so erlauben sie heute Weiheämter für Frauen, homosexuelle Priester und verheiratete Geistliche.
Endlich wieder Seelsorger
Viel näher dran ist Sturm hingegen an seiner Gemeinde. Es sei natürlich eine Umstellung, wenn man vorher Pfarreien mit bis zu 15 000 Mitgliedern geleitet habe und nun am Sonntag 43 Menschen in den Gottesdienst kämen. Aber Einsamkeit habe er eher gespürt, wenn er die Frühandacht mit wenigen Besuchern im riesigen Speyerer Dom zelebriert habe. In einer kleinen Kirche fühle sich das anders an. Mehr als einmal betont Sturm im Gespräch, dass es ihm wichtig sei, wieder Seelsorger sein zu können. Eine Frau habe ihn am Morgen angerufen. In der Familie habe es einen Unfall gegeben. Dafür könne er sich jetzt Zeit nehmen - ganz spontan. Das sei vorher für ihn nicht möglich gewesen - genauso wenig wie eine Partnerschaft, die er sich für die Zukunft vorstellen kann.
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