Mannheim. Die ohnehin zuletzt arg gebeutelten Nutzer des Öffentlichen Personenennahverkehrs (ÖPNV) in der Metropolregion Rhein-Neckar dürfen sich seelisch und moralisch schon mal auf die nächsten Entbehrungen vorbereiten. Denn einer der bedeutendsten Eingriffe der vergangenen Jahrzehnte in die deutsche Verkehrsinfrastruktur betrifft ab Mitte Juli 2024 ausgerechnet den Lebensraum der Menschen in Südhessen, Nordbaden und in der Vorderpfalz ganz besonders.
Die Sperrung der Riedbahnstrecke zwischen Frankfurt und Mannheim zum Zweck der Sanierung stelle einen „massiven Eingriff“ dar, wie Mannheims Erster Bürgermeister Christian Specht am Donnerstag anlässlich der Versammlung des Zweckverbandes Verkehrsverbund Rhein-Neckar (ZRN) im Stadthaus N1 am Paradeplatz sagte. Als Vorsitzender des Verbandes ist er überzeugt: „Viele werden leiden.“
Umleitung durch die Pfalz
Direkt im Anschluss an die Fußball-Europameisterschaft, die im Juni und Juli 2024 in Deutschland stattfindet, wird die zentrale Verkehrsachse ab 15. Juli bis 14. Dezember nicht nutzbar sein. „Es ist ein Experiment“, sagt VRN-Geschäftsführer Volkhard Malik, der im Anschluss an die Versammlung am Donnerstag in den Ruhestand verabschiedet wurde. Tatsächlich hat man es in der Vergangenheit oft erlebt, dass die Deutsche Bahn derartige Sanierungen über Jahre hingezogen hat, indem man immer wieder kleinere Abschnitte sanierte.
Dieses Mal soll alles in einem Abwasch geschehen und mehrere Großprojekte zusammengefasst werden. „Die Infrastruktur ist nach 25 Jahren einfach abgenutzt“, erklärte Christian Specht mit Blick auf die Riedbahn-Verbindung. Er hält mit Kritik an der Bahn-Politik nicht hinterm Berg. „Fehler der Vergangenheit holen uns jetzt ein“, formulierte er angesichts der Umstände, die dazu geführt haben, dass die Trasse nicht schon viel früher gestärkt wurde.
Die Auswirkungen der Riedbahnsperrung werden großräumig spürbar und erheblicher sein, als man das bisher kannte. Das wissen die Anrainer schon jetzt. Neben der Riedbahn, die bereits über ihre Kapazitätsgrenzen belastet ist, gibt es auf der rheinland-pfälzischen Seite die Strecke, die von Frankfurt über Mainz und Worms nach Frankenthal, Ludwigshafen und dann nach Mannheim führt.
Auf der „Odenwaldseite“ gibt es die Main-Neckar-Bahn, die von Frankfurt aus über Darmstadt nach Heidelberg und Mannheim führt. Nachteil: Auch diese Verbindung ist nach Angaben der DB Netz AG schon zu 148 Prozent ausgelastet. Die Worms-Strecke hat mit einer Auslastung von 93 Prozent noch ein wenig „Luft“. Eine Konsequenz könnte sein, dass die Bahn-Linie S 6 zwischen Mainz und Ludwigshafen seltener fährt, denn auch der Güterverkehr muss seinen Platz im System in der Sanierungszeit finden. Zudem sind die schnellen Regionalbahnverbindungen von RE 4 und RE 14 dort gefährdet.
Nicht ohne Einfluss wird die Riedbahnsperrung auch auf kleinere Verbindungen bleiben. Da ist etwa die eingleisige Nibelungenbahn zwischen Worms und Bensheim, die nach Meinung politischer Entscheidungsträger vor Ort stark unter Druck geraten könnte. Um die Schienen im besagten Zeitraum nicht grundsätzlich zu überstrapazieren, plant die Bahn nach Aussagen Spechts einen Ersatzverkehr zwischen Mannheim und Frankfurt, „wie es ihn in dieser Dimension noch nie gab“. Der Verkehrsverbund Rhein-Neckar sei dort massiv involviert, macht Malik klar. Schließlich geht es angesichts einer nicht zu befahrenden Strecke auch um den Verlust von Einnahmen.
Wo Schatten ist, muss aber auch Licht sein. Nach dem Ende der Leidenszeit, die unter dem Namen Korridor-Generalsanierung firmiert, soll die Riedbahntrasse zu stabileren und pünktlicheren Verbindungen führen. An 20 Bahnhöfen entlang der Strecke sind Attraktivierungen unterschiedlichen Umfangs vorgesehen, die vom Bahnsteigbelag bis zur Installation von neuen Fahrgastinformationssystemen reichen.
Neues Stellwerk
Um einen Eindruck vom Ausmaß der Arbeiten zu bekommen, nennt die DB Netz AG Zahlen. Demnach geht es bei der Sanierung um 1200 Einheiten eines neuen elektronischen Stellwerks. Es geht um 152 Weichen auf 117 Gleiskilometern. Es geht um vier neue Bahnübergänge, drei Überleitstellen und fast 10 500 Meter Lärmschutzwand. Und es geht um die Anbringung von 4000 elektronischen Transpondern auf den Baken für das europäische Zugkontrollsystem.
Von einem entstehenden „Hochleistungskorridor“ sprachen Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) und Bahnchef Richard Lutz zuletzt öfter, wenn es um das Ziel dieser Sanierungen ging. Die Riedbahn bildet den Auftakt zu einer Reihe solcher Vorhaben in ganz Deutschland.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Riedbahnsperrung zeigt: Deutschland ist nicht mehr modern