Publikation - Das Buch „Ich muss raus aus dieser Kirche“ schildert die Motive des ausgetretenen Speyerer Generalvikars Andreas Sturm

Für Ex-Generalvikar Andreas Sturm ist die Kirche aus der Zeit gefallen

Von 
Stephan Alfter
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Für ihn ist die römisch-katholische Kirche kurz davor, „an die Wand“ zu fahren: Andreas Sturm legt nun Gründe dar, warum er nicht mehr Teil davon sein will. © epd

Speyer. Es war ein Paukenschlag, als Generalvikar Andreas Sturm vor wenigen Wochen sein Amt als zweiter Mann hinter dem Speyerer Bischof Karl-Heinz Wiesemann aufgab und gleichzeitig seinen Austritt aus der römisch-katholischen Kirche erklärte. Er habe keine Zuversicht mehr in die Reformfähigkeit der Institution, sagte der ranghohe Geistliche damals. Von einem „gewaltigen Schock“ spricht Bischof Karl-Heinz Wiesemann. Ob die schleppende Aufarbeitung des Missbrauchsskandals, das lähmende Innenleben der Institution Kirche – oder die Sehnsucht nach einer Familie: Nur Sturm weiß, was ihn am Ende getrieben hat. Über seine Motive gibt ein Buch nun Auskunft, das seine Gedanken und Ängste, aber auch seine Hoffnung und Zuversicht beschreibt.

„Ich muss raus aus dieser Kirche“ heißt das Werk, das in diesen Tagen im Verlag Herder erscheint (ISBN: 978-3-451-03398-8). Darin beschreibt der 47-Jährige seinen Werdegang vom überzeugten Geistlichen zum Zweifler. „Eigentlich ist es mir erst heute im Rückblick klar, dass es ein langer Weg der Entfremdung war“, meint Sturm unter anderem. Das Buch solle auch zeigen, wie sehr er noch an der Kirche hänge, und dass er ihr alles Gute wünsche. „Nur ohne mich.“

Der Schritt verdeutlicht die Krise der Kirche. Ein Beispiel: Während beim Katholikentag in Münster 2018 noch 50 000 Dauerteilnehmer dabei waren, waren es jüngst in Stuttgart 19 000. Die Missbrauchsskandale erschüttern die Kirche immer noch in ihren Grundfesten, ebenso wie der Reformstau, die massenhafte Abkehr und der Bedeutungsverlust der Institution. Heute gehört nur noch eine Minderheit – weniger als die Hälfte der Bevölkerung – einer der beiden Großkirchen an.

Gegen den Vatikan gestellt

Sturm galt im Bistum als Reformer. Das verdeutlichte schon ein Interview, das er dem Mannheimer Morgen und dem „Y-Kollektiv“ im Februar 2021 gab. Damals hatte sich Bischof Wiesemann aus Gründen der psychischen Erschöpfung krankschreiben lassen. Sturm übernahm einen Teil von dessen Aufgaben und sagte damals, dass die katholische Kirche „einpacken“ könne, wenn sie sich jetzt nicht den Problemen dieser Zeit stelle. Als der Vatikan sich gegen die Segnung homosexueller Partnerschaften aussprach, stellte sich Sturm öffentlich dagegen. Er beklagte auch die Diskriminierung von Frauen.

Doch ob das Verhältnis zu Frauen oder zu Homosexuellen: „Das sind weltkirchlich noch immer keine Themen“, kritisierte Sturm kürzlich in einem weiteren Interview mit dieser Redaktion im Mai. Er habe nicht den Eindruck, dass der Vatikan wirklich Verständnis habe für die aktuelle Situation. „Solange Rom glaubt, es müsse alles überall wie eine Art Konzernzentrale steuern, denke ich nicht, dass sich etwas ändert.“

Nun als Priester am Bodensee

Andreas Sturm ist der Altkatholischen Kirche beigetreten, für die er künftig als Priester am Bodensee arbeitet. Die Altkatholische Kirche entstand nach den Entscheidungen des Ersten Vatikanischen Konzils von 1870, wonach der Papst die oberste rechtliche Gewalt in der katholischen Kirche ausübt und in Fragen des Glaubens unfehlbar ist. Der Kirchenexperte und Buchautor Andreas Püttmann („Wie katholisch ist Deutschland. . . und was hat es davon?“) kommt zu dem Schluss: „Dieser beispiellose Vorgang zeigt, was die Stunde geschlagen hat für die katholische Kirche in der modernen, liberalen Gesellschaft.“

Aus Sturms Worten sei erkennbar, dass es sich um einen lange gereiften Entschluss handle, sagt Püttmann. „Er bleibt differenziert und drückt auch Dankbarkeit, ja sogar Liebe zu seiner bisherigen Berufung aus. Man müsste schon ein Herz aus Stein haben, um da einfach die Nase über einen sogenannten Abtrünnigen zu rümpfen.“

„Ich muss raus aus dieser Kirche, in der Missbrauchstäter viel zu lange ihre Verbrechen durchführen konnten und gedeckt wurden“, schreibt Sturm im Buch. „Ich muss raus aus dieser Kirche, in der Frauen nicht geweiht werden, weil wir ihre Berufung schlicht negieren und eine Weihe als unmöglich ablehnen.“ Raus aus einer Kirche, in der Priester nicht heiraten dürften. Sturm räumt einen Bruch des Zölibats ein. „Es gab in meinem Leben Beziehungen, und ich weiß leider nur zu gut, wie sehr ich durch Heimlichtuerei Menschen verletzt habe.“ Als Priester komme man oft mit vielen Eindrücken nach Hause, und da sei dann niemand, sagt Sturm. „Da ist viel Einsamkeit. Mir ist es nicht gelungen, das immer allein im Gebet aufzufangen.“

Für die Zukunft wolle er in Richtung Familie nichts ausschließen. „Ich gehe derzeit nicht in die aktive Planung. Aber ich glaube, ich könnte glücklicher werden mit einer Partnerin an meiner Seite.“

Redaktion Reporter in der Metropolregion Rhein-Neckar

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