Nachhaltigkeit - Heike Fehmel aus Mutterstadt verarbeitet Feldfrüchte, die der Lebensmittelhandel verschmäht

Die Gemüse-Retterin

Von 
Simone Jakob
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In der Hofküche schneidet Heike Fehmel eine Aubergine, die – wie das andere krumme Gemüse – für Ratatouille gedacht ist. © sin

Mutterstadt. Auf dem Küchentisch liegen krumme Auberginen, roter Spitzpaprika mit Kratzern, riesige Zucchini und viele kleine Tomaten. „Gemüse mit Schönheitsfehlern nimmt der Lebensmitteleinzelhandel nicht ab, deshalb wird in Deutschland jede Menge weggeworfen, bevor es überhaupt in die Supermärkte kommt“, erzählt Landwirtin Heike Fehmel aus Mutterstadt. Der Gemüseanbaubetrieb ihrer Familie liegt in der Vorderpfalz und beliefert Wochenmärkte, Hofläden und Supermärkte wie Rewe, Edeka oder Aldi. Weil das Wegwerfen von Lebensmitteln nicht Fehmels Vorstellung von Nachhaltigkeit entspricht, macht die Pfälzerin aus allem, was nicht in die Norm passt, Soßen, Säfte, Marmeladen, Chutneys oder Brotaufstriche.

So zieht an diesem Vormittag der süßliche Duft von Tomaten und Basilikum durch die Hofküche. „Heute machen wir Ratatouille, weil ich jede Menge Auberginen aus dem Freilandanbau habe, die eigentlich für Hofläden gedacht waren. Doch da sie nicht so schön glänzen wie die Ware aus Holland und auch nicht gerade gewachsen sind, wollte mir der Kunde nur 30 Cent pro Kilo bezahlen, da verarbeite ich sie lieber selber“, erzählt sie. Dann schneidet sie das lilafarbene Gemüse in große Stücke, die in eine riesige Schüssel wandern. Angefangen habe alles mit der Vorliebe fürs Einkochen: „Das war schon immer mein Hobby. Deshalb habe ich den Tomatenüberschuss aus dem Betrieb zu Ketchup und Tomatensoße verarbeitet und im Keller eingelagert.“ Doch irgendwann sei die Familie mit dem Aufessen nicht mehr hinterhergekommen. „Mein Sohn ist Betriebswirt, und als er ins Geschäft eingestiegen ist, hat er mich überzeugt, alles professioneller aufzuziehen“, erzählt sie.

Ungeöffnet zwei Jahre haltbar

Seit zwei Jahren könne man die Produkte „von Heike“ auch im Internet bestellen. „Ich habe mich aber lange gegen einen Onlineshop gewehrt, denn ein Einkauf auf dem Markt ist viel umweltfreundlicher. Für meine Gläser brauche ich viel Verpackungsmaterial, von den Transportwegen ganz zu schweigen.“

In der Pfanne schmurgeln derweil Zwiebeln und nach und nach gibt Köchin Edita Tomaten und Auberginenstücke hinzu. „Wir vermischen alles und füllen es in Gläser ab, die für eine Stunde in den Dampfgarer kommen“, erklärt sie. Danach seien Ketchup und Co. ungeöffnet zwei Jahre haltbar.

Neben Tomatenprodukten hat Heike Fehmel auch Marmelade im Angebot. „Jetzt ist gerade Hochsaison für alles. Gestern habe ich eine Lieferung Blaubeeren bekommen, denn die Kollegen aus dem Umkreis fragen immer, ob ich etwas brauchen kann, ehe sie unverkäufliche Ware vernichten.“ Da sie mit ihrem kleinen Kochteam nicht alles auf einmal verarbeiten kann, werden die Beeren ausgelesen, gekocht, passiert und in eine „Bag-in-Box“ gefüllt. „Daraus machen wir im Winter Marmelade.“ Himbeeren, Zwetschgen, Kirschen und Erdbeeren wandern in einen Lkw-Gefriercontainer und werden später eingekocht. Allein elf Himbeerprodukte hat die Landwirtin im Angebot. Darunter Sirup, Chutney, Salz, Senf und Secco.

„Ich probiere immer wieder Neues aus wie Waldmeister-Trauben-Gelee oder gelbe Tomaten mit Physalis. Wenn ich ein Rezept gut finde, bekommen es Familie und Freunde zum Probieren. Ist dieser erste Test geschafft, koche ich 300 Gläser und verschenke sie an meine Kunden mit der Bitte um Bewertung.“ Erst wenn die ersten Bestellungen eintrudelten, starte die Produktion.

Die Diskussion um zu viel Plastik im Supermarkt sieht die Landwirtin indes kritisch. „Ich sage bei Hofführungen immer zu meinen Gästen: Ihr seid selber schuld, wenn ihr an der Gemüsetheke alles anfasst und wieder zurücklegt. Damit zwingt ihr den Handel, es einzupacken.“ Sicher könne man auch wieder Obst- und Gemüsetheken einführen wie früher, „aber das lässt sich nicht mit den Billigpreisen in Einklang bringen, die der Verbraucher erwartet“.

Eigenes Verhalten hinterfragen

„Manche haben beim Einkaufen den Tunnelblick und denken nicht über ihr eigenes Verhalten nach. Außerdem erwarten Kunden Gemüse mit Modelmaßen im Regal. Ob der Geschmack hält, was das Bild verspricht ist zweitrangig.“ Freilandgemüse müsse mit der Witterung zurechtkommen, habe mal Kratzer oder Schorf, sei fester als Treibhausware und wachse nicht wie mit dem Lineal gezogen. „Aber es schmeckt viel besser“, findet Heike Fehmel und freut sich auf das Ratatouille, das im Dampfgarer wartet. „Umkommen tut bei uns gar nichts.“

Serie Nachhaltigkeit

Landwirtin rettet krummes Gemüse

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