Missbrauchstat

Entführung in Edenkoben: Ermöglicht zu viel Datenschutz ein Verbrechen?

Immer mehr Details werden zu der Straftat vom Montag in Edenkoben bekannt. Ein 61-jähriger verurteilter Sexualstraftäter hat erneut eine Missbrauchstat begangen. Die Behörden gaben am Donnerstag dazu eine Pressekonferenz

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Stephan Alfter
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Außergewöhnliche Pressekonferenz: Alexander Welter (v.l.), Angelika Möhlig, Andreas Sarter und Hubert Ströber. © Andreas Arnold/dpa

Edenkoben. Die Entführung und der Missbrauch eines zehnjährigen Mädchens beherrschen auch am dritten Tag nach der mutmaßlichen Tat eines vorher bekannten 61-jährigen Sexualstraftäters viele Gespräche in der Pfalz und darüber hinaus. Dass Staatsanwaltschaft und Polizei dazu eigens eine Pressekonferenz einberufen, ist nicht unbedingt üblich.

Immer mehr Details werden unterdessen zu den Ereignissen vom vergangenen Montag bekannt. Den wichtigsten Satz trug am Donnerstagnachmittag im Ludwigshafener Polizeipräsidium Hubert Ströber, Leitender Oberstaatsanwalt in Frankenthal, vor. „Eine Sicherungsverwahrung des Beschuldigten hätte dazu geführt, dass es diese Tat nicht gäbe“, sagte er. Dass es zu einer solchen Sicherungsverwahrung nicht gekommen ist, begründete der Jurist damit, dass das Landgericht beim jüngsten Verfahren gegen den heute 61-Jährigen lediglich eine neunmonatige Haftstrafe verhängt hatte - vom Gesetz her zu wenig, um eine Sicherungsverwahrung zu rechtfertigen, die die Staatsanwaltschaft beantragt hatte. „Uns waren die Hände gebunden“, fügte er an.

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Deutlich zu spüren war auch am Donnerstag das Bemühen der an der Aufklärung der Tat beteiligten Kräfte, Verständnis aufzubringen für die teils harsche Kritik an ihrer Arbeit. Gleichwohl war es ihnen wichtig aufzuzeigen, dass tatsächlich alle Mittel der Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung ausgeschöpft gewesen seien, als der Beschuldigte am Montag um kurz vor 8 Uhr die junge Gymnasiastin in sein Auto zerrte. Wie berichtet, befand er sich seit 14. Juli unter Weisungsauflagen auf freiem Fuß. Andreas Sarter, der leitende Ermittlungsbeamte beim Polizeipräsidium Rheinpfalz, machte den Tränen nahe deutlich, wie eng man den Mann - temporär auch verdeckt - kontrolliert habe. Als Familienvater verstehe er den Unmut, so Sarter.

25 mal Kontakt zum 61-Jährigen

Man sei Hinweisen aus der Bevölkerung nachgegangen, wonach der 61-Jährige sich hier oder dort aufhalte. Allein: Dem Mann war in diesem Zeitraum kein Kontakt zu Kindern nachweisbar. Sarter listete am Donnerstag in Ludwigshafen mehr als 25 Kontaktaufnahmen seit der Haftentlassung des Mannes Mitte Juli auf. „Ich möchte auch noch mal betonen: Wir haben auch nicht das Gefahrenpotenzial unterschätzt. Uns war bekannt, mit welchem Menschen wir es zu tun haben.“ Er sei überzeugt davon, dass die zur Verfügung stehenden „sinnvollen Möglichkeiten des Rechtsstaates“ stets sorgfältig geprüft und ausgeschöpft worden seien.

Die letzte der Taten habe der Mann 2008 begangen, führte Ströber aus. Auch damals sei es um Vorwürfe des sexuellen Kindesmissbrauchs gegangen. Zuletzt saß er im Gefängnis, weil er gegen Weisungen im Zusammenhang mit seiner Führungsaufsicht verstoßen hatte.

Gelebt hat der nun in Untersuchungshaft sitzende Täter den Erkenntnissen der Polizei zufolge seit seiner Entlassung vorwiegend in einem Auto. Zwischenzeitlich habe er sich in Kroatien aufgehalten, weshalb eine permanente Observation nicht möglich gewesen sei. Er sei aber national und international zur Beobachtung ausgeschrieben gewesen. Ströber unterstrich, dass es abgesehen von rechtlichen Fragen schon aus Personalgründen nicht möglich sei, aus der Haft entlassene Menschen anschließend weiterhin umfassend zu kontrollieren.

Persönlichkeits- vor Opferschutz?

Anders ausgegangen wäre alles wahrscheinlich auch, wenn ein erneut beantragter Haftbefehl gegen den Mann früher beim zuständigen Gericht eingegangen wäre. Auch dieser habe sich wieder auf Verstöße gegen Auflagen nach seiner Haftentlassung bezogen. So habe sich der Mann zum einen ein Mobiltelefon besorgt, was ihm untersagt war, zum anderen habe er sich geweigert, eine elektronische Fußfessel anzulegen, sagte Ströber. Sie ihm unter Zwang anzulegen, sei nicht mit dem Recht in Rheinland-Pfalz vereinbar.

Eine Diskussion, die nun ebenfalls in der Pfalz geführt wird, ist die Frage, ob das Persönlichkeitsrecht des Beschuldigten nicht zurücktreten müsse, wenn es um Opferschutz gehe. Auch bei den Behörden sei diese Frage abgewogen worden, hieß es. Konkret: Hätten Schulen im Umkreis über die Entlassung des Mannes informiert werden müssen? Hätten Schulleiter wissen müssen, wie der Mann aussieht und welches Auto er zum Beispiel fährt? Die Polizei sagt, er sei mobil gewesen und habe sich überall frei bewegen dürfen - also nicht nur rund um Neustadt. Zumal er angegeben habe, nach Leipzig zu ziehen oder gar nach Kroatien auszuwandern.

Michael Eich ist Lehrer an der Nachbarschule des Edenkobener Gymnasiums und stellvertretender Landesvorsitzender des Lehrerverbandes Reale Bildung (VRB). Er sagte im Vorfeld der Pressekonferenz auf Anfrage dieser Redaktion, dass Schuldzuweisungen nicht helfen, aber der behördliche Datenschutz in diesem Fall nicht zum Ziel geführt habe. Es könne nicht sein, dass ein Sexualstraftäter sich in der Nähe von Schulen bewege und die Schulen davon nichts wüssten. Zumal der Mann sogar in der Öffentlichkeit offenbar schon bekannt gewesen sei. Es sei ein riesiges Problem, dass es zwischen Polizei und Schulen (also zwei Landesbehörden) in solchen Fällen keinen konkreten Austausch gebe. Da wünsche er sich Veränderung. Ströber verwies anlässlich der Konferenz auf die bestehende Gesetzeslage.

Redaktion Reporter in der Metropolregion Rhein-Neckar

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